Nicht nur dass Hitzacker, dieses stille Städtchen in der Elbtalaue mit seinem Weinberg am lieblichen Hügelrand beinahe toskanisch anmutet – bei pünktlich eingetroffenem mediterranen Hoch verführten die diesjährigen Sommerlichen Musiktage noch zusätzlich mental zu „Italienischen Reisen“.
Das traditionelle, ambitionierte Standortfestival hatte sich auch in dieser ersten Augustwoche hoch angesiedelte Ziele gesetzt.
In Verbindung mit dem Klassischen ist Verwobenheit von Alter und Neuer Musik das Anliegen der Kammermusiktage. Am Webstuhl setzt der vor Ideen sprühende Intendant Markus Fein die Knoten dicht an dicht, auch zuweilen übereinander und muss schon bei aller Begeisterung aufpassen, dass aus dem wohl proportionierten Muster nicht ein Patchwork wird. Grenzwertig: Das von dem früheren Hitzacker-Kompositionspreisträger Johannes Harneit nach Häppchenart der dritten Kulturradio-Programme zusammen gewürfelte Eröffnungskonzert mit Evangelisti, Wagner, Liszt, Berlioz und Donizetti. Vorbildlich dagegen: der verflochtene Dialog von Luigi Nonos Streichquartett „Fragmente – Stille. An Diotima...“ mit Madrigalen der frühen Neuzeit in einer beeindruckenden Realisation mit dem casalQUARTETT und dem Orlando di Lasso Ensemble.
Hierfür wurde im Mai dieses Jahres der renommierte Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung vergeben.
Auch die Porträtkonzerte für den 2003 verstorbenen Luciano Berio in memoriam regierte die Idee der Fülle mit „durchkomponierten“ Programmen im gesamt-kulturellen Sinn, die sich zu groß angelegten Puzzles zusammen setzen: seine Elementen-Klavierstudien mit Scarlatti, die Sequenze mal höchst vergnüglich mit Eco-Texten, mal mit Madrigalen von Monteverdi und Schütz.
Oder das Quartetto III nach Celan mit Schuberts Quartettsatz und seinen Klaviertrios Es- und B-Dur. Herausragend spielte hier übrigens das sehr sensible junge Hamburger Evrus-Trio.
Im vielbeachteten Zentrum der Hommage stand Berios große Klaviersonate von 2001 in Verbindung mit Beethovens op. 101 und 110, mit dem phänomenalen, hier viel zu wenig bekannten Pianisten Andrea Lucchesini. Er hatte Berios Sonata, dieses Werk an den Grenzen der Spielbarkeit uraufgeführt und im Vorfeld mit dem Komponisten die pianistischen Machbarkeiten diskutiert. Als Sternstunde möchte man die Hörerakademie mit Andrea Lucchesini und dem Widmungsträger der Sonate, dem renommierten, in Harvard lehrenden Musikwissenschaftler Reinhold Brinkmann werten. Gemeinsam schlüsselten sie als Zeitzeugen das schwierige Beziehungsgeflecht innerhalb der Komposition auf.
Traditionelles zum freudigen Wiedererkennen von Vivaldi über Liszt bis Wolf und die Neue Wiener Schule gab es auf gleichbleibend hohem Niveau, dazu Ausflüge „auf die Straße“ mit dem umwerfenden Szene-Quartett „quadro nuovo“, ein Geheimtipp.
Dazu noch Hörerakademie, Festival-Fellows-Programm, eine attraktive Mitmach-Ausstellung von Lüneburger Studenten der Kulturwissenschaft zur Italienliebe großer Komponisten, Podium Rolf Liebermann, Kino Open Air („La Strada“ – was sonst) und das gelungene Experiment einer „sichtbaren“ Live-Hörspiel-Produktion des NDR „Zustände wie im alten Rom“ mit dem großartigen Horst Bollmann: das Füllhorn der Italianità quoll über und über vor Ideen-Geblitze in alle Himmelsrichtungen, und das stets beleuchtet von intensivem und lustvollen künstlerischen Niveau.
Wie antizipierte Annette Schwandtner für den Niedersächsischen Kulturminister doch schon in ihrem Grußwort zur Eröffnung: „Kaum ein Festival in Niedersachsen hat diese Qualität“.