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Gegenwart und Vergangenheit: ein komponiertes Programm

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Die Salzburger Festspielkonzerte zeichneten sich in diesem Jahr durch eine perfekte Dramaturgie aus
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nmz 2000/10 | Seite 34
49. Jahrgang | Oktober

Oper & Konzert

Gegenwart und Vergangenheit:
ein komponiertes Programm

Die Salzburger Festspielkonzerte zeichneten sich in diesem Jahr durch eine perfekte Dramaturgie aus

Ein Prinzip, das Hans Landesmann, im Salzburger Festspieldirektorium für die Finanzen und die Konzertplanung zuständig, besonders zielstrebig verfolgt, heißt: Möglichst wenig, am besten gar nichts dem Zufall oder der Beliebigkeit überlassen. Seine mit Kenntnis, Sensibilität und Liebe zum Detail erstellten Konzertprogramme für die Festspiele zeichneten sich schon von Beginn der Ära Mortier/Landesmann an durch intelligente Dramaturgien aus, zu denen unter anderem die Verknüpfung von Opern-und Konzertspielplan gehörten. In diesem Jahr erreichte die „Komposition” des Konzertprogramms eine besonders dichte, beziehungsreiche Struktur, in der sogar die sonst eher traditionell orientierten Wiener Philharmoniker eigenen Ehrgeiz entwickelten. Um gleich bei ihnen zu bleiben: Mit einer würdigen, nobel gespielten und von zartem Ausdruck beseelten Aufführung von Schumanns „Requiem” op. 148 unter Wolfgang Sawallisch brachten sie einen eigenen Ton in die „Liebe-Tod”-Thematik der Opernaufführungen. Zum Berlioz-Komplex mit der grandiosen szenischen Aufführung der „Trojaner” unter Sylvain Cambreling mit dem Orchestre de Paris trugen sie in einem Konzert mit einer eindrucksvollen Darstellung der dramatischen Symphonie „Romeo et Juliette” unter Roger Norrington bei, schließlich riskierten sie unter Zubin Mehta einen selbstgewollten „Ritt über den Bodensee”, als sie sich mit hohem Eifer erstmalig an Messiaens „Turangalîla”-Sinfonie wagten. Das Risiko wurde begrenzt durch die Anwesenheit und Mitwirkung von Yvonne Loriod und Jeanne Loriod, speziell Yvonne Loriod agierte mitreißend am Flügel, sie weiß, wie man Messiaen zu spielen hat, und die Wiener konnten es ihr ein wenig abschauen.

Berlioz beherrschte auch ein Konzert des Orchestre de Paris unter Sylvain Cambreling, in dem nach der farbreich und dramatisch dargestellten „Symphonie fantastique” das thematisch dazu gehörende Monodrame „Lelio ou le retour à la vie” erklang, wunderbar, ganz als inneren Monolog gesprochen von Daniel Mesguich. Schließlich noch „La mort de Cléopatre” in einem Konzert mit dem Oslo Philharmonic Orchestra, so dass sich der „Revolutionär aus Leidenschaft” durchaus repräsentativ bei den Festspielen zeigen konnte.
Übertroffen allerdings wurde er in der Präsentation von einem heutigen Komponisten: Wolfgang Rihm war überall, ständig auf den Beinen zwischen den beiden Salzachufern. Bei den Festspielen war er Composer in Residence. Er durfte sich sieben Konzertprogramme „komponieren”, aus Stuttgart kam seine „Lukas”-Passion nach Salzburg, bei der Sommerakademie lehrte er, wohnte einer langen Klaviernacht mit Siegfried Mauser bei, in der seine Pianoforte-Kompositionen erklangen.

War begeistert über die wirklich faszinierende, ungemein intensive und professionelle Inszenierung seiner Kammeroper „Jakob Lenz„ durch Teilnehmer der Sommerakademie und sauste fliegend zwischendurch schnell noch nach Amsterdam, wo das Concertgebouworkest mit den Ardittis sein „Concerto” für Orchester und Streichquartett uraufführte. Der Komponist, das gehetzte Wesen.

