Wenn sechs junge Damen sich „Gefährlichen Liebschaften“ widmen, verspricht das ein sinnliches Vergnügen – für das Ohr, wenn sie einschmeichelnd singen, leise wie laut, hoch wie tief, im plappernden Recitativo wie im geschmeidigen Belcanto oder mit rasanten Koloraturen – für das Auge, wenn sie bezaubernd im wallenden Countuche und mit fein gepuderten Perücken oder, um vielleicht das Männliche zu ergründen, im langen Rock, in vornehmen Culotten und seidigen Strümpfen sich bewegen.
Das Versprechen erfüllte sich bei einer Aufführung der Musikhochschule Lübeck zunächst in Bad Oldesloe im Kultur- und Bildungszentrum (11. und 12. Juni 2017). Noch einmal wird es das voraussichtlich tun, wenn das sinnliche Stück die Trave abwärts in eigenen Gemäuern (24. und 25. Juni) dargeboten wird. Besonders reizvoll dabei ist, dass in Bad Oldesloe der kleinere Raum die Agierenden in Tuchfühlung zum rundum sitzenden Publikum brachte, während die Konzertbühne an ihrem Ausbildungsort sie eher distanziert.
Aparte Aufgabe
Die Aufgabe in diesem Semester ist damit für die sechs Studentinnen besondere apart. Sie durften sich mit allem Einsatz der intriganten Liebe hingeben – und das im Rahmen beruflicher Ausbildung. Sie durchlebten eine Zeit, in der Liebe ein Gesellschaftsspiel war, bevor die nüchternen, revolutionären Sansculotten den Zeitgeist bestimmten. Nach Honeggers „Abenteuern des Königs Pausole“ im vergangenen Jahr, bei dem alle schon am Erfolg teilhatten, wollte man sich offenbar mit den „Gefährlichen Liebschaften“ amourös steigern. Der Briefroman von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos, im Original „Les Liaisons dangereuses“, war 1782 erschienen und ist ein feinsinnig gesponnenes Sittengemälde des ausgehenden Ancien régime. In ihm „führen mehrere Personen … einen derart sittenlosen Lebenswandel, dass man unmöglich annehmen kann, sie hätten in unserem Jahrhundert gelebt, in diesem Jahrhundert, in dem – wie jeder weiß – Aufklärung und Wissen überallhin gedrungen sind, so dass alle Männer rechtschaffen, alle Frauen züchtig und so sittsam geworden sind“. So übersetzte Walter Widmer eine Passage aus den ironischen „Vorbemerkungen“ des Briefromans.
Erst vor zwei Jahren feierte der einstige Skandalerfolg als Musical an Münchens Gärtnerplatz muntere Auferweckung. Aber nicht darauf bezieht sich die neuerliche Inszenierung. Sie basiert auf einer 1998 in Gelsenkirchen aufgeführten Fassung des Schweizer Dirigenten Samuel Bächli. Auf nur sechs Personen, zwei davon als Hosenrollen gestaltet, (um auf der Bühne das Handfeste zu vermeiden?) hatte er das verzwickte intrigante Geschehen verkürzt. Turbulentes bleibt genug, wenn die angesehene Marquise de Merteuil, Contessa genannt, und ihr abtrünniger Geliebter Vicomte de Valmont ihre erotischen Intrigen spinnen, auch wenn mit Riccardo, im Roman Ritter Danceny, für Valmont nur ein einziger „männlicher“ Widersacher verbleibt, der dann das tragische Finale herbeiführt und er Valmont im grandios gestalteten Degenduell ersticht.
Ein kostbares Pasticcio
Es sind also sechs Sängerinnen vonnöten, dem Händel in Liebesdingen Gestalt und Stimme zu geben und dem mit dem Vornamen Georg Friedrich in Noten zu folgen. Denn aus dessen Opern von A bis X, von Ariodante bis Xerxes, waren Arien zu einem Pasticcio gemischt. Die barocke Oper hat ja bekanntlich die Handlung in die Rezitative versetzt, die hier in Deutsch die des Romans vorantrieben, während die im originalen Italienisch gesungenen Arien Freud und Leid ausdrückten. Für die schwelgenden Gemütszustände und die Seelengewitter wurde Zahlreiches und Angemessenes gefunden, so dass quasi von einer neuen Oper Händels zu sprechen ist, zumal seinerzeit der Austausch der musikalischen Höhepunkte gang und gäbe war.
Spiel- und Spiegelwelt
Inszeniert hat Claudia Gotta (Deutsche Oper Berlin) dies muntere Spiel um Macht und Erotik, um Konvention und Selbstbestimmung. Es ereignet sich in einer kargen Szenerie (Bühnenbild: Olga von Wahls), bei der eine Bank und mehrere Tische zum Schreiben und Lieben praktikable bis drastische Treffpunkte bilden. Das Rokoko liebte die Natur, hier ein stattlicher Strohhaufen, in dem man sich genüsslich wälzen kann. Wichtigstes Objekt aber ist eine Art Spiegelbaum, der der Regie dient, Eitelkeiten und Selbstbespiegelung zu demonstrieren. Sie sind gleichzeitig Ausdruck von Selbstüberschätzung, von Kontrolle wie Unsicherheit. Dieses große Gebilde ist zwar ein sinnspendendes Objekt, versperrte aber aus mancher Perspektive die Sicht.
Belcanto
In den Kostümen und unter viel Puder fühlten sich die Damen recht wohl (Kostümbild: Carl-Christian Andresen), sangen und kokettierten überzeugend, voran Lena Langenbacher als Comtesse und Dorothea Bienert als Valmont. Für Camilla Ostermann war eine so nicht im Roman vorkommende Partie als Maria geschaffen, die eine der von Valmont Umgarnten ist. Franziska Buchner überzeugte als eher strenge Mutter Eleonora und Sandra Gerlach als ihre zunächst unschuldige Tochter Francesca. Milena Juhl schließlich gestaltete die zweite Hosenrolle. Den musikalischen Rahmen gab geschmeidig ein kleines Kammerorchester mit sechs Studenten unter musikalischer Leitung von Professor Robert Roche. Wenig überzeugte allerdings eine der Arien, bei der ein moderner Flügel begleitete. Das Klangbild veränderte sich dadurch stark.
Es wird hier auf die Bewertung Einzelner verzichtet. Das sei den Prüfungsjuroren an der Hochschule überlassen. Nur so viel: Das Publikum der Erstpräsentation war begeistert und spendete lange Beifall.