Frieder Reininghaus hat sich Verdis „Macbeth“ an der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam angesehen. Eine nicht ganz entschlossene Inszenierung von Andrea Breth, die die „konservativen Erwartungen an gediegene Theaterproduktionen“ erfülle; herausragend, neben dem Chor der Niederländischen Nationaloper, das Dirigat von Marc Albrecht, den unser Kritiker als Nachfolger der Kapelle der Deutschen Bank in Berlin ins Gespräch empfiehlt.
Die Figur des Warlords Macbeth, der es in Schottland des 11. Jahrhunderts zum Thron eines Regionalkönigreichs brachte, wurde der Neuzeit durch Shakespeares Drama nahegebracht – durch ein Stück mit politischem Zeitbezug. Der geriet dann zunehmend in den Hintergrund, bis Francesco Maria Piave und Giuseppe Verdi den Plot für die Musiktheaterbühne bearbeiteten. Dabei werteten sie die Rollen der wahrsagenden Hexen und der erst machtbesessenen Lady des Tyrannen auf. Die Oper „Macbeth“ kam 1847 heraus, kurz vor den Revolutionen und Erhebungen gegen Fremdherrschaft, die weite Teile Europa erfassten. Mit der „Patria“-Komponente hatte dann in hiesigen Breitengraden das späte 20. Jahrhundert seine lieben Mühen, da der Patriotismus wie der bewaffnete Kampf gegen Diktaturen keine Themen mehr sein sollten und wollten. Das hat sich dann in den letzten Jahren wieder etwas geändert vor dem Hintergrund dessen, was in Libyen, Syrien oder der Ukraine zu beobachten war. Ohne wenigstens eine gewisse politische Aufmerksamkeit geht es also bei „Macbeth“ nicht ab, wenn das Werk im Sinn der Erzeuger ernst (oder gar „treu“) genommen werden soll. Andrea Breth, 1992–97 Direktorin der Berliner Schaubühne, dann tonangebend am Wiener Burgtheater, hat es nun an De Nationale Opera der Niederlande inszeniert.
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Wo weissagen heute noch die Hexen, was und wie? In Amsterdam tun sie es unter Nebelschwaden im dichten hohen kunstschottischen Farn. Dabei lungern sie in kleinen Gruppen hinter Büchertischen. Die lassen sich in dieser grünen Hölle zwar vermutlich nicht besonders umsatzträchtig betreiben, sind aber eine liebe Erinnerung an die universitären 70er Jahre, in die ja auch der ökologische Aufbruch fiel. Die orakelnden Frauen, nach dem Ebenbild der Regisseurin herausgeputzt, sitzen später auch wie Legehühner in beziehungsweise auf Käfigen, blättern dabei auffällig aufgeregt in alten Büchern – und entwickeln dadurch Sehschärfe für die Zukunft. Eine Hexenwelt wie von Otfried Preußler fürs Kinderbuch gebändigt – eine schöne Idylle. In sie dringt Böse-Männliches ein: Soldaten. Die Kostümierung signalisiert Erinnerung an die militärischen Konflikte der Kindheitstage von Andrea Breth – Indochina- und Vietnam-Krieg. Dieser Historismus ist in einer Zeit, in der sich die Soldatinnen und Kameraden unserer sich neu erfindenden Bundeswehr an wenigstens sieben Fronten einsetzen, von gleisender Aktualität (die HolländerInnen verhalten sich übrigens bei der Verteidigung ihrer flachen Heimat im bergigen Hindukusch oder am wässrigen Kap Horn zurückhaltender als die Deutschen). Erlaubt sei an dieser Stelle vielleicht ein einsatztechnischer Hinweis für die Regisseurin, die selbst vermutlich nicht gedient hat: Untergebene richten in der Regel ihre automatischen Waffen nicht auf ihre Vorgesetzten, während diese zu ihren höchsten Tönen mit der MP fuchteln – wie zum Beispiel der Heldentenor Wookyung Kim als Macduff.
Marc Albrecht bringt von Anfang an mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest den Furor der Musik aus Verdis besten Jahren so treffend zur Geltung wie das Lakonisch-Konzise, das in dieser Oper erstmals hohe Meisterschaft unter Beweis stellt. Albrecht erweist sich also so energisch wie feinnervig. Dass die als wahnsinnig werdende Gattin und Antreiberin des Macbeth vorgesehen Nadja Michael ausfiel, war ein dicker Wermutstropfen für die Produktion – Amarilla Nizza hat als Ersatzfrau nicht nur Probleme mit der ‚Inneren Führung‘, sondern generell mit dem Spurhalten. Das ist aber im Opernhaus so wichtig wie gegebenenfalls auf der Autobahn. Durchaus imposant allerdings präsentiert sich der Chor der Niederländischen Nationaloper: Wie er beim Meeting im Farn die Re- und Depression des Vaterlands beklagt, ist geeignet, ihn zum „Chor des Jahres“ zu wählen.
Womöglich war es der Regisseurin ein Anliegen, die Banalität des Bösen zu inszenieren – sie zeigt böse Banalität. Dabei ist die Ausstattung des Schlafzimmers von Herrn und Frau Macbeth mit gepolsterten Wänden die plausibelste Bildidee: Die Schalldämpfung soll nichts von den Entzweiungen, Einreden und Nötigungen, die hier an der Tages- und Nachtordnung sind, nach draußen dringen lassen. Das Kindergitterbett, das nicht mit Nachkommen, dafür mit einem großen weißen Teddybär bestückt wird, avanciert – man ahnt es von der ersten Sekunde an – zum Altar des Wahnsinns. Und der Bär wird angekokelt. Wie das Ehegemach ist auch die Waffe, mit der ein Auftragsmörder Banco fällt, schallgedämpft.
Andrea Breth zeigt die Schrecken beiläufig und ohne Blutspuren. Damit erfüllt sie eine der zentralen konservativen Erwartungen an gediegene Theaterproduktionen. Davon hat sie eine größere Zahl auf den Weg gebracht. Der Amsterdamer „Macbeth“ gehört nicht zu den elaborierten, auch wenn sich Scott Hendricks als Titelheld mehr als achtbar schlägt und Marc Albrecht als Nachfolger von Simon Rattle als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker empfiehlt. Würde er beim Primus der Berliner Klangkörper andocken, hätte die a ja wieder einen Führungskopf, der auch Oper kann.