Gibt es in der Musik, der Kultur im Allgemeinen, so etwas wie den Anspruch auf eine Wiederholung des Erfolgs? Wenn die Rahmenbedingungen stimmen und das Konzept passt, sind dann Kreativität und kulturelles Schaffen planbar? Geht es nach den für Kultur in Stadt und Land Verantwortlichen, soll, ja muss es so sein, damit sich die eingesetzten Steuermittel rechnen, sie vor dem imaginären Steuerzahler zu rechtfertigen sind. Also beherrschen Faktoren wie Auslastungsquote, eingespielte Geldmittel, Sponsoringanteile die kulturelle Debatte, weniger aber die Frage nach der künstlerischen Qualität des Ergebnisses.
Der Kissinger Sommer, vor nunmehr siebzehn Jahren ins Leben gerufen, verstand sich von Anfang an auch als ein Festival, das sich selbst bespiegelnd und reflektierend mit den Rahmenbedingungen kulturellen Schaffens auseinander gesetzt hat. Und so sind Diskussionsrunden neben allen musikalischen Veranstaltungen dort ein weiterer Schwerpunkt. In diesem Jahr standen zwei Themen zur Diskussion: „Die Rolle von Sponsoren und privaten Mäzenen für den Kulturbetrieb“ (Leitung: Peter Ruzicka) und „Der Stellenwert von Kultur in Deutschland“ (Leitung: Volker Hassemer, ehemaliger Kultursenator des Landes Berlin). Letzerer appellierte leidenschaftlich für mehr bürgerschaftliches Engagement in der Kultur, forderte ein Netzwerk, das die politischen Entscheidungsträger kompetent fordert und kontrolliert.
Dass Kultur in der Provinz nicht provinziell sein muss, beweisen die musikalischen Highlights des Kissinger Sommers, der charmant mit seinem natürlichen Umfeld einer kleinen unterfränkischen Kurstadt spielt. Noch mehr als in den Großkapitalen der Kultur kommt es hier darauf an, Jahr für Jahr Überzeugungsarbeit zu leisten: beim Publikum, den Politikern und vor allem bei den Kissinger Bürgerinnen und Bürgern, die – der Provinz sei´s gedankt – mit ihrer Meinung noch niemals hinter dem Berg gehalten haben. Kompromisslos auf ihre Art ist freilich auch die Intendantin des Musikfestivals, Karin Kahl-Wolfsjäger.
In Bad Kissingen wurde überzeugend belegt, dass auch Traditionelles neue Wege beschreiten kann. Und so präsentierte sich dort erstmals auf dem Kontinent das BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Andrew Davis mit einer originalen Last Night of the Proms. Mit einem Programm wie sommerliche Mixed Pickles: Sibelius’ „Finnlandia“, Berlioz Ouvertüre „Le Corsaire“, eine Arie der Oper „Béatrice et Bénédict“ (Isa Gericke, Sopran); aber auch – in Anwesenheit des Komponisten – die meisterlich gefügten zwei Tangos nach Albeniz und von Davis durchscheinend genau angelegt, „Le tombeau de Couperin“ von Maurice Ravel. Einen besonderen Genuss bereitete Jean Yves Thibaudet (Klavier), der sich an das viel geschmähte Grieg´sche Klavierkonzert wagte und es von allem süßlichen Schmelz befreite.
In einer Stadt, in der sogar der Förderverein des Festivals mehr zeitgenössische Musik fordert, gehört eine Veranstaltungsreihe wie die „Lange Komponistennacht“ mittlerweile zu einer festen und geschätzten Größe des Programms. In diesem Jahr war es das Minguet Quartett, das sich zu mitternächtlicher Stunde mit Werken von Ruzicka (3. Streichquartett über ein Verschwinden), Penderecki (Streichquartett, 1986) und Rihm („Im Innersten“) einem jungen, neugierigen Publikum stellte.
Neben der neueren zeitgenössischen Musik ist weiterer Schwerpunkt die Förderung des musikalischen Nachwuchses, der – ex oriente lux – im Zusammenhang mit dem 300. Geburtstag von St. Petersburg vornehmlich aus der russischen Kulturmetropole kam. Staunen macht immer wieder die bedingungslose Hingabe dieser jungen Menschen an die Musik. Nicht die Frage nach dem Warum und Wieso, sondern die Einsicht, dass dem Müssen ein Können folgt, ist Garant für eine lebendige Musikkultur. Wenn dann der siebzehnjährige Miroslav Kultyschev, der seit elf Jahren öffentlich auftritt, mit einer Chopin Matinee begeistert, mit der Polonaise-Fantaisie As-Dur, zwei Nocturnes (Fis-Dur opus 15 Nr. 2 und c-moll op.48 Nr.1), vier Mazurken, der g-moll Ballade und der äußerst anspruchsvollen h-moll Sonate, wenn dann dieser junge Virtuose als Zugabe neben einer Liszt-Etüde die Prokofieff Toccata spielt, ja dann kann man nur hoffen, dass er im nächsten Jahr wieder im Westen auftreten darf und nicht dem russischen Militärdienst in die Hände fällt.
Und wie wird es weitergehen? Im September startet die erste Kissinger Klavierolympiade, für die ohne staatliche Hilfe ein fünfstelliger Eurobetrag aufgebracht wurde. Damit wird Bad Kissingen für sechs junge Preisträger im Fach Klavier Podium und Sprungbrett für eine internationale Karriere sein.
Nimmt man den Kissinger Musiksommer als Maßstab, kann man den deutschen Kulturmetropolen nach diesem erfolgreichen Festival nur von Herzen mehr Provinz, mehr Einfallsreichtum, mehr Mut und künstlerischen Erfolg wünschen.