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Pene Pati (Mitridate), Angela Brower (Sifare), Paul-Antoine Bénos-Djian (Farnace), Sarah