Es passt zum Griechenlandschwerpunkt, den der Erfurter Intendant Guy Montavon seinem Haus in dieser Spielzeit verordnet hat. Und den er Schritt für Schritt umsetzt. Samt Uraufführung, Ausgrabungen, Klassiker. Alles was zum Thema passt und da passt ja bekanntlich vieles.
Für die Inszenierung von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) Oper „Telemaco ossia l’isola di Circe“ (Telemach oder Die Insel der Circe), die der Opernreformer 1765 für die Hochzeit des späteren Kaisers Joseph II. komponiert hatte, und die heute nur ganz selten einmal auf der Bühne zu erleben ist, hatte Montavon noch einen Joker vorgesehen. Der gleich nebenan in Weimar ansässige hochgeschätzte Schauspielstar Thomas Thieme sollte mit der Inszenierung sein spätes Debüt als Opernregisseur geben. Aber man hatte sich wohl auf beiden Seiten zumindest soweit verschätzt, dass Thieme aus dem Vertrag ausschied und jetzt Stephan Witzlinger auf dem Programmzettel hinter der Position Inszenierung vermerkt ist. Der hat Regieerfahrung und ist seit 2021/22 Abendspielleiter am Haus. Und nun ist er eben der mit viel Beifall bedachte Regisseur von Glucks „Telemaco“. Die Oper Erfurt kann jedenfalls mit ihrer Opern-Exkursion auf Circes Zauberinsel auch ohne den angepeilten Promifaktor in Sachen Regie einen veritablen Premierenerfolg verbuchen.
Die Zwischenstellung des heute vor allem mit „Orfeo ed Euridice“ im Repertoire präsenten als großer Opernreformer apostrophierten Gluck zwischen Barock und Mozart war zu seiner Zeit ein Verdienst. Heute in Zeiten des anhaltenden Barockbooms und der Dominanz von Mozart ist sie eher ein Problem. Das eine nicht bewusst nicht mehr und das andere noch nicht zu sein macht (zu Unrecht) „verdächtig“. Der maßvolle, aber doch drängende Orchester- und Arienfuror seines „Telemaco“ reichte jedenfalls nicht für einen Platz im Repertoire. Vor zwölf Jahren hatte sich Tobias Kratzer in Schwetzingen um das Werk verdient gemacht, und die Welt jenseits von Circes Zauberinsel, also die mit seiner Penelope daheim in Ithaka in das Stück gespiegelt. In Erfurt bleibt man bewusst auf dieser Insel, macht aber genauso deutlich, dass sich dieses Werk hören und auch sehen lassen kann.
Was zuerst an Nicolas Krüger und dem in guter Forma aufspielenden Philharmonischen Orchester Erfurt, den Protagonisten und an dem nach Thomas Thiemes Abgang eingesprungenen Regisseur liegen mag. Diesmal aber auch besonders an der pfiffigen Ausstattung von Hank Irwin Kittel. Mit einem originellen und zudem reibungslos funktionierenden Neonröhren-Mikado hat er einen Raum geschaffen, in dem die Gefühle und Affekte der Protagonisten unmittelbar in wandelbare Raumskulpturen, samt wechselnder Farbspiele übersetzt werden. Als Ergänzung wird dazu lediglich das Hubpodium gebraucht, unter dem die Behausung des Odysseus verborgen ist. Obendrein sind die Kostüme (jenseits jedes Alltags-Secondhand) eine Klasse für sich, ja geradezu laufstegkompatibel! Dass das Kleid für Zauberin Circe mit seiner opulenten Eleganz dabei optisch im Zentrum steht, passt zur inhaltlichen Konzentration der Inszenierung auf diese Inselherrscherin, vor deren Zu- und Übergriff bekanntlich kein vorbeikommender Krieger sicher ist. Den eigentlich auf dem Heimweg von Troja segelnden Odysseus (und seine Leute) hat sie schon sieben Jahre in ihrer Gewalt, als ein Orakelspruch (des profunden Kakhaber Shavidze als Oracolo) sie mehr oder weniger dazu zwingt, die Gefangenen freizugeben. Was Circe dann aber mit allen Mitteln (von Alpträumen bis zur Sabotage) wieder zu hintertreiben versucht.
Das Besondere dieser Variante der Geschichte besteht darin, dass Odysseus’ Sohn Telemach dem Vater bis auf dies gefährliche Insel entgegen gekommen ist. Dieser (gut opernitalienisch) Telemaco wird von Valeria Mudra mit angenehmem Mezzo ausgestattet. Julian Freibott ist dessen von Circe ziemlich handgreiflich begehrter, attraktiver Vater, der mehr auf die Glaubwürdigkeit seines vehementen Widerstandes setzt, also drauf, jede Höhe blitzsauber poliert abzuliefern. Quasi als Lohn für seinen Sohneseifer findet Telemaco in der vermeintlichen Nymphe Asteria (elegant und intensiv: Daniela Gerstenmeyer) eine Braut für sich, die schließlich auch sein Vater akzeptiert, weil sie sich im letzten Moment als standesgemäße, einst von Circe entführte Königstochter erweist. Für den vokalen Glanz des Abends ist neben der mit enormer Präsenz spielenden und angemessener Dramatik aufwartenden Candela Gotelli als Circe vor allem die, mehr den Besetzungskonventionen wegen an der Seite von Telemaco reisende Merione verantwortlich. In dieser Partie glänzt die junge ukrainischen Sopranistin Evelina Liubonko mit furiosen Koloraturen, die an Ort und Stelle mit Szenenapplaus bedacht wurden. Am Ende verlassen Odysseus und die Seinen, Insel, Bühne und Stück über den Zuschauerraum. Da die Flüche, die ihnen Circe hinterher schickt, nichts nützen, sorgt sie für den Untergang ihrer verbliebenen Getreuen und schließlich von sich selbst! Verdienter Jubel für alle!