Neben Kooperationen nach außen wie beim Konzert am letzten Mittwoch im Steintor-Varieté Halle mit der Festival Alliance of Contemporary Music in Europe (F.A.C.E.) betreibt das IMPULS-Festival 2020 auch interne Synergien. Erstmals wurden die seit einigen Jahren intensivierten Nachwuchsprogramme für Komponisten und Instrumentalsolisten zusammengeführt. Werke entstanden für Interpreten aus den Meisterklassen und wurden in gemeinsamen Probenprozessen entwickelt. Seit Mai arbeitete man im Composer-Workshop mit der Komponistin Annette Schlünz an Verfeinerungen der kreative Initialzündungen. Zu hören waren die Ergebnisse bei einem Schulkonzert in Magdeburg (15. Oktober), im Grassi-Museum Leipzig (16. Oktober) und im Bauhaus-Museum Dessau (18. Oktober).
Corona-Handicap: Veranstaltungen mit Publikum sind derzeit in keinem der drei dafür optimalen Säle des Grassi-Museums Leipzig möglich. Also verlegte man das Finale des „IMPULS-Campus“ am 16. Oktober in das akustisch schwerfällige Treppenhaus. Ein Ziel der Kooperation dieser Meisterklassen neben dem intensiven Austausch war, für die durch über Jahrhunderte nur sparsam mit Solowerken bedachte Viola neue Stücke zu generieren. Bei insgesamt drei Konzerten traf also die Viola-Masterclass von Sara Maria Rilling auf das Neue Musik-Ensemble Tempus Konnex und den Hornisten Daniel Costello (Anhaltische Philharmonie). Einer der Komponisten konnte nicht zur Uraufführung aus Strasbourg anreisen, weil die Stipendiengelder aus seinem Heimatland wegen der Corona-Rezession ausblieben und er neben dem Auslandsstudium jetzt selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen muss.
Umrahmt wurden die kurzen Werke von Fojan Gharibnejad, Nicolás Medero Larrosa, Lars Opfermann und Julius von Lorentz mit Auftragskompositionen des IMPULS-Festivals an die früheren Masterclass-Teilnehmer Mioko Yokoyama und Michele Foresi. Deren Weiterentwicklung war deutlich zu hören. Yokoyamas „Where a Pendulum becomes free“ (Wo ein Pendel frei schwingt) findet im Verzicht auf Elektronik und außergewöhnliche Spieltechniken zu suggestiver Schlichtheit. Bei Michele Foresis „Ant Death Mill“ (Ameisen-Todesmühle) knirscht, rumort und schrillt es bei jedem Crescendo-Anlauf anders aus dem musikalischen Satz. In Foresis Opus sind Klangballungen ebenso formbildend wie die Entwicklung der Einzelstimmen.
Unter den Masterclass-Kompositionen bedürfte es im Falle von Fojan Gharibnejads „Laborexperiment.Void“ für die neben dem emphatisch auftrumpfenden Bratscher Gordon Lau erforderliche Feinelektronik einer Überprüfung an anderem Ort. Die Kombination von Percussion-Effekten mit dem Soloinstrument wirkte weitaus spannender als die elektronische Zuspielung.
Durch einen robusten Umgang mit Lautstärken und dem Vertrauen auf das die Spannung seines Werks steigernde Kommunikation der Musiker untereinander hinterließ „Verläufe I“ des noch studierenden Julius von Lorentz den stärksten Eindruck. Aus der Luftzufuhr in einen Wassereimer und dem daraus entstehenden Blubbern entwickelte von Lorentz einen nachvollziehbaren und dabei bemerkenswert bunten Mikrokosmos von Tonverbindungen mit Freude an instrumentaler Vielfalt. Offenbar vertraute von Lorentz der intuitiven Kommunikation des Ensembles.
Trotz der problematischen Akustik im Treppenhaus des Grassi-Museums war in den Auftragskompositionen Yokoyamas und Foresis für Bratschen ohne weitere Instrumente erkennbar, dass der Eigenklang dieses Streichinstruments in mittlerer Lage noch weitgehend ungenutztes Potenzial bietet. Umso auffälliger ist, dass die Teilnehmer des Composer-Workshops, ausgenommen von Lorentz, in ihren Kompositionen an den Möglichkeiten von Klangfarben-Effekten scheinbar weniger interessiert sind als an satztechnischen Konstruktionen. Bei Uraufführungen richtet sich die Aufmerksamkeit meist mehr auf die Kompositionen als auf die Interpreten. Dabei wäre in diesem Kontext auch von Bedeutung, was die Musiker*innen an Erfahrungen aus diesen Workshops mitnehmen und was ihre Hochschul-Expertisen ergänzen bzw. erweitern wird.
In „Corrosion“ von Nicolás Medero Larrosa war nicht erkennbar, ob diese „Ätzung“ sich durch obsessives Spiel oder aus den Eingeweiden der Komposition in das Hören fräsen sollte. Lars Opfermann versuchte in seinem „Bratschenkonzert“ für zwei Soloinstrumente eine Staffelung des Raumklangs, indem er Instrumente aus dem Ensemble löste und auf den Treppenstufen positionierte. Die Dirigenten Bar Avni begrenzte ihre Präsenz auf die unmittelbar wichtigsten Koordinations- und Steuerungsaufgaben. So verbarg sie, mit welchen vom Auditorium kaum bemerkten Schwierigkeiten die Masterclass-Teilnehmer ihre studierenden und professionellen Interpreten konfrontierten. Spieltechnische Mittel und Effekt schienen nicht immer in angemessener Verhältnismäßigkeit.
Es liegt nur zum Teil am problematischen Veranstaltungsort, dass dieses Konzert nicht zu der sinnlich überwältigenden Wirkung wie „Enter The Void“ zwei Tage vorher im Steintor-Varieté aufschießen konnte. Von Seite der Komponisten war es ein Kompromiss, weil einige ihre Stücke für die gestellte Besetzung erst einrichten mussten. Zum anderen war aufgrund der enormen Beanspruchung der Mitwirkenden aus der Viola-Masterclass - Mila Krasnyuk, Sào Soulez Larivière, Cristina Cordero, Gordon Lau und Njord Kårason Fossness – nicht genau erkennbar, wo neben der strukturellen Fusion der beiden Masterclasses der Mehrwert einer artistischen Synergie liegt. Denn diese beginnt erst nach der Bewältigung spieltechnischer und performativer Herausforderungen. Vielleicht stand das Gastspiel des IMPULS-Festivals im Grassi-Museum intern gar nicht als ‚fertiges‘ Konzert auf dem Plan, sondern als Arbeitsprobe vor dem Hauptauftritt im Bauhaus-Museum Dessau.
- future void. Das internationale Nachwuchsprogramm für Komponisten und Solisten - Leitung: Annette Schlünz (Komposition) und Sara Maria Rilling (Viola) - Tempus Konnex Leipzig - Bar Avni (Dirigentin) - 6 Uraufführungen (IMPULS-Auftragskompositionen) zum Thema „VOID“ von Hyewon Son (Korea), Fojan Gharibnejad (Iran), Nicolás Medero Larrosa (Argentinien), Lars Opfermann, Julius von Lorentz (Deutschland) - Viola: Mila Krasnyuk (Ukraine), Sào Soulez Larivière (Frankreich), Cristina Cordero (Spanien), Kwan Hon Gordon Lau (Hong Kong), Njord Kårason Fossness (Norwegen) - Mioko Yokoyama „Where a Pendulum becomes free“ (UA, IMPULS-Auftragskomposition) - Michele Foresi „Ant Death Mill“ (UA, IMPULS-Auftragskomposition)