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Bei den Salzburger Festspielen 1936 und 1937 war der junge György Solti Assistent Arturo Toscaninis. Von Toscanini habe er Disziplin gelernt, von Furtwängler, sie wieder zu vergessen. Soltis Bekenntnis wurde zum geflügelten Wort. Es bezeichnet die Spannweite seines Musizierens. Als er 1952 die musikalische Leitung der Frankfurter Oper übernahm, begann er mit Verdis Alterswerk „Falstaff“. In dieser Oper sah er die ideale Vorlage des eigenen nachschöpferischen Wollens: perfekte Balance zwischen Gesang und Orchester, Bändigung dramatisch-explosiver Energien durch klaren Formwillen, sorgfältige Nachzeichnung instrumentaler Klangfarben im Dienste einer farbpsychologischen Durchzeichnung von Figuren und dramatischen Situationen. Soltis Sinn für Ausgewogenheit von Form, Tempo und Klanggestalt hat unverändert sein Musizieren in der großen Symphonik von Beethoven bis Mahler, in der Oper von Mozart bis zu Wagners „Ring“ und den großen Werken Richard Strauss’ bestimmt. Vor zwei Jahren erbat sich Solti von den Salzburger Festspielen noch einmal den „Fidelio“. Gerard Mortier vertraute ihm Werk, die Wiener Philharmoniker, ein blendendes Ensemble und den „modernen“ Regisseur Herbert Wernicke an, mit dem sich Georg Solti glänzend verstand. Solti trieb Sänger und Orchester fast in die Raserei: ein Feuerkopf aus dem Geiste Beethovens, undomestiziert, wild, energisch, der sich weigerte, Beethoven mit Altersverklärung zu begegnen. Es war überwältigend, Beethoven modern, wie Wernickes szenische Darstellung.
Der 1912 in Budapest als Sohn jüdischer Eltern geborene György Solti, der sich dann Georg Solti und später, nach der Erhebung in den englischen Adelsstand, Sir Georg nannte, hat nie wie Toscanini oder Furtwängler stilbildend gewirkt. Dazu war Solti zu unruhig, zu neugierig, zu vital. Er probierte unentwegt alles und vieles aus, sein Beethoven war zwischenzeitlich ziemlich langsam, um im hohen Alter wieder rabiat schnell in den Tempi zu werden. Wollte man Soltis Musizieren auf eine Formel bringen, müßte diese den Begriff der unablässigen Energieentfaltung umschreiben. Wer Soltis „Ring“ auf Schallplatten hört, vernimmt etwas von dieser Energieverströmung, die 1983, als Solti zum ersten Mal überhaupt in Bayreuth dirigierte und dann auch noch den „Ring“, mit der natürlich nachträglich bestrittenen Behäbigkeit des Festspielorchesters kollidieren mußte.
Georg Soltis Leben als Musiker und Dirigent beschreibt auch eine unruhige, dunkle frühe Zeit. Nach der Ausbildung am Budapester Franz-Liszt-Konservatorium bei Ernst von Dohnànyi, Kodály und Bartók folgen Kapellmeisterjahre an der Budapester Oper von 1930 bis 1939. Die ungarischen Judenprogrome zwingen Solti 1939 zur Emigration in die Schweiz, wo er jedoch nicht als Dirigent auftreten darf. Erst 1944 gelingt es dem Freund Ernest Ansermet, das Verbot aufzuheben. Als dann die Amerikaner nach dem Krieg einen politisch unbelasteten Dirigenten für die Münchner Oper suchten, fiel die Wahl auf Georg Solti. In Frankfurt begann Solti eine rege internationale Reisetätigkeit, die auch den Ruhm der Frankfurter Oper mehrte. Nach Frankfurt führte er das Königliche Opernhaus Covent Garden London zur Weltspitze. Danach leitete er von 1970 bis 1989 das Chicago Symphony Orchestra, mit dem er über tausend Konzerte bestritt und mehr als hundertfünfzig Plattenaufnahmen einspielte, die soviel Preise erhielten wie sie kaum ein Popstar verzeichnen kann. Als Karajan starb, übernahm Solti noch im hohen Alter die Salzburger Osterfestspiele, die er mit Anstand und Eigenwilligkeit gestaltete. Soltis Unternehmungslust war bis zuletzt ungebrochen. Im Juni 1997 hatte er noch das Verdi-Festival in London mit einem konzertanten „Simone Boccanegra“ eröffnet. Es gab auch Pläne für die nächste Zukunft. An seinem Ferienwohnsitz im südfranzösischen Antibes ist Sir Georg Solti jetzt im Alter von 84 Jahren gestorben. Wie bekannt wurde, konnte Georg Solti vor seinem Tod noch seine Memoiren abschließen. Sie sollten im Spätherbst dieses Jahres in England veröffentlicht werden.
GR