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 Foto: © Tom Schulze
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Fröhliches Museum: Ein Plädoyer für Natschinski & Co. – „Mein Freund Bunbury“ an der Musikalischen Komödie Leipzig

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Etwas ist anders bei der Wiederaufnahme von Karl Zugowskis Inszenierung von „Mein Freund Bunbury“ an diesem Sonntag-Nachmittag, der andernorts „Tag des offenen Denkmals“ ist. Sie sind alle da in der Musikalischen Komödie Leipzig: Chefdirigent Roland Seiffarth i. R., der sich vor 1989 bei DDR-Musicals gerne gedrückt hatte, sein Amtsnachfolger Stefan Klingele und auch die Choreografin und Intendantin i. R. Monika Geppert, die so viele Stücke von Gerhard Kneifel und anderen mit ihrer wunderbar szeneaffinen Kompanie geprägt hatte. Nur einer fehlte diesmal: Gerd Natschinski, der Komponist selbst.

Gerd Natschinski, Komponist dieses erfolgreichsten DDR-Musicals, der 2014 noch die letzte Wiederaufnahme von „Mein Freund Bunbury“ freudig besucht hatte, war am 4. August 2015 verstorben. Nur wenige Monate nach seinem wichtigsten Konkurrenten Guido Masanetz, dem die Musikalische Komödie zu seinem 101. Geburtstag noch eine halbszenische Aufführung seiner Operette „In Frisco ist der Teufel los“ widmete. Bei „Bunbury“ im Parkett ganz vorne saßen seine Witwe Gundula, die Natschinski im Umfeld der Leipziger Uraufführung seines polyamourösen Musicals „Terzett“ kennengelernt hatte, mit zwei Söhnen des Komponisten.

Das hätte die Promotion-Abteilung des Schott-Verlags sehen sollen. Denn bei diesem lagern die von VEB Lied der Zeit und vom (Ost-)Berliner Henschel-Verlag zwar übernommenen, aber von Schott offenkundig wenig geschätzten Bestände fast aller in der DDR entstandenen Operetten und Musicals in den Depots: Ungenutzt, unbeworben und dem allmählichen Vergessen preisgegeben! Hits und Aufführung von „Bunbury“ waren auch diesmal zu Recht ein Riesenerfolg. Nicht nur bei den reiferen Gästen, die den positiven Identifikationskick mit ihrer Vergangenheit suchten und fanden, sondern auf gleicher Vergnügungsstufe bei vielen U30-Jährigen, die sich vom seit der Premiere 2001 aus dem Post-DDR-Chic in den Retro-Chic gereiften Charme der Produktion begeistert umgarnen ließen.

Vor allem musikalisch. Christoph Johannes Eichhorn machte die puristisch in den 1960er Jahren swingende, springende Instrumentation mit dem bestens aufgelegten Orchester der Musikalischen Komödie blitzen, schmettern, strahlen. Getragen von ihren mit dem Stück vertrauten Kollegen konnte sich die neue MuKo-Soubrette Laura Scherwitzl aus Wien hervorragend als Cecily zwischen Londoner Heilsarmee und Music Hall einfügen und in dem für sie höchstwahrscheinlich ungewohnten Werk bestens reüssieren.

Aber dieser fröhliche Sonnenschein trügt und ist, wenn nicht bald etwas geschieht, das Abendrot der ganzen Werkgruppe einer Epoche, selbst wenn das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg an der Naturbühne Greifensteine im Juli Natschinskis Filmmusical „Heißer Sommer“ zum echten Sommerhit 2018 und einer properen Alternative zu „Eis am Stiel“ gemacht hatte: Von den Bühnen aller deutschen Bundesländer, sogar der neuen, sind das Schaffen von Natschinski und auch von Masanetz, Kneifel, Odd, so gut wie verschwunden. Das ist nichts anderes, als würde man den westlichen Gefilden „Linie 1“ oder Grotes „Das Wirtshaus im Spessart“ wegnehmen.

Da tappen die Theatermacher, die Erben der Komponisten und auch das Publikum in eine Falle, wenn Möglichkeiten zur Neuerschließung vermieden werden, sich deshalb Image und Vorurteile gegenüber den Werken verhärten. Nachdem die Neuköllner Oper 1998 mit liebevoller Frechheit eine dann sehr erfolgreiche Bearbeitung mit Neuarrangement von Natschinskis „Messeschlager Gisela“ gewagt hatte, setzte keine Bühne diese Ambition einer behutsamen Vergegenwärtigung, Interpretationserweiterung und Perspektiven-Verschiebung fort. Die folgenden Inszenierungen von „Bunbury“ saßen in der Konventionen-Falle – am besten alles wie vor 1989! Selbst wenn Marlis Knoblauchs Ausstattung von „Bunbury“ an der Musikalischen Komödie mit Lippen-Sofa und anderen Frivolitäten Trends der Jahre um die Premiere aufgreift, beherzigte Karl Zugowskis Inszenierung auch bei allen Wiederaufnahmen vor allem die beträchtlichen, aber zunehmend anachronistischen Regie-Tugenden der bereits etwas auskargenden DDR-Musicalzeit vor 1989. Bei der Produktion von „In Frisco der Teufel los“ an der Musikalischen Komödie zierte man sich 2015 gar vor der Handlung, zeigte lieber mit unverbindlicher Nostalgie die Aufzeichnung und Konzertübertragung aus einem Rundfunkstudio der DDR. Verpasste Chance, geringer Effekt!

Fazit dieser „Bunbury“-Wiederaufnahme und ihres glänzenden Erfolgs: Es braucht mehr Neugier und Mut zu einer frechen Annäherung an Natschinskis „Terzett“, Kneifels „Sexischen Krieg“ oder „Irene und die Kapitäne“! Nicht nur an der Komischen Oper gibt es eine neue Generation pfiffiger und lustvoll risikobereiter Musical- und Operetten-Macher wie Sebastian Ritschel, Martin G. Berger und natürlich Barrie Kosky. Da sollten die Musikalische Komödie, die Staatsoperette Dresden oder die Landesbühnen Sachsen endlich Mut und Herz zur Erschließung der eigenen Musical- und Operetten-Vergangenheit vor 1989 aufbringen. Schließlich gibt es über 200 Titel. Nicht alle können schlecht gewesen sein – da gehört einiges auf den sympathetischen Prüfstand.

  • Wieder am 29. & 30. Sep. / 03. Okt. / 30. & 31. Dez. (14:30 und 19:00) 2018

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