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Geschichten vom Roten Zundelfrieder

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Neue Wege und Holzwege im Umgang mit Nonos Musik
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Zum fünften Mal ist Luigi Nonos Bühnenwerk „Al gran sole carico d’amore“ in Szene gesetzt worden. Die Mailänder Uraufführung 1975 sowie zwei weitere Inszenierungen, in Frankfurt am Main und in Lyon, liegen zwei Jahrzehnte und mehr zurück. Nach langer Unterbrechung haben jetzt gleich zwei Operntheater kurz nacheinander Nonos szenische Aktion herausgebracht: in Stuttgart inszenierte Martin Kusej, an der Hamburgischen Staatsoper der amerikanische Regisseur Travis Preston. Prestons Interpretation evozierte Widerspruch vor allem bei denjenigen, die Nonos Intentionen mißachtet wähnten. Auch Max Nyffeler steht, wie seine folgende Kritik zeigt, der Hamburger Darstellung eher distanziert kritisch gegenüber. Prestons gegenwärtiger Blick auf die „Revolution von gestern“ präsentiert sich unbekümmert, oft dekorativ und oberflächlich. Ernsthaftigkeit kann man ihr gleichwohl nicht absprechen. Nonos „Al gran sole“ ist kein Werk allein für ehrfürchtige Bewunderung, sondern fordert Weiterdenken, aktuelle Reflexion, auch Gegenbilder. Prestons Affenhorde, die (wie in Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltenraum“) die Szenen bevölkert, ist weniger ein Beleg für die Evolutionstheorie als vielmehr eine Chiffre für die galoppierende Regression der Gesellschaft. Ist eine solche Resignation Nono fremd? Wohl kaum. „Al gran sole“ fordert, wie alle wichtigen Kunstwerke, zum Überdenken auf. Die Bühne muß dafür die szenischen Chiffren erfinden, auch wenn diese scheinbar der Idee des Werkes zuwiderlaufen. nmz Mit den Inszenierungen von Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ im letzten November in Stuttgart und nun in Hamburg ist gleich zweimal hintereinander in bundesdeutschen Opernhäusern mit grossem Aufwand die proletarische Revolution beerdigt worden. Würde es sich dabei nicht um ein bedeutendes Musiktheaterwerk der letzten Jahrzehnte handeln, sähe es beinahe nach wohlfeiler Leichenfledderei an einer historischen Idee aus. Denn ein Jahrzehnt nach dem Verschwinden des Sozialismus von der politischen Landkarte ist es kein Risiko mehr, noch einmal das ganze Repertoire von politischen Reizvokabeln und -symbolen auf die Bühne zu bringen, die noch 1975, bei der Uraufführung an der Mailänder Scala, zu empörten Reaktionen in der gutbürgerlichen Öffentlichkeit geführt hatten (Zitat aus der Kritik im „Rheinischen Merkur“ vom 11. April 1975: „Schließlich ist es den bürgerlichen Parteien nicht zuzumuten, aus den knappen Steuergeldern rote Agitation zu bezahlen.“). Dem reißenden Tier namens sozialistische Revolution sind inzwischen die Zähne gezogen worden, und diejenigen, die damals so lärmten, stellen heute wahrscheinlich süffisant die Aktualität von Werk und Inhalt in Abrede. Doch schon 1975 ging eine so vordergründige politische Sichtweise an der Sache vorbei, und sie geht es auch heute noch. Nonos Folge von Szenen aus gescheiterten Revolutionen ist selbst schon eine Art Abgesang auf die Idee der sozialistischen Insurrektion, und das lange vor dem realen Untergang des Sozialismus klassischer Prägung. Äußerlich ein Werk der großen Massenszenen, aus denen die kämpfenden Individuen nur stellvertretend für das Kollektiv hervortreten, ist es im Inneren durchtränkt vom fundamentalen Zweifel am Sinn dieses kollektiven Handelns – einem Zweifel, der sich fünf Jahre später im Streichquartett als radikale Wendung zur