Heuer also kein Gruppenbild mit Musikeditionspreisträgern: Weil die Messe dem Musikverlegerverband offenbar keinen geeigneten Rahmen ermöglichen wollte, entschied man sich, die Best-Edition-Preise per Handschlag an den jeweiligen Ständen zu überreichen. Wenn man gleichzeitig Mitarbeiter einiger Verlage mit glänzenden Augen von der Leipziger Buchmesse erzählen hörte, stellte sich die Frage, ob man sich in Frankfurt vielleicht einmal Gedanken machen sollte, wie man mit dieser für die Branche ja nicht unwichtigen Veranstaltung in Zukunft umgehen will. Ansonsten scheint der Schaffensdrang der Musikverlage ungebrochen, ein Rundgang über die Messestände zeitigte wieder eine kaum überblickbare Fülle an Neuerscheinungen. Eine kleine Zusammenschau sei dennoch versucht (zu den pädagogischen Neuheiten siehe die Juni-Ausgabe):
Dem Jubilar Robert Schumann sind in diesem Jahr erwartungsgemäß zahlreiche Ausgaben gewidmet, das a-Moll-Klavierkonzert ist dabei zweimal vertreten, wobei im Falle der Fassungen für zwei Klaviere die Wahl zwischen den Auszügen Adolf Ruthardts (neu herausgegeben von Michael Musgrave) bei Peters und Johannes Umbreits bei Henle zu treffen wäre. Letztere hat außerdem Fingersätze von Mitsuko Uchida zu bieten, als Partitur liegt die von Peter Jost besorgte Ausgabe bei Breitkopf vor. Henle hat außerdem seine Ausgabe sämtlicher Klavierwerke Schumanns runderneuert, Ernst Hert-trichs Edition (sechs Bände, broschiert, in Leinen oder als kleinformatige Studienausgabe) ersetzt somit die aus mancherlei Gründen problematischen Boetticher-Bände.
Mit einer Bearbeitung von Schumanns Rückert-Motette „Verzweifle nicht im Schmerzenstal“ für zwei gemischte Chöre (Original: Männerchöre) durch Georg Christoph Biller (Schott) kommen wir zur Chormusik, die in Sachen Romantik auch bei Hofmeister (Zwölf Lieder der Romantik für gemischten Chor, arrangiert von Hasmik Bokhyan) und Carus ihren Platz hat, wo erstmals in einem Sammelband weltliche Chormusik (a capella und mit Klavier) des Brahms-Freundes Heinrich von Herzogenberg vorliegt. In der Serie „Chorsingen – leicht gemacht“ sind bei Peters nun auch Haydns „Jahreszeiten“ mit den vier Doppel-CDs für die Einstudierung der Stimmlagen und einer großformatigen Dirigierpartitur verfügbar; Hofmeister bringt – pünktlich zum 80. Geburtstag des Komponisten – Harald Banters „Galgenlieder nach Texten von Christian Morgenstern“ für Vokalquintett oder Kammerchor heraus; im Rahmen der beliebten „Bosse Hits a capella“ können Chöre sich nun mit Cat Stevens’ „Wild World“, Umberto Tozzis „Gloria“ und dem bajuwarisch-afrikanischen „Do ge da ja“ von Alex Haas und Willie Jakob vergnügen.
Auf großes Interesse dürfte außerdem das von Reiner Schuhenn bei Carus herausgegebene „Chorbuch a tre“ stoßen. Die dreistimmigen Chorsätze für den Gottesdienst tragen der Schwierigkeit bei der Besetzung von Männerstimmen Rechnung, sind aber auch historisch begründet. Nach Kirchenjahr, Gottesdienstformen und Themen geordnet, versteht der Band sich außerdem als Beitrag zur Ökumene.
Einen Konzertklassiker in seiner weniger geläufigen Variante gibt es bei Bärenreiter zu entdecken: Jonathan del Mar hat sich der Klavierfassung des Beethoven’schen Violinkonzerts angenommen, die nicht nur wegen der paukenbegleiteten Original-Kadenz zum ersten Satz von Interesse ist. Die aus originalen Quellen übernommenen Tutti-Solo-Vermerke weisen auf die historische Aufführungspraxis hin, wonach der Solist die Tutti zeitweise mitspielte. Der Klavierpart liegt zweifach, einmal im Urtext, einmal eingerichtet von Yuriko Murakami, vor. Die Ausbeute in Sachen Kammermusik ergibt neben Klassikern des Streichquartetts (Debussy und Janácek Nr. 2, „Intime Briefe“, bei Bärenreiter), dem weniger geläufigen Quartett Gabriel Faurés (in der neu gestarteten Gesamtausgabe bei Bärenreiter) und zwei Cellowerken (Saint-Saëns’ Allegro appassionato, Bärenreiter, und Debussys Intermezzo und Scherzo, Henle) auch veritable Erstausgaben: Bei Weinberger sind Franz Schmidts Klavierquintette in den originalen, für Paul Wittgenstein komponierten Fassungen für Klavier linke Hand erschienen. Die Besetzung (neben Violine, Viola und Cello) variiert zwischen Klarinette in A oder B (A-Dur- und B-Dur-Quintett) und einer weiteren Violine (G-Dur-Quintett). Volker Hemke legt bei Hofmeister eine Bearbeitung von Brahms’ Cellosonate op. 38 für Bassklarinette vor.
