Eines ist dem grandios gescheiterten Amazonas-Projekt der Münchener Biennale für neues Musiktheater 2010 zweifellos gelungen: die Sehnsucht nach dem „fernen Klang“, nach der nächsten Ausgabe des Festivals mächtig zu schüren. Das Motto, das Peter Ruzicka für die vorletzte Biennale unter seiner Leitung gewählt hat, bezieht sich auf Franz Schrekers vor 100 Jahren uraufgeführte Oper, die in der Tat nicht nur in der Schaffensbiografie des Komponisten einen Aufbruch bedeutete, sondern stofflich, wie von der Orchesterbehandlung her in neues Terrain vorstieß, das andere Komponisten in der Folge erfolgreich zu betreten wussten.
Nun wäre es sicher vermessen, für das Jahr 2012 einen ähnlich epochemachenden Entwurf zu erwarten, wie es andererseits aber zu kurz gedacht wäre, die Funktion dieses weltweit einzigartigen Laboratoriums für zeitgenössisches Musiktheaterschaffen darauf zu reduzieren, der jüngeren Komponistengeneration Gelegenheit zu ersten Opernerfahrungen zu geben. Dass sich die Biennale vielmehr als ein „think tank“ versteht, der die Auseinandersetzung mit dem Thema Zukunft des Musiktheaters von verschiedenen Seiten her zu führen versucht, zeigt die Tatsache, dass auch heuer wieder zwischen dem 2. und 19. Mai neben den beauftragten „Hauptwerken“ (Sarah Nemtsov, „L’Absence“; Eunyoung Kim „Mama Dolorosa“; Arnulf Herrmann, „Wasser“) zahlreiche weitere Aufführungen und Konzerte programmiert sind.
So werden mit der Gruppenarbeit „A Game of Fives“ fünf Studierende der Universität der Künste Berlin miteinbezogen, die elektronische und installative Elemente einbringen werden. Ausgangspunkt sind die Alice-Romane Lewis Carrols. Acht Komponisten sind überdies aufgefordert, „Kernsätze im musiktheatralen Vorfeld“ zu formulieren. Die kurzen Antworten auf komplexe Fragen zum Medium Musiktheater werden jeweils vor den Premieren der Hauptwerke erklingen, schließlich aber auch zusammengefasst in einem eigenen Programm.
Weitere Aufführungen im Rahmen dieser mit „Biennale Special“ überschriebenen Rubrik stammen von Helga Pogatschar und Alexander Strauch. Die Münchner Komponistin hat mit „mystery – mach dir kein bild“ zusammen mit Michael Bischoff eine „interaktive Video-Oper“ entworfen, die Fragen nach der Identität in Zeiten virtueller Realitäten stellt. Alexander Strauchs „NEDA – der Ruf, die Stimme“ greift dieses Thema ebenfalls auf, und zwar anhand des Falles einer iranischen Frau, die aufgrund einer durch Internetpublikationen entstandenen Verwechslung mit einer gleichnamigen, zur Zeit der „grünen Revolution“ erschossenen Frau ihre Existenz aufgeben und fliehen musste.
Breiten Raum nehmen wieder Vermittlungsprojekte ein, zum einen mit dem Projekt „AndersArtig“ der Künstlergruppe „Musik zum Anfassen“, zum anderen durch die Biennale-Werkstatt der Münchner Volkshochschule. Zahlreiche Komponisten- und Hintergrundgespräche sowie ein Symposium über neue Vermittlungsformen des Musiktheaters ergänzen das breite Spektrum.