Wer es noch nicht wusste: der Wettergott ist ein Bregenzer – durchaus mit Launen. Die letztjährige Seebühnen-Neuinszenierung von Puccinis „Madame Butterfly“ schaute er sich weit über die Hälfte an und schickte dann wohl angesichts all dieses miserablen Männerverhaltens ein richtig böses Unwetter – Abbruch – und für rund 1500 der 7000 Besucher eine abgespeckte Innenversion im Festspielhaus. Diesmal: Traumabendwetter – und eine überarbeitete Premiere mit beeindruckendem, schließlich anrührendem Festspielniveau.
Frauenleid in Cinemascope – Die Bregenzer Seebühnen-„Butterfly“ gewinnt im zweiten Jahr an Expressivität
Geblieben ist natürlich das riesige, 300 Tonnen schwere, aber fein-anders wirkende Bühnen-Brief-Blatt, Japan-Papier imitierend mit fern-östlich gezeichneter Landschaft, Natur, Hafeneinfahrt Nagasaki und vielfachem Serpentinenweg von Michael Levine. Doch Regisseur Andreas Homoki hatte zusammen mit seinem Lichtdesigner Franck Evin neue technische Möglichkeiten. So gewann die Szene an deutlich abgestuften Stimmungswechseln: da war das Strahlen der jungen Braut bei Ankunft mit ihrer weiblichen Entourage in Licht und Kostümfarben (Antony McDonald) – und dann die Verdunkelung bei der rüden Verstoßung durch Onkel Bonze, dessen böse Fratze als Angstprojektion Butterflys plötzlich aus den Bergsilhouetten aufschien.
Das sonst oft kitsch-gefährdete Blumen-Streuen zur vermeintlichen Rückkehr Pinkertons verwandelte die gesamte gewellte Bühnenschräge in ein rosa Blumenmeer, bis hinauf in die Berge. Die sehnsuchtsvolle Nachtwache Butterflys, ihr Schlaf und Erwachen fand sowohl in der Musik wie in der Ausleuchtung statt – und an diesem tristen Morgen lag Butterfly auf einem nebelgrau ernüchternden Boden und die projizierten Blumen rieselten nun wie Tränenströme in das Bodensee-Meer von Nagasaki. Die Butterfly von Anfang an begleitenden Geister-Ahnen wirkten nicht wie „künstlerische Choreographie“, sondern waren nun von Lucy Burge als visuelle Ahnung und Spiegelung fließend „natürlicher“ Teil des Handlungsflusses.
Über viele andere Details hinaus hatte Homoki mit allen durchweg guten Solisten, insbesondere aber mit der usbekischen Sopranistin Barno Ismatullaeva weitergearbeitet: ihre mädchenhafte und immer stil-bewusste Annäherung, das schon die Enttäuschung ahnende Sehnen und dann die rigide Entschlossenheit zur Selbsttötung, also mit dem Todesmesser des Vaters selbst „seppuku“ zu begehen – dieser Bogen steigerte sich durchweg in Intensitätshöhen eines auch immer leidenschaftlich glühenderen Soprans – Puccinis Klassiker war wie neu und eindringlich und als keineswegs nur historisches Frauenschicksal mitzuerleben, fesselnd – und ja: anrührend. Da war es kein aufgesetzter Schlussgag, dass in Luke Halls Video erst der untere Rand der Bühne, dann der ganze Brief in Flammen aufgingen – ehe final dann am oberen Ende echtes, alles vernichtendes Feuer loderte und auch die japanischen Schriftzeichen für „Die Liebe stirbt nie“ auffraß…
Dem entsprach Enrique Mazzolas Dirigat. Wieder war seine präzise und in der linken Hand ganz differenziert gestufte Zeichengebung via Video zu bewundern – prompt gab es auch ganz intime Stellen in Puccinis mehrfach sahniger Komposition. Doch dann feierte Mazzola mit den glänzend disponierten Wiener Symphonikern und der Bregenzer „Open Acoustics“-Mannschaft die immer heftigeren Emotionen: im Cinemascope-Sound tosende wahre Klangräusche, die die große Seebühnen-Kulisse über Wasser und Ufer hinaus ins Überwältigende weiteten. Open-Air-Oper at its best – Ovationen für alle Beteiligten – die nach der x-ten Verbeugung einfach dankbar zurückwinkten… man hatte ein Kunst-Fest miteinander gefeiert.
Bis zum 20. August stehen noch 21 Vorstellungen auf dem Plan.
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