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Singer Pur Tage auf Adlersberg. Foto: Michael Scheiner.
Singer Pur Tage auf Adlersberg. Foto: Michael Scheiner.
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Friedvolle Barockpunks – Die zweiten Singer Pur Tage am Adlersberg bei Regensburg

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Es war einer der Momente, in denen überdeutlich wird, dass Musik – wie auch Kunst im Allgemeinen – spürbar mehr ist und kann, als zu unterhalten, Vergnügen zu bereiten, anzuregen oder einfach zu zerstreuen. Beim Lied „Versa est in luctum“ weitete sich der gotische Kirchenraum in Adlersberg immer mehr aus, durchdrang die alten Mauern und dehnte sich unter dem Einfluss des Gesangs von Singer Pur und der Sopranistin Monika Mauch bis in kosmischen Dimensionen aus.

Ein Gefühl von tiefer Verbundenheit und friedvoller Erhabenheit mit allem Denk- und Erfahrbaren kann als spiritueller oder religiöser Eindruck oder auch einfach nur als Erlebnis schöpferischer Kraft angesehen werden.

Auch wenn klar ist, dass sich ein derartiges inneres Erleben aus dem Zusammenspiel von Architektur mit ihren akustischen Besonderheiten, dem Trauerlied eines Komponisten, Alonso Lobo (1555-1617), aus der Zeit der spanischen Renaissance und dem emotionalen Ausdruck der Sänger und Sängerinnen speist, gehört es zum Bewegendsten was Kunst vermag. In der mehrstimmigen Motette klagt der andalusische Kirchenmusiker darüber, dass sich sein „Harfenklang zu einem Trauerlied“ gewandelt habe. Es ist Teil des Programms „Musica Ibérica“, das die Mitglieder des Vokalensembles für die 2. Singer Pur Tage auf dem Adlersberg zusammengestellt haben.

Sie seien überglücklich, begrüßte Sopranistin Claudia Reinhard am ersten Abend des dreitägigen Festivals die Besucher*innen, die einen der knappen Plätze ergattern konnten, doch noch „leibhaftig vor Zuhörern singen zu können“. Vor wenigen Wochen hatten die Sänger noch damit gerechnet, die Konzerte ohne Publikum als Livestream und Rundfunkaufnahme zu singen. Der Rundfunk ist geblieben und hat das Konzert des ersten Abends über BR-KLASSIK live für ein größeres Publikum übertragen.

Die Idee für das Festivalthema wurde vergangenes Jahr auf einer kleinen Tour in Spanien geboren. In historischen Orten und Klöstern stellten Singer Pur Lieder und Gesänge vorwiegend aus der Zeit der spanischen Renaissance vor. Vom einstimmigen Mutter-Gottes-Lied „Santa Maria, strela do dia“ von Alfons X., genannt „El Sabio“, König von Kastilien und Leon, bis zum herrlich schwungvollen tänzerischen „Un sarao de la chacona“, einem mehrstimmigen Jubellied von Juan Aranés „auf das gut gelebte Leben“, präsentierten sie aus diesem Schatz am ersten Abend ein beeindruckend breit gefächertes Programm.

Begleitet wurden Singer Pur und die Sopranistin Monika Mauch, die das Ensemble als Gastsängerin verstärkte, bei dem Lied des Katalanen Aranés und einigen Motteten von der Leipziger Perkussionistin Nora Thiele und dem Lautenisten Hugh Sandilands aus Schottland. Gleich zu Beginn wiesen zarte Klänge von Glocken und Glöckchen, die Thiele an die Sänger verteilt hatte, den akustischen Weg zum Marienlob, das Thiele auf der Rahmentrommel höchst einfühlsam und innig begleitete. Abwechslung boten auch zwei Stücke des Komponisten Gaspar Sanz. Bei ihrer behutsamen und poetischen Interpretation ließen die beiden Instrumentalisten einmal die Zügel derart schnalzen, dass man glaubte in ihnen Punks des Barocks zu erkennen.

Das Ensemble selbst hat mit dem Bariton Jakob Steiner, der für Reiner Schneider-Waterberg dazu gekommen ist, einen Neuzugang zu verarbeiten, der sich in kürzester Zeit beeindruckend gut in den Ensembleklang integriert hat. Bot der erste Abend von zarter Trauer („Trist´ Espana sin ventura“) bis zur perkussiven Kraft eines lebhaften Liedes von Gaspar Fernandez („Eso rigor e repente“) viel Abwechslung an Stimmungen und Themen, gestaltete sich das Nachtkonzert am zweiten Tag einheitlicher und stärker am religiös-mystischen Eigenschaften liturgischer Musik orientiert.

Unterstützt vom leise flackernden Schein brennender Kerzen, welche die dunkel-erhabene Stimmung unterstrichen, begann es mit einem langen, intensiven Lamento von Alonso Lobo („De lamantatione Ieremiae prophetae“), formvollendet dargeboten in siebenstimmigem Ensembleklang. Mauch konnte sich dabei spürbar besser integrieren und harmonieren, als tags zuvor, wo sie mit einem von Sandilands an der Laute begleiteten herben Solostück („La vita fugge“) ein wenig aus dem Rahmen fiel. Am zweiten Konzertabend fügte sie sich perfekt ein und wob stimmlich an dem machtvoll-sakralen Raumklang mit, der die Aufführung beherrschte. Daraus stieß das „Heu me, Domine“ des schwarzen Komponisten Vicente Lusitano († 1561) deutlich hervor, dass einem in qualvoll aufsteigender Chromatik fast das Herz zerreißen konnte.


Zur Info:
Bei dem Festival der Vokalpolyphonie am Adlersberg in der ehemaligen Dominikanerinnenkirche „Unserer lieben Frau“, das als Singer Pur Tage nach gut 15 Jahren die ähnlich konzipierten Stimmwerck-Tage abgelöst hat, standen heuer weniger als ein Viertel der sonstigen Sitzplätze in den Kirchenbänken zur Verfügung. Wegen der Coronabeschränkungen mussten natürlich auch Masken getragen und exakte Wege eingehalten werden. Hinnehmen mussten die rundum begeisterten Zuhörer auch, dass die Künstler – Sänger und Instrumentalisten – mit Masken antraten und den anhaltenden Applaus entgegennahmen. Anstelle eines ursprünglich geplanten musikwissenschaftlichen Seminars hielten Christina Urchueguía und Moritz Kelber von der Universität Bern kurze, allgemein verständliche Einführungen vor den Konzerten.

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