Politisch hellwache Theaterfreunde bemängeln, dass ihre doch auch dazu berufene Kunstgattung derzeit viel zu wenig hineingreift ins wirkliche Leben: wo doch Politik und die von ihr gestaltete Realität geradezu danach schreien, künstlerisch in jeder Hinsicht „vorgeführt“ zu werden. Ausgerechnet die eher abschätzig betrachtete Operette hat das immer wieder getan – und das Theater Augsburg will mit der aktualisierten Ausgabe von Paul Abrahams Fußballoperette von 1937 vieles „vorführen“.
In Augsburg natürlich zuerst einmal Bertolt Brecht: „Man muss ins Theater gehen wie zu einem Sportfest. Es handelt sich hier nicht um Ringkämpfe mit dem Bizeps. Es sind feinere Raufereien. Sie gehen mit Worten vor sich.“ Also hat ein ungenanntes Team(?) um Regisseur Martin Berger und Dramaturgin Johanna Mangold das getan, was im Genre Operette in Rücksprache mit Nachfahren oder Verlag möglich ist: eine weitgehend neue Textfassung geschrieben. Das in Anspielung auf „La Mannschaft von 2014“ auf der Bühne agierende „Wunderteam“ wird vom deutsch-spanisch radebrechenden Trainer „Pep Tactico“ gefordert: voran Nr. 7 „Christiano Hatschek“, dann „Miroslav Knödel“, „Basti Saulieger“, „Benedikt Dödeles“, „Manuel Alter“, „Philip Schwach“, „Thomas Maier“, „Joshua Kornich“, „Mats Bienels“ und „André Brennle“ – selbst „Sportschau“-Verweigerer wissen also, wem die den Abend eröffnende „Sportgala“ gilt, wer und was gemeint ist, auch wenn der hinzuerfundene deutsche Funktionär von Ex-Profi Jimmy Hartwig etwas in der Luft hing.
Aus der Gala heraus dann als große Rückblende die eigentliche Handlung: der von weltweiten „Business-Lunchs“ fettleibig überbordende schottische Verbandvorsitzende bringt es auf den Punkt: „…nicht das Sportliche oder Finanzielle“ stehen im Mittelpunkt, vielmehr seine korrupten Machenschaften, um neuer FIFA-Präsident zu werden – weshalb Deutschland gegen Spanien verlieren muss, damit er diese und jene Stimmen bekommt…
Das alles ließe sich – auf der Basis des durch investigativen Enthüllungsjournalismus ja offengelegten realen Korruptionssumpfes - bitterbös bis grotesk kabarettistisch als antikapitalistische Gesellschaftskritik abhandeln – oder eben als Operette, also als holder Schwachsinn bis hin zum Trash mit immer wieder tieferer Bedeutung.
Das für die Generalsanierung ja auf Jahre geschlossene Theater Augsburg spielt im Ausweichquartier „Martini-Park“ – und da blieb die Wirkung etwas eingeschränkt. Die Augsburger Philharmoniker waren zunächst unsichtbar „ganz hinten“ platziert. Als gelungener Show-Effekt wurden sie dann in orange-rosa Dance-Room-Licht hinter einem hochgezogenen Rüschenvorhang in „Big-Band-Besetzung“ unter Dirigent Lancelot Fuhry – Szenenapplaus für Sarah-Katherina Karls Bühnenbild – sichtbar. Doch auch wenn vielleicht der Grammophon-Klang der 1930er Jahre intendiert war – die Lautsprecheranlage samt Verstärkung war miserabel höhenarm, dumpf und in der Balance zu den Mikroports der Sprech- und Singstimmen unterprobiert schlecht.
Und dann wollten die Neutexter letztlich „alles“ – und damit zu viel: Motivationsschwachsprech vom Trainer; heillos korrupte Funktionärsabsprachen; unglückliche Liebe vom Funktionärssohn zur süßen Rosie Müller, sprich „Roxy“, die mal beim 1.FC Nürnberg Fußball gespielt hat; Stümmelsprech von den millionenschweren Spielerjungs; Live-Video-Reportage der kessen Enthüllungsjournalistin Aranka, die per „Spyke“ Roxy ins Team einschleusen will; Mobbing des unsicheren farbigen Spielers „Philip Gjurka“ vom 1.FC Augsburg durch die „weißen“ Jungs; schüchterne, aber dann doch unwiderstehliche Liebe zwischen Gjurka und Roxy; im Zentrum aber mit aberwitzig berüschten Duschräumen: die Entdeckung der Homosexualität von „CR 7-Christiano“ und Funktionärssohn, ihr Outing samt Heirat – alles umrahmt von Roman Rehor sehr gekonnt gemachten Fussball-Videos der Spieler-Jungs im Augsburger Stadion, gemischt mit Original-Sequenzen aus dem Profifußball, von Paul Abrahams ironischer Ungarn-Einlage mit Folklore-, Paprika- und Colbas-Kostümen… und dann auch noch statt Ballspiel auf der Bühne Steptanz von den Jungs… und nebst vielen Anspielungen dann auch noch auf den aktuellen Streit um die Kosten der Theatersanierung der Satz „Wer an Kultur spart, spart sich tot“ samt Szenenbeifall… es wurde ein bisschen „ein Kessel Buntes“, doch immer „heiß serviert“, ein paar Mal platt, doch öfter amüsant und für alle die Besucher doch entlarvend, die kritischen Sportjournalismus nicht lesen – oder Philip Kerrs fulminanten Enthüllungskrimi „Wintertransfer“ nicht kennen.
Die zentrale Pointe – dass Roxy mit verletzungsbedingter Gesichtsmaske für „CR 7“ im Endspiel eingewechselt wird, von Gjurka den Pass bekommt und in der Schlussminute den Siegtreffer schießt - gelang nicht ganz: dazu besaß die nicht ganz höhensichere Katja Berg als Roxy einfach zu viel „sexy Formen“. Dem gesamten übrigen Team, herausgegriffen die beiden leicht kontrastierenden, aber gut zusammenklingen Tenöre von Wiard Wirtholt (Funktionärssohn) und Uli Scherbel (CR 7) im Duett ihres „Coming Out“, war Engagement zu bestätigen, auch wenn in der Premiere noch die Anspannung zu all dem Vielerlei anzumerken war. Regisseur Martin Berger hat viel, womöglich zu viel gewollt, einiges erreicht – und Augsburg hat einen theatralischen Sylvester-Faschingsspaß.