individuellen Perspektive manifestieren sollte. Nonos Musik formuliert die Einsicht in die Notwendigkeit des Scheiterns und, mit der Schönheit ihrer vokalen Lyrismen, zugleich den ästhetischen Einspruch dagegen. Aus dieser Gleichzeitigkeit von tragischem Eingedenken und Zukunftshoffnung erwächst die ungebrochene Faszinationskraft des Bühnenwerks. Die „schwache messianische Kraft“, die zehn Jahre später im „Prometeo“ zum Thema wird, spricht auch schon aus dieser Partitur. Wer ein Ohr dafür hat, kommt dem hintergründigen Sinn dieser sinistren Revolutions-Revue eher auf die Spur als derjenige, der sich nur an den Texten festhält und sie auf ihre historische Haltbarkeit abklopft. Juri Ljubimow und David Borowski, der Regisseur und der Bühnenbildner der Mailänder Uraufführung, hatten diese musikalische Dimension erkannt und daraus tief sich einprägende Bilder von manchmal fast mystisch-ritueller Intensität entwickelt, denen die politische Schärfe jedoch keineswegs fehlte. Heutigen Regisseuren scheint das Gespür, vielleicht auch nur das Interesse für diese Töne abhanden gekommen zu sein. In einer Situation, in der revolutionäre Hoffnungen durch den Gang der Geschichte widerlegt zu sein scheinen, konzentrieren sie sich auf den historischen Rückblick und bleiben damit zwangsläufig auf der Negativbilanz einer mißratenen Vergangenheit sitzen. Den Fehler, den die Gegner Nonos bei der Mailänder Uraufführung machten, wiederholen sie nun gewißermassen mit umgekehrten Vorzeichen: Sie verabsolutieren die manifeste politische Aussage und überhören das Potential der Musik. Während Martin Kušej in Stuttgart mit seiner bohrenden Frage nach der Aktualität des in „Al gran sole“ formulierten Revolutionsbegriffs immerhin noch unruhiges Nachdenken erzeugte, hat der Regisseur der Hamburger Inszenierung, der Amerikaner Travis Preston, solche Fragen schon längst ad acta gelegt. Er erzählt ein buntes postmodernes Märchen von Kämpfen, die in alten Zeiten die Welt erschütterten. Seine Erzählung paßt er in einen größeren menschheitsgeschichtlichen Rahmen ein, indem er eine Gruppe von zottigen Primaten auftreten läßt, die die Händel ihrer zivilisierten Nachkommen als stumme Beobachter kommentieren: Das Große Welttheater der Erfolgsautoren Marx und Darwin, effektvoll inszeniert vom Roten Zundelfrieder, genannt Lenin, der als Strippenzieher der Revolution agiert und dann, wenn sie scheitert, ihren Untergang in Tod und Zerstörung als bizarrer Teufelsgeiger begleitet. Und zwischen all den Katastrophenbildern schwebt Benjamins Engel der Geschichte im Rückwärtsflug über die Bühne. Angereichert wird das Ganze mit ironischen Brechungen, wobei bisweilen bewußt gegen die Musik inszeniert wird – etwa bei der Liebeslyrik von Pavese, wenn bei den Lyrismen der vier Soprane zu den Worten „ich atme mit deinem Mund“ nur der riesige Gipskopf von Karl Marx mit Rauschebart auf der Bühne zu sehen ist. Die brain scripts, mit denen Preston arbeitet, sind intelligent eingesetzt und werden wirkungsvoll unterstützt von der Bühnenbildnerin Nina Flagstad, deren visuelle Symbolik ästhetisch irgendwo zwischen Firmenlogo und Olympiade-Heraldik angesiedelt ist. Prestons Erzähltechniken scheinen Teil eines aktuellen amerikanischen Diskurses zu sein, denn er beruft sich auf den Postmoderne-Kritiker Frederic Jameson und dessen These vom drohenden Verlust der Narrativität in der linken Geschichtsschreibung. So vermögen seine intellektuellen Rekonstruktionsversuche zwar sinnfällige Bilder zur Deutung des historischen Geschehens zu erzeugen. Doch das utopische Moment der Musik verfehlen sie. Gerade dafür sollte aber eine