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Lohengrin. Foto © Kostadin Andreev

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Frauliches Kräfteringen: Das Wagner-Festival Sofia startete mit „Lohengrin“

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Viermal gab es im zweiten Akt zu den imposanten Duett- und Solostellen des dunklen Paars Ortrud und Telramund lauten Szenenapplaus. In Richard Wagners Heimatregion, dem deutschsprachigen Mitteleuropa, gilt das als unfein und Wagners Gesamtkunstwerk-Idee abträglich. Aber im nahen Opern-Osten gehörte es in der Premiere von Richard Wagners „Lohengrin“ an der Nationaloper Sofia berechtigterweise zum guten Ton. Auf diese folgt beim Wagner Festival der Oper Sofia bis 20. Juni noch eine zyklische Gesamtaufführung von Wagners „Ring“ (Premiere 2023) und am 23. Juni eine weitere „Lohengrin“-Vorstellung. Intendant Plamen Kartaloff führte Regie, Constantin Trinks dirigierte und Gabriela Georgieva sang eine phänomenale wie sensible Ortrud. 

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Intendant Plamen Kartaloff ist nicht nur Regisseur, sondern auch Autor eines Buchs über Richard Wagner. Er nähert sich dem Kosmos der Mythologien und Sujet-Verdichtungen des Musikdramatikers mit einer klaren Anwendung von Dualismen. Den Gralsritter in der 1850 unter Liszt in Weimar uraufgeführten „romantischen Oper“ betrachtet Kartaloff als Inkarnation göttlich reinen Lichts. Hans Kudlich baute einen gespaltenen Baum mit Astgruppen wie Engelsflügel auf die Bühne. Die beträchtlichen Chormassen der Nationaloper Sofia und der Männer aus dem Bulgarischen Nationalen Rundfunkchors (geleitet von Violeta Dimitrova und Lubomira Alexandrova) stehen auf Amphistufen. Die Geschichte über das Erschüttern des Vertrauens Elsas von Brabant gegen ihren Retter Lohengrin vor dem Heerzug gen Osten ereignet sich menschlich plausibel und sinnfällig. Die Chorgruppen bestehen aus farbenfrohen, in bunte Phantastik enthobenen Landsern und einer Gruppe von Kapuziner-Klerikern. Betreffend ihres autoritären Auftretens kommen Biser Georgiev (König Heinrich der Vogler) und Publikumsliebling Atanas Mladenov (Heerrufer) allerdings eher von der lokalen Gendarmerie als aus der hochfeudalen Militärzentrale – trotz weißroter Schärpe auf blauer Uniform. 

Doch in Sachen Stimmmaterial erfüllen sich alle Erwartungen betreffend slawische und bulgarische Stimmen, sogar die überzogenen. Kartaloff gibt zwar ein formales Szenengerüst vor, dialektische Tiefe gewinnt dieser bildkräftige und kurzweilige „Lohengrin“ zwangsläufig durch die musikalische Durchdringung. Wie die hohen Streicher im berüchtigten Vorspiel zum ersten Akt ansetzen, hat ganz hohe und berückende Qualität. Nicht zu leise, singend und schwelgend. Constantin Trinks fährt in dem 1921 gebauten und 1953 renovierten Theaterbau schwerere Klanggeschütze auf als in Deutschland bei Wagners nationalistischem Rumpelgetöne statthaft wäre. Das kann man ihm aber schwerlich zum Vorwurf machen, weil das Orchester immer wieder in geschmeidig weiche, wenn auch lautstarke Opulenz abbiegt und dann vor allem die beiden Frauen-Hauptbesetzungen Wagners Licht-Schatten-Dramaturgie stark und überaus eindrucksvoll differenzieren. 

Gabriela Georgieva als Ortrud hat beim Stilcoaching durch Anna Tomava-Sintow, welche vor 2000 eine Weltkarriere an die großen Bühnen führte, genau aufgepasst. Georgieva erlaubt es sich, trotz aller Dämonik und deklamatorischem Nachdrucks immer schön zu singen. Dabei findet sie einen Charakter, der mit Spannung und Tiefgang zur Figur passt und sängerisch fast zur Sympathieträgerin wird: eine individuelle und packende Gestaltung auf Basis langer Erfahrung im hochdramatischen italienischen Fach. Als Elsa darf Tsvetana Bandalovska durch das Geschehen wallen, Hände ringen und innig affektive Diva sein. Stimmlich setzt Bandalovska neben großer Legato-Linie auch leichte Schärfen, was der Figur und ihrer Gestaltung zum Vorteil gerät. Als Lohengrin ganz in Weiß war Kostadin Andreev – er singt auch beide „Siegfriede“ im folgenden „Ring“ – immer wieder durch eine Indisposition gebremst. Ventseslav Anastasov gibt einen angemessen starken und nachdrücklichen Herausforderer Telramund. 

Die letzte „Lohengrin“-Premiere an der Nationaloper Sofia war – abgesehen von einer konzertanten Aufführung 2009 – im Jahr 1968. Dass dort innerhalb von zwei Jahrzehnten gleich zwei „Ring“-Inszenierungen herauskommen, gibt der bulgarischen Wagner-Pflege einen ordentlichen Schub. Budapest, gewiss mit einer weitaus dichteren Wagner-Tradition, und Sofia gleichen sich in ihrem Stolz, die schweren Wagner-Musikdramen weitgehend ohne internationale Gastsänger, mit eigenen Ensemblemitgliedern aufzuführen. Das Resultat ist, vor allem bei den Frauen- und tiefen Stimmen, zutiefst beeindruckend. Die Deklamation unterscheidet sich bei guter Textverständlichkeit von der Mitteleuropas und Amerikas durch ansatzweise weichere Konsonanten und einer bei Wagner eher seltenen Gewichtung auf Vokale. Überdies gelang es, das Premierenpublikum mit Spannung in hohe Aufmerksamkeit zu schlagen und nicht nur an Aktenden zu euphorisieren. 

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