Neue Musik ist keine abgeschlossene Sondersphäre. Als Teil des „Systems Kunst“ – so Niklas Luhmann – ist sie stets ein Element unserer komplex ausdifferenzierten Gesellschaft. Frau Musica nova ist keine fensterlose Monade, lümmelt nicht in abgehobenen Wolkenkuckucksheimen, verkriecht sich vor der rauen Wirklichkeit nicht in elfenbeinerne Türme.
Der Tanzplatz der Musen liegt nicht im seligen Reich der Phantasie, sondern hier und jetzt mitten auf dem Marktplatz der Gesellschaft. Auch in der kleinen Nische wirken Mechanismen des kapitalistischen Wirtschaftssystems: Ähnlich global agierenden Konzernen oder winzigen Ich-AGs folgt auch das zeitgenössische Komponieren und Interpretieren – Ausnahmemusiker bestätigen die Regel – den Prinzipien von Arbeitsteilung, Spezialisierung, Professionalisierung, Leistungsoptimierung. Wachstum zielt nicht primär auf Qualität oder Nachhaltigkeit. Stattdessen werden Quantitäten gesteigert: Die Beteiligten brauchen mehr Aufträge, mehr Auftritte, mehr Gigs, Stücke, Ensembles, Stars, Festivals, Werbung, Texte … Regiert werden die Beteiligten dabei von den diktatorischen Forderungen einer zunehmend flexibilisierten Arbeitswelt: Mobilität, Verfügbarkeit, Onlinepräsenz, Dauereinsatz, Polyjobs … Dabei galt es einst als vornehmste Aufgabe der Kunst, dem Menschen möglich zu machen – so Schiller –, „aus sich selbst zu machen, was er will – daß ihm die Freiheit, zu sein, was er sein soll, vollkommen zurückgegeben ist“.
Doch zwischen der blind und taub machenden Betriebsamkeit gibt es hier und da auch Momente hellsichtiger Besinnungen auf die Eigengesetzlichkeit und Freiheit der Musik. Das 1997 in Berlin gegründete Ensemble Mosaik stellt im zwanzigsten Jahr seines Bestehens seine vierteilige Jubiläums-Konzertreihe unter das Motto „Autonome Musik“. Im Kesselhaus der Kulturbrauerei Berlin präsentieren die Musiker unter Leitung ihres Gründungsdirigenten Enno Poppe kontrastierende Kompositionen und Performances. Als Uraufführungen präsentiert das erste Konzert am 7. Dezember Sebastian Clarens „Im Kinderzimmer/im Kino: piece of shit“, Turgut Erçetins „Panopticon Specularities Seed I-b“ und Kaj Duncan Davids „micro .· micro : micro .·:: micro .:·.:“. Helmut Oehrings jüngstes „dokupoetisches Instrumentaltheater“ trägt den programmatischen Titel „Kunst muss (zu weit gehen) oder Der Engel schwieg“. Premiere ist am 9. Dezember an der Oper Köln im Staatenhaus. Verhandelt wird das engagierte Leben und Werk Heinrich Bölls, der vor hundert Jahren in Köln geboren wurde. Im Zentrum steht seine Rede „Die Freiheit der Kunst“, die er 1966 zur Eröffnung des Wuppertaler Schauspielhauses gehalten hat. Erlebbar wird die Freiheit der Kunst für den Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger von 1972 in deren Formen und Ordnungen von Material. Da dieser Prozess offen ist, führt er zum Ausloten von Grenzen und zur Entfaltung eines Widerstandspotentials. Um herauszufinden, wie weit Kunst ästhetisch und gesellschaftlich gehen darf, „muss sie also zu weit gehen!“
Weitere Uraufführungen
01.12.: Stefan Heucke, Concerto grosso Nr. 1 für Tubaquartett und Orchester, Kulturpalast Dresden; Tristan Murail, Reflections / Reflets I–III für Orchester, Kölner Philharmonie
03.–07.12.: Zahlreiche neue Werke beim Festival „Leicht über Linz“, Anton Bruckner Privatuniversität Linz
15.12.: Ondrej Adámek, Follow me, Konzert für Violine und Orchester, musica viva München
16.12.: Enjott Schneider, Maria für Orgel, Würzburger Dom
17.12.: Márton Illés, Neues Werk für Trio Catch, Bürgerhaus Wilhelmsburg Hamburg
18.01.: Philipp Maintz, Neues Werk für Ensemble Lux, Ultraschall Berlin
19.01.: Markus Hechtle, Neues Orchesterwerk, musica viva München
27.01.: Wolfgang Mitterer und Georg Kröll, neue Werke für Kammerorchester, „Musik der Zeit“ WDR-Funkhaus Köln; Thomas Bruttger, Zerklüftete Landschaft – mit „Zwielicht“ für zwei Bassklarinetten, Elisabeth Schneider Stiftung Freiburg