Inszenierung Bilder finden können, will sie neue Perspektiven eröffnen und nicht mit der aufgepeppten Neudarstellung historischer Katastrophen Gefahr laufen, daß die Musik stellenweise zum Soundtrack degradiert wird. Die Kraft zum Finden dieser Bilder kann freilich heute, da allenthalben von Utopieverlust die Rede ist, auch vom Theater nicht ohne weiteres eingefordert werden. Dabei sorgte Ingo Metzmacher am Pult für optimale musikalische Bedingungen. Der Klang war in die Tiefe und Breite gestaffelt, das Schlagzeug links und rechts in die Bühnenlogen ausgelagert. So enstand ein Klangbild von einzigartiger Präsenz, das auch bei massiven Ballungen immer noch klar konturiert war und die großen vokalen und instrumentalen Kollektive zu einer Art architektonisch gegliederter Klangskulptur zusammenschmolz. Großes leisteten die Chöre und die Solisten, allen voran Elisabeth Laurence als Mutter und die vier von Sarah Leonard angeführten Soprane, auch wenn vielleicht die Stuttgarter Aufführung stimmlich dem ätherischen Schönheitsideal Nonos noch ein bißchen näher kam. Neun Jahre nach Luigi Nonos Tod ist das Interesse an seiner Musik ungebrochen. Daß es sich dabei nicht um politische Nostalgie von Altachtundsechzigern handelt, zeigt sich an der großen Zahl an akademischen Abschlußarbeiten, die sich seither vor allem in Deutschland und Italien mit seinem Werk befaßt haben, und an der regen Beteiligung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den zahlreichen Symposien zum Thema Nono. Das jüngste fand jetzt im Beiprogramm zur Hamburger Aufführung statt, das nächste steht im Juni in der Evangelischen Akademie in Bad Boll bevor. In Hamburg zeigte es sich, daß die bisherige Fixierung auf das Spätwerk einer umfassenderen Sehweise zu weichen beginnt, in der – basierend auf den dank dem Nono-Archiv in Venedig nun möglich gewordenen Quellenstudien – die hintergründigen Kontinuitäten in Nonos Entwicklung im Mittelpunkt stehen. Zu den interessantesten Resultaten dieser Studien gehört ein Befund, der schon beim enigmatischen Spätwerk im Zentrum stand und sich nun beim Umgang mit den seit den 60er Jahren entstandenen Werken bestätigt: Nonos Werke verweigern sich jedem glatten Einverständnis durch die Offenheit und die Perspektivenvielfalt ihrer Konzepte. Es ist eine strukturelle, schon in der Arbeitsmethode angelegte Offenheit, die auf die Erscheinungsform eines Werks durchschlägt und nebenbei Ursache enormer editorischer Probleme ist. „Es gibt keine Gewißheit“: Dies ist die Botschaft von Nonos Musik schon lange bevor sie im Streichquartett manifest wird und dem Spätwerk seine eigentümlichen neuen Dimensionen erschließt. Diese bedingungslose Offenheit, die geistige Unruhe und stete Suche nach dem „Anderen“, Nichtidentischen sind zuverlässige Antikörper sowohl gegen einen unkritischen Nono-Kult, wie er manchmal vermutet wird, als auch gegen die Versuche wohlmeinender Vermittler, aus dem oft schwer faßbaren Gehalt dieser Musik pädagogische Rezepte zu destillieren. Was diese Bereitschaft zur Offenheit für die musikalische Interpretation heißen kann, wurde in Hamburg in einer denkwürdigen Aufführung von „La lontananza nostalgica utopica futura“ für einen wandernden Geiger und achtspuriges Tonband von Irvine Arditti und André Richard demonstriert. Äußerste Konkretheit des Klangs verband sich mit der Erfahrung des musikalischen Raums zu einem lebendigen Prozeß, und es bedurfte kaum noch der auf Band gespeicherten Realien von Studiogeräuschen und Wortfetzen, um zu wissen, daß Nonos Geist unmittelbar präsent war.

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