Mit einem bewährten Operettenklassiker versucht das Theater Regensburg sein reduziertes Publikum bei Laune zu halten. Vor allem im ersten Akt gelingt dies Regisseur Cusch Jung und dem Ensemble bestens.
„Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist!“ Die berühmteste Textzeile aus der „Fledermaus“ ist gleichzeitig eine Kernbotschaft der Gattung Operette überhaupt. Sofern man diese als eine hauptsächlich eskapistische versteht, und wer wollte in Zeiten wie diesen nicht für einen Abend in Melodienseligkeit, frivole Rollentauschkonstellationen und ein wenig Bühnen-Slapstick entfleuchen?
Die rund 130 zugelassenen Besucher hatten jedenfalls Lust drauf und bekamen den erhofften Booster an Unterhaltung, der hoffentlich eine Weile gegen Trübsal immunisiert und vor schweren Grantverläufen schützt. A propos: Regisseur Cusch Jung beließ es bei ein paar dezenten Anspielungen und auch Michael Heubergers routiniert-beschwipster Gefängnisaufseher Frosch ritt im dritten Aufzug nicht lange auf der pandemischen Gesamtsituation herum. Danke dafür.
Doch der Reihe nach. Was einen als erstes wohltuend aus dem Alltag riss, war das atemberaubende Bühnenbild des ersten Aufzugs: Karin Fritz hat für das Anwesen derer von Eisenstein einen Art-déco-Traum in Schwarz, Weiß und Mattgold entworfen. Eine riesige kreisförmige Öffnung gliedert den Raum großzügig, seine glatten Rundungen laden im weiteren Verlauf zu allerhand munteren Rutschpartien ein. In diesem kühl-mondänen Ambiente entwickelt sich die Exposition von Doktor Falkes Racheintrige zum Filetstück des Abends.
Das Timing stimmt, die Pointen sitzen, die ersten Gassenhauer moussieren („O je, o je, wie rührt mich dies…“), und schon hier wird klar, dass die Besetzung der Adele und der Rosalinde eine ideale ist: Eva Zalenga ist ein Stubenmädchen mit Charme, Hintersinn und treffsicheren Koloraturen, die Rollenverwandlungen im dritten Aufzug („Spiel ich die Unschuld vom Lande“) serviert sie mit müheloser Raffinesse. Gesche Geier hat die vokale und komödiantische Klasse, ihren Gatten als ungarische Gräfin nach allen Regeln der Kunst hinters Licht zu führen. Zunächst muss sie sich aber der aufdringlichen Avancen ihres verflossenen Liebhabers erwehren: Jannes Philipp Mönnighoff liefert als Alfred eine derart köstliche Tenorpersiflage ab („hohes C in der Stimme, große Pause im Kopf…“) , dass man ihm manch rhythmischen Wackler gerne verzeiht.
Diesen Schwung vermag die Inszenierung dann allerdings nicht in den zentralen Ball-Akt mit hinüber zu nehmen, der mit ein paar kleinen Dialog-Durchhängern beginnt. Vera Semieniuk gibt mit warm-voluminösem Mezzo den gastgebenden Prinzen Orlowsky in seiner gelangweilten Freudlosigkeit derart überzeugend, dass ein wenig von seiner melancholischen Stimmungslage übergreift. Mit Gesche Geiers Auftritt – neben drei leicht bekleideten Revuedamen bildet sie nun den vierten Paradiesvogel – kommt dann wieder Schwung in die Bude. Per Csárdás und umschmeichelndem Puschelwuschelschaal (auch für die Kostüme zeichnet Karin Fritz verantwortlich) wickelt sie ihren Eisenstein unter falschen Vorzeichen ein, Falkes Schlinge zieht sich zu. Der stimmt in der Verkörperung durch Frederic Mörth ein betörendes „Brüderlein und Schwesterlein“ an; im kollektiven „Duidu“ – der musikalisch schönste Moment des Abends – liegt die sehnsüchtige Wehmut nach besseren Zeiten.
Ob diese nach dem im Gefängnis eilig herbeigeführten Happy End und im wirklichen Leben tatsächlich bald anbrechen werden, bleibt fraglich. Womöglich muss weiterhin – so lassen die Rekordzahlen der Hersteller vermuten – mit Champagner dem Ersten nachgeholfen werden. Aber auch diese „Fledermaus“ macht insgesamt Laune, woran neben dem Chor (Einstudierung Alistair Lilley) das weitere, ansteckend spielfreudige Ensemble seinen Anteil hat: Matthias Störmers herrlich vertrottelter Eisenstein, Oliver Weidingers urkomischer Frank, Jason Lees Stotteradvokat Doktor Blind und Selena Altars quirlige Ida. Chin-Chao Lin hält das bestens aufgelegte Philharmonische Orchester straff, aber elastisch am Zügel.
Von der angekündigten Fassung Erich Wolfgang Korngolds ist aus dem Graben übrigens nichts zu hören, nur die Dialoge greifen offenbar zum Teil auf die Neugestaltung Max Reinhardts von 1929 zurück. Egal, das reduzierte Publikum nahm jedenfalls die von Intendant Klaus Kusenberg bei seiner Begrüßung augenzwinkernd angemahnte „Verantwortung, was die Intensität des Feedbacks betrifft“ gewissenhaft und jubelnd an.