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Foto: Thomas Jäger
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Gezielte Grenzüberschreitungen und Faschingsschwank – Bruno Madernas „Satyricon“ in der UdK Berlin

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Der nur partiell erhaltene, satirische Roman „Satyricon“ von Titus Petronius Arbiter (um 14–66 n. Chr.) hat vielfältig szenische Bearbeitungen evoziert. Vier Jahre nach der Verfilmung durch Federico Fellini hat Bruno Maderna eine pluralistisch musiktheatrale Version komponiert, die im Theater der Universität der Künste Berlin den Bogen zum derzeitigen Fasching schlägt.

Die Musiktheaterproduktion, deren Off-Berlin-Premiere am 24. Januar 2016 beim Opera Exam Festival in Budapest stattgefunden hat, strebt in der Inszenierung von Ingo Kerkhof, kongruent zu Petronius, allerlei Grenzüberschreitungen an. Das beginnt bereits beim Einlass, wenn das Publikum, welches eben erst seine Mäntel an der Garderobe abgegeben hat, wieder nach draußen in die Kälte geschickt wird um den Theaterraum anschließend durch den schmalen Bühneneingang zu betreten. Das Auditorium bleibt leer, den Bühnenraum füllt das Publikum, auf dem Hosenboden sitzend. Auf dem schmalen Vorbühnenstreifen und überdeckten Graben sitzt rechts die 16-köpfige Formation konzertorchester berlin, auf der linken Seite haben die Ausstatter Maria Frastanli und Sanghwa Park eine Landschaft mit Fauna, ausgestopften Füchsen und Pflanzen, sowie allerlei flackernden Kerzen errichtet. Das farbige Titelblatt des Programmzettels zeigt eine gestellte Szene der Darsteller*innen in dieser Landschaft, aber die Bühnenaufführung lässt die Location völlig außer Acht. Bereits nach wenigen Minuten, bei einem ariosen Bäumchen-wechsel-dich-Spiel in den Schlitzen eines als Vorhang gehaltenen roten Kostümumhangs, beschwert sich ein Besucher in einer der  Vulgärsprache von Petronius adäquaten Ausdrucksweise lautstark und unflätig über die Aufführung: „Ich finde das Scheiße! Mein Arsch tut mir weh!“, und er verlässt türschlagend den Raum; aber es ist eine Tür, die nicht nach draußen führt – die Szene ist mitinszeniert. Dass sogleich einige Zuschauer schimpfend ins selbe Horn stoßen, ist intendiert, aber wohl nicht geplant. Dem Berliner Premierendatum adäquat, wird das Gastmahl des Trimalchio zum Karneval, und in rheinischer Manier werden Kamellen – hier Gummibärchentüten – geworfen, obendrein dürfen die Besucher in Paprikachips-Tüten greifen. Dazu werden Lichterketten herabgesenkt, und gefuttert wird mit Klavierbegleitung á la improvisatione.

Die Akteure suchen sich weitere Mitspieler in dem am Fußboden gelagerten Publikum, die Widerspenstigen werden ent- und mit Fummeln neu eingekleidet, und erweisen sich dann schnell als geschulte Gesangssolisten.

Eine Provokation für sich stellen die Übertitel dar: grundsätzlich schwer zu lesen, zeigen sie bisweilen tatsächlich die Übersetzung, häufig aber auch nur die Texte selbst in jener Fremdsprache, in der gerade gesungen wird – so, als wäre die Aussprache der Solisten so schlecht, dass es zunächst einmal gelte, die Gesangstexte in der Originalsprache zu projizieren.

Hyelim Jos Gesangsnummer „Extasia“ nimmt in der Neuproduktion Bezug auf die Partydroge Ecstasy, und so heizen sich anschließend Souffleuse und Solistin gegenseitig auf zu einer Lachorgie.

Die quirlige Sopranistin Amelie Baier legt ein Schlagzeug-Solo hin, bevor sie in der jazzigen Nummer der Fortunata zwischen Mikro- und Opernstimme changiert, ihre asiatische Kollegin Hyelim Jo balanciert zum Arioso-Gesang auf einem Kreidestrich.

Die Episode der „Witwe von Ephesus“ hat immer wieder Komponisten gereizt, etwa Karl Amadeus Hartmann im „Wachsfigurenkabinett“; die Geschichte vom ersatzweise ans Kreuz gehenkten toten Ehemann wird in Berlin mehr erzählt denn gespielt, die Witwe verkörpert Matwej Korshu als Travesty. Semjon Bulinsky als moderierender und erzählender Trimalchio begrüßt das Publikum zu seiner Funeral Party, singt dabei in ein Micro mit rotem Windschutz. Am Ende des knapp anderthalbstündigen, pausenlosen Abends erfolgt dann das angekündigte Begräbnis des reichen Trimalchio: seine Freunde schminken ihn bleich und umgeben den sich zu Grabe Legenden mit Kerzen und Früchten. Schon scheint er entschlafen, da springt er wieder auf und äußert beschwingt letzte Wünsche. Nach der alludierten Arie des Orpheus legt der mit Kalk Beworfene seinen Grabsteinspruch fest. Das Farewell ist ein überlang ausgehaltener Posaunenton. Bei Petronius verlangt Trimalchio von seinen Erben, sie sollten eine Leiche aufessen –was Marco Ferreri in „Das große Fressen“ verfilmt hat. In der UdK-Produktion von Madernas Oper plündern die Freunde des Verstorbenen seine Leiche, rauben sein Bargeld, (Spiel-)Karten und seine Schuhe.

Keine andere Partitur des 1920 in Venedig geborenen, deutsch-italienischen Avantgardisten Bruno Maderna klingt so wenig neutönerisch. Am deutlichsten merkbar ist auch hier die Liebe des seriellen Komponisten zur Aleatorik. In „Satyricon“ aus Madernas Todesjahr 1973 überwiegt die Liebe zum Zitat. Beginnend mit einem Streichquintett, noch ohne Dirigent, beweist Maderna in seiner Partitur, dass er sich in allen Stilen und Richtungen der Musikgeschichte zu artikulieren versteht, von Pseudogregorianik über Neobarock, Reformoper von Gluck, Triumphmarsch aus Verdis „Aida“ und der Potenzierung von Wagners Walhall-Thema. Natürlich dürfen bei dem Sohn eines Unterhaltungsmusikers auch Jazz und Chanson nicht fehlen, die Zuspielungen elektroakustischer Klänge erweisen sich hingegen als Beiwerk.

Der Kontrabassist und später auch der Tubist geben performanceartige Solonummern, bei der zweiten bläst der Conferencier einen blauen Ballon auf und steckt ihn dem Instrumentalkollegen in den Trichter.

Unter der versierten musikalischen Leitung von Errico Fresis stehen die Zeichen des kurzweiligen Abends, mit überblasenen Flötentönen, Pop und Vogelgezwitscher, auf Verblüffung in der Unterhaltung.

Am Ende gab es dankbaren Applaus für die jungen Studierenden an der UdK Berlin, fürs Orchester und die Vorstände.

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