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Chinesische Komponisten schreiben für europäische Ensembles: Neue Musik aus dem Reich der Mitte im Sendesaal des Hessischen Rundfunks. Foto: S. Rheker
Chinesische Komponisten schreiben für europäische Ensembles: Neue Musik aus dem Reich der Mitte im Sendesaal des Hessischen Rundfunks. Foto: S. Rheker
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Freundliche Übernahme der Neuen Musik

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Ein Festival junger chinesischer Musik im Frankfurter Sendesaal sorgt für Überraschungen
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Wer bedient sich bei wem beziehungsweise: Wer bedient wen womit? Das Siemens Arts Program und der Hessische Rundfunk haben mit dem kleinen – und bis dato einzigartigen – Festival junger chinesischer Musik im Frankfurter Sendesaal Fragen aufgeworfen, die hoch interessante Perspektiven aufweisen, aber nicht leicht zu beantworten sind. Viel mehr kann man mit einer Pioniertat nicht erreichen, zumal die Ursache in der Umsicht und dem Raffinement begründet war, mit dem die jungen chinesischen Komponisten und ihre überwiegend westeuropäischen Interpreten zu Werke gingen.

Die Rahmenbedingungen waren vergleichsweise übersichtlich gesteckt: Zehn Komponisten (davon sechs weiblich), Höchstalter dreißig, waren von einer Jury (Jens Cording vom Siemens Arts Program, Stefan Fricke vom Hessischen Rundfunk, die Komponisten Peter Ruzicka und Johannes Schöllhorn sowie der Dirigent Rüdiger Bohn) ausgewählt worden, je zwei Werke im Rahmen dieser Veranstaltung zu präsentieren, die sich ihren inoffiziellen sportiven Untertitel „Konzertmarathon“ in diesen olympischen Zeiten durchaus verdient hat.

Auch die insgesamt vier Konzerte (à fünf Stücke) waren übersichtlich gegliedert, die Motti fixierten wenig, das aber recht poetisch: Das erste, „Ruhelos wie das Meer – ziellos wie der Wind“, und das zweite Konzert, „Offene Tore, geheime Wege“ beinhalteten freie kammermusikalische Formen, in denen europäische und chinesische Musikinstrumente koexistierend vorkamen; die beiden folgenden Konzerte enthielten (bis auf ein Streichquartett) größere Ensemble-Besetzungen, wobei das letzte Konzert („Ein Obstgarten hat keine Geschichte“) aus fein gewobenen, meditativ verharrenden oder leise verwehenden Nachtstücken bestand.

Das erkenntnistheoretische Problem, das dieses Festival aufwarf, ist leicht umrissen: Da auch der kundige Musikhörer dazu tendiert, zu hören, was er kennt, also nur zu erkennen, was er wiedererkennt, war der Konzert-Marathon einer Erweiterung des Erkenntnishorizonts überaus dienlich, also dem Unterfangen, hörbar zu machen, was vorher unhörbar war.

Unter diesem Aspekt enthielten die Klaviertrios und Streichquartette den geringsten Innovationswert, was womöglich weniger an der Musik als an einer Hörer-Haltung lag, die bei Quartetten zum Zurücklehnen und Kenn-ich-schon-Denken tendiert und vielleicht zunächst wenig von dem wahrnimmt, was ihr entgeht. Wer weiß, vielleicht steckt hinter dem Rhapsodischen in Bi Jianbos fulminant virtuosem Violinsolo, ebenso fulminant gespielt von Susanne Zapf, ein Täuschungsmanöver? Bleiben wir vorsichtig. Denn ein Ergebnis der vier Konzerte ist, dass die jungen chinesischen Komponisten eine nachdrückliche Eigenständigkeit bewahren. Sie biedern sich nicht europäischen Klangwelten an, geraten nirgends in die Gefahr eines adaptierenden oder geborgten Neoklassizismus’. Sie nähern sich behutsam, übernehmen Elemente, die ihren Horizont verändern – aber es bleibt ihr Horizont.

Was sie nicht tun, ist, den Einzugsbereich der westlichen Musik erweitern, auch wenn das manchem Hörer so erscheinen mag und obwohl das Ergebnis ihrer Arbeit von einem hypothetischen umgekehrten Prozess, bei dem sich hiesige Komponisten Elemente chinesischer Musik aneigneten, hörend nicht zu unterscheiden ist.

Die Unterschiede werden weniger markiert durch technische Elemente der Kompositionen wie bestimmte Skalen, Glissandi oder die spezifische Verwendung perkussiver Elemente. Die Unterschiede liegen eher in der überraschend selbstverständlichen und wirkungsvollen, zuweilen geradezu magischen Arbeit mit Stille (Wen Zhanli, „Another Space“ für Cello solo und sein Streichquartett „I want Cola, Sir“, Yang Lins Ensemble-Komposition „Dazwischen“ und das Quintett „Der Schatten nimmt Abschied“) und in der raffinierten Anwendung des hochheiligen alteuropäischen Parameters der Mehrstimmigkeit.

Was möglicherweise wiederum auf einem Hör-Missverständnis beruht: Verdient eine Mehrstimmigkeit, die, wie in Cheng Huihuis „In the Corner“ oder in Stücken von Xie Xin („North Among Green Vines“) einfach geschieht, ohne dass die Eigenständigkeit und Gegenläufigkeit der Stimmführungen angetastet oder auch nur aufeinander bezogen würde, diesen Namen wirklich? Oder ist Mehrstimmigkeit hier nicht nur die rein zeitliche Berührung musikalischer Linien, die bei europäischen Hörern einen Aha-ein-Mehrklang-Wiedererkennungseffekt erzeugt? Schwer zu sagen. Die Geschichten, Explikationen und Bekenntnisse, die die Komponisten in den Programmtexten ihren Stücken beifügen, lüften keine Geheimnisse. Sie verdichten allenfalls die Rätselhaftigkeit. Die Geheimnisse dieser Musik liegen woanders. Sie enthalten viel Neues, vor dem man kopfschüttelnd und nicht-verstehend verweilen kann, das ist auf alle Fälle produktiver als voreilig beifälliges Abnicken. Fühlt sich so eine freundliche Übernahme an? Ist dies das Gefühl, zitiert zu werden, aber nicht zu erkennen, in welchem Kontext? Egal, wer hier von wem was nimmt: Verwendet wird es verantwortungsvoll und raffiniert, und gegeben wird es den Hörern.

Radio-Tipps

Die Konzerte werden am 13. und  20. Januar 2009, jeweils um 20.05 Uhr, in hr2-Kultur gesendet.  www.hr2-kultur.de

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