Eine Frau lässt einen Mann töten, seinen Kopf auf einer Silberschüssel reichen, damit sie ihn endlich küssen kann. Die Frau ist die judäische Prinzessin Salome. Sie ist, als Teil der Heilsgeschichte von Johannes, dem Täufer, zu einem Mythos der europäischen Kultur geworden. Oscar Wilde machte sie 1891 zu einem Symbol des verderblichen Zusammenhangs von dämonisierter Sexualität und Tötungslust, woraus Richard Strauss 1905 seine erfolgreiche und damals skandalumwitterte Oper „Salome“ machte.
Am Freitag hatte sie im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, nach 20 Jahren wieder, eine beeindruckende Premiere, die die enormen künstlerischen Herausforderungen bravourös bestand und bewies, wie – bei ständig schmaler werdenden Ressourcen – dennoch große, nicht nur spektakuläre, sondern ebenso geistig fesselnde Oper gemacht kann.
Daran beteiligt ist zunächst die Mecklenburgische Staatskapelle unter Daniel Huppert, der mit kühlen Nerven und klarem Sinn für wohl berechnete Reize den glühenden Orchesterbrand der Partitur zum Klingen bringt. Dann eine Schar von Gastsolisten. Und schließlich die fantasievolle Inszenierung von Kornelia Repschläger, im funktionalen Bühnenbild von Alexandre Corazzola mit einem sinnfälligen symbolischen Spiel von eckigen und runden Formen.
Die Frage dieser grässlichen Geschichte, die auch Salome ahnt, bevor sie untergeht: War es vielleicht Liebe? beantwortet Kornelia Repschläger eindeutig mit Ja. Sie macht damit aus der morbiden Täterin Salome ein Opfer, deren Tötungslust damit zwar nicht entschuldigt, aber fast nebensächlich wird. Sie macht damit aus der sinnbildlichen Kraft des Mythos eine gegenwärtige (indiziert durch die Kostüme von Ralf Christmann) psychologisierende anschauliche Geschichte; mit eigener Überzeugungskraft aber auch Fragwürdigkeiten. Diese betreffen besonders den Propheten Jochanaan, den Reinen und Heiligen – von Mark Morouse in frommer, leicht beunruhigter Geradlinigkeit gesungen. Aus dem Künder der Möglichkeit einer neuen Welt wird hier (ganz in der Sicht Salomes) nur der heftig begehrte Mann, der sie nicht „ansieht“, weil er „die Binde trug eines, der seinen Gott schauen wollte“, und damit die narzisstische Kränkung verursacht.
Das alte Klischee der sexualisierten femme fatale wird durch das heutige des Opfers ersetzt; eher gegen tradierte Deutungen des Salome-Mythos gewendet, als diesen für die Beleuchtung unseres eigenen, angeblich befreiten Umgangs mit Sexualität nutzend.
Kernstück ist die eigenwillige Deutung des berühmten Schleiertanzes, nicht mehr enthemmter Verführungsakt (der heute sowieso nicht mehr provozierte), sondern ein Tagtraum Salomes, in dem sie, bedrängendem Männerfleisch ausgesetzt, Schutz beim Propheten sucht, der ihr nur geistliche, nicht aber sinnliche Erlösung bietet – was den Tötungswunsch befestigt.
Über all dies hinweg entfalten die Solisten einen für Schweriner Verhältnisse imponierenden musikalischen Glanz: Peter Svensson als neurasthenischer Herodes, Ruth-Maria Nicolay als kühl kalkulierender Herodias und Steffen Schantz als der Salome verfallener Narraboth, dazu hauseigene Kräfte in den Nebenrollen. Überstrahlt von Karen Leiber als Salome, die mit Leidenschaft und verstörender Intimität den stimmlichen und psychischen Umfang der Figur voll ausspannt, bis ihrem Untergang das wieder hervorbrechende Mondlicht die Verklärungsgloriole gibt.