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Pelléas et Mélisande | Premiere am 9. Juli 2024 | Musikalische Leitung: Hannu Lintu. © Wilfried Hösl

Pelléas et Mélisande | Premiere am 9. Juli 2024 | Musikalische Leitung: Hannu Lintu. © Wilfried Hösl

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Glatt gepflegte Grausamkeiten – Debussys „Pelléas et Mélisande“ bei den Münchner Opernfestspielen

Vorspann / Teaser

Lange ist es her, dass Pierre Boulez in Claude Debussys lange verkanntem Musikdrama für seine Maßstäbe setzende Gesamtaufnahme ein „Theater der Grausamkeit“ manifestiert hat. Das räumte auf mit allzu viel märchenhaftem Symbolismus um diese allzu zarte, rätselhaft geschädigte und hypersensibel verletzliche junge Frau Mélisande. Dafür sollte eine Regisseurin eine zutreffende Wahl sein.

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Leider führte der Programmzettel eher in die Irre, denn er lautete nicht „Jetske Mijnessens Sicht auf Pelléas und Mélisande unter Verwendung von Debussys Musik“. Die niederländische Regisseurin ließ bis zum Schlussbild alles auf einem wenige Meter tiefen, aber bühnenbreiten Parkettstreifen mit edlem Fischgrätenmuster spielen. Der manisch eifersüchtige Golaud drohte schließlich mit einer Pistole, mit der er dann Pelléas in einem vorgelagerten Wasserstreifen niederschlug. Dass er ihn -gegen das Werk! - nicht tötete, zeigte das Schlussbild ohne Lichtwechsel klar, eben ohne als Mélisandes irrlichternde Agonie oder plötzlich symbolistische Phantasie inszeniert zu sein: Pelléas kam trocken neu eingekleidet mit Mélisandes Neugeborenem im Arm an ihr Totenbett – fast so, als ob es ihr gemeinsames wäre … und behielt es auch bis zum Ende in den Armen, während Golaud danebenstand. 

Alles zuvor siedelte Ben Baurs Ausstattung in einem weiß leuchtenden Rahmen vor schwarzem Hintergrund mit fein differenzierten Kostümen der Damen, Gehröcken der Herren, livrierter Dienerschaft, großer Tischtafel, schweren Kerzenleuchtern, herrschaftlichem Schlafzimmer, Paravents und edlen Stilmöbeln in der Entstehungszeit des Werkes um 1900 an … also nichts von Wald, Grotte, Meer, sondern durchweg die berüchtigte „Text-Bild-Schere“ – bis auf das überraschende Schlussbild: nach einer unangemessen langen Pause war das Parkett auf der Bühne abgetragen; alle durch die Unterbau-Balken geformten Boden-Karrees waren mit niedrigem Wasser gefüllt und alle Personen wateten in heutigen Gummistiefeln umständlich umher – während anstelle des bisherigen nachtschwarzen Hintergrunds jetzt eine schmutzig grauweiße Wand stand und darauf in Schreibmaschinenschrift König Arkels Schlusserkenntnis „C’était un pauvre petit etre… also: „Sie war ein armes, kleines Wesen voller Rätsel, wie alle Menschen“ – prompt dafür ein wilder Buhsturm? Mitnichten, einhelliger Beifall des Premierenpublikums … ganz auf der leider gültigen Linie „Ungeheuerliches ist nicht schlimm, so lange alles mit guten Manieren in schönem Ambiente, im Designer-Anzug mit Krawatte passiert“.

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Pelléas et Mélisande | Premiere am 9. Juli 2024 | Musikalische Leitung: Hannu Lintu. © Wilfried Hösl

Pelléas et Mélisande | Premiere am 9. Juli 2024 | Musikalische Leitung: Hannu Lintu. © Wilfried Hösl

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Jetske Mijnessens Umdeutung gehört – eben „trittbrettfahrend“ – in die gängige Abteilung „selbst-frau-liche Verbesserung eines genialen Meisterwerkes unter Beibehaltung des großen Namens“, landet aber wie meist bei „Verschlimmbesserung“. Lichtregie in Richtung „Symbolismus-Entrücktheit“ fand nicht statt. Mijnessens mehrfach gute Personenführung sei ausdrücklich anerkannt. Doch wie bei den Festspielen 2015: auch diese Interpretation kann nicht überzeugen.

Dafür stand dem Bühnenteam aber auch eine den Festspielpreisen gemäße erstklassige Besetzung zur Verfügung. Sophie Koch (Geneviève) und Franz-Josef Selig (Arkel) waren ein edles „Herrscher-Paar“. Felix Hofbauer sang den Enkel Yniold mit sauber-sicherem Tölzer Knaben-Sopran. Ben Bliss‘ Pelléas überzeugte mit blendender Bühnenerscheinung, dürfte aber etwas mehr tenorale Brillanz verstrahlen. 2002 gab Christian Gerhaher sein viel beachtetes Rollendebüt (Regie: Claus Guth!) als Pelléas in Frankfurt am Main, jetzt, perfekt ergraut und gereift, gab er dem Golaud neben sehr gutem Französisch baritonal packende Eifersuchtsausbrüche mit überzeugender Körpersprache. Zu Sabine Devieilhes mädchenhafter Figur hätte eine Mélisande als Bühnen-Zauberwesen gepasst, jetzt war sie eine fein ziselierte, junge Dame der Society von 1900 und sang mit mal süß, mal zerbrechlich schlankem Sopran zauberhaft, zumindest eine Ahnung von Anderssein. Sie alle führte der inzwischen viel in Europa tätige Finne Hannu Lintu zunächst zur Szene passend „gediegen fein“; ab der Mitte gewannen die Zwischenspiele an schwebendem Farbreichtum und die dramatischen Ausbrüche bekamen Wucht ohne die szenische Entsprechung. Für die gesamte musikalische Seite war der Schlussbeifall gerechtfertigt. Szenisch aber ein zu langes Salonstück, das eher nur zur Münchner Maximilianstraße passt.

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