Eine weitere Rarität hat Henle neu im Programm: Milton Laufer hat drei Klavierimprovisationen von Isaac Albéniz transkribiert, die 1903 auf einem Wachszylinder festgehalten wurden. Der Erstauflage liegt dieses wunderbare Tondokument auch auf CD bei. Die Ausgaben einzelner Gitarrenwerke, die Karl Scheit bei der Universal Edition begründet hat, sind Repertoireklassiker. Die „Neue Karl Scheit Gitarren Edition“ will diese Serie nun weiterführen, erste Hefte mit Stücken von John Dowland, Mauro Giuliani, Santiago de Murcia, Gaspar Sanz und Robert de Visée liegen vor, editorisch verantwortlich sind Thomas Müller-Pering, Olaf van Gonnissen und Johannes Monno.
Ebenfalls bei der UE wird die Serie der Studienpartituren von Werken des 20. Jahrhunderts fortgesetzt, darunter – passend zum 150. Geburtstag – Mahlers Sinfonien Nr. 1, 3 und 4. Einen weiteren Schwerpunkt bildet Leoš Janácek, dessen ursprünglich als Vorspiel zur „Jenufa“ konzipiertes Konzertstück „Eifersucht“ ebenso in einer neuen, textkritischen Ausgabe vorliegt, wie seine Oper „Das schlaue Füchslein“, an deren aufführungspraktischen Hinweisen Charles Mackerras mitgearbeitet hat (auch im Klavierauszug erhältlich).
Auch von Rossinis unsterblichem „Barbier von Sevilla“ gibt es nun Studienpartitur und Klavierauszug auf der Höhe der Forschung (Bärenreiter). Grundlage ist Patricia Brauners Edition im Rahmen der Rossini-Gesamtausgabe. Dem Klavierauszug ist ein Anhang mit überlieferten Varianten der Gesangsstimmen und transponierten Arien beigefügt.
Am 15. April wurde bei einem Festakt in Stuttgart der erste Band eines Editionsprojekts vorgestellt, über das noch zu berichten sein wird, das aber bei der Musikmesse schon begutachtet werden konnte und einen Ehrfurcht gebietenden Namen trägt: „Max Reger. Werkausgabe. Wissenschaftlich-kritische Hybrid-Edition von Werken und Quellen“. Das Max-Reger-Institut und der Carus-Verlag gehen hier neue Wege, indem sie zu den Bänden die Quellen auf einer aufwändig programmierten Daten-DVD gleich mitliefern. Wie es sich anfühlt, den Forschern virtuell über die Schulter zu schauen, das kann man nun schon einmal anhand der Choralphantasien für Orgel testen.
Best Edition 2010 – Deutscher Musikeditionspreis
- Piano Album. Bärenreiter Contemporary Composers (Bärenreiter)
- Adolphe Adam: Le Toréador (Erster Band der Reihe „L’Opéra français“, Bärenreiter)
- Josephine Lang (1815–1880): Ausgewählte Lieder auf Texte von Heine, Goethe, Lenau u.a., für Singstimme und Klavier, hrsg. von Barbara Gabler (Furore)
- Friedhilde Trüün: Sing Sang Song, Band I und II, DVD-Workshop (Carus)
- String Thing – Groovy Strings. Rhythmus & Groove im Streicherunterricht, mit Spielpartituren, Video- und Audiotracks auf CD-Extra (Breitkopf & Härtel)
- Basiswissen Kirchenmusik. Ein ökumenisches Lehr- und Lernbuch in vier Bänden mit DVD und Registerband zur Grundausbildung und Berufsbegleitung ev. und kath. Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, hrsg. von Hans-Jürgen Kaiser und Barbara Lange (Carus)
- Georg Friedrich Händel: Oratorium Messiah HWV 56, hrsg. von Ton Koopman und Jan H. Siemons (Carus)
- Joseph Haydn: Die Oratorien. Vier Bände im Schuber, hrsg. von Annette Oppermann, Armin Raab, Ernst F. Schmid und Hubert Unverricht (Henle)
- Ralf Wehner: Felix Mendelssohn Bartholdy. Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke (MWV), Studien-Ausgabe (Breitkopf & Härtel)
- Wiegenlieder. Liederbuch inklusive Mitsing-CD, Klavierband, exklusive Wiegenlieder CD-Sammlung Vol. 1 (Carus)