Die Anwesenheit Wolfgang Rihms in Salzburg war dabei ein einprägsames Zeichen dafür, wie intensiv inzwischen die Musik der erweitert verstandenen Gegenwart, also der Zeit zwischen 1900 und 2000, als Selbstverständlichkeit zum Konzertrepertoire der Festspiele gehört. Natürlich war auch Pierre Boulez zu den Festspielen gekommen, mit dem London Symphony Orchestra und zweien seiner vier Programme, mit denen er anlässlich seines 75. Geburtstages auf Welttournee war. Mit Boulez weilte auch der Pianist Pierre-Laurent Aimard in Salzburg, seine zwei Konzerte (eines gemeinsam mit dem Pianisten Florent Boffard und der Flötistin Sophie Cherrier) gerieten, wie nun schon gewohnt, fulminant. Aimards rhythmische Präzision ist derzeit konkurrenzlos, wovon unter anderem vor allem die Werke von Boulez profitieren. Aimard war immerhin achtzehn Jahre lang der Pianist im Boulez-Ensemble Intercontemporain, da lernt man ziemlich viel. Dass in Salzburg sich beide nun in einer Hommage à Boulez wieder zusammenfanden, gehört zu den dramaturgischen Delikatessen, die Hans Landesmann zu organisieren versteht.

Landesmann besitzt auch ein feines, vornehmes Gefühl dafür, was sich gehört, nämlich Respekt für Künstler und ihr Lebenswerk. So präsentierte sich Friedrich Cerha mit eigenem Programm in einem Konzert des Klangforums Wien, Peter Eötvös dirigierte die Camerata Academica Salzburg für den Österreich-Boykotteur George Benjamin.

Und in der verdienstvollen Reihe „Next Generation” stellte sich Gerd Kühr in zwei Konzerten des Klangforums Wien vor. Kührs eigenes Komponieren gewinnt immer mehr an Dichte, Plastizität der Formulierung, klanglicher Entfaltung. Es ist bedauerlich, das es im nächsten und letzten Jahr von Mortier/Landesmann aus Geldgründen keinen „Next-Generation”-Komponisten geben soll – vielleicht findet sich doch noch ein Gönner für diese immer spannenden Konzerte.

Dass man auch klassische Programme spannend konzipieren kann, demonstrierten Roger Norrington und die Camerata Academica: Jeweils zwei Pariser Sinfonien Haydns umrahmten jeweils ein Werk Benjamin Brittens: die Serenade op. 31, „Les Illuminations“ op. 18 und „Nocturne” op. 60. Das entdeckte man in den Musizierhaltungen der Komponisten oft erstaunliche Parallelisierungen.

Der Liebes- und Tod-Thematik wiederum war der Brahms-Zyklus nahe, in dem der Cellist Steven Isserlis Werke des Komponisten vor allem mit Kompositionen Schumanns konfrontierte: „Schumanns Tod” hieß der Titel eines dieser wunderbar „komponierten” Konzertprogramme.

Eingebunden in das Konzept sind meist auch die Liederabende und die Auftritte Großer Solisten. Bo Skovhus gestaltete eindringlich, ja überwältigend in der geistigen Durchdringung und der Expression des Singens ein Mahler/Schönberg/Schubert/Schumann-Programm. Markus Hinterhäuser mit Ustwolskaja-Sonaten, Pollini mit Liszts h-Moll-Sonate, Brendel mit einem Haydn/Mozart/Schubert-Abend setzten bei den Pianisten die Akzente. Und wer dem alten Mozartfestspiel nachtrauert, dem kann nur empfohlen werden, zu den Mozartmatineen des Mozarteum-Orchesters zu eilen.

Was Hubert Soudant, der Chefdirigent, Ivor Bolton, Ton Koopman oder Frans Brüggen mit dem bestens disponierten Orchester zaubern, sind bester, modern klingender, wunderbar musikalisierter, pointierter Mozart und Haydn. Boltons Haydn-Sinfonie (D-Dur Hob. 196) wurde so hinreißend lebendig, plastisch und beredt musiziert, das man fast geneigt sein könnte, diese knappe halbe Stunde zum Höhepunkt des Festspiels zu erklären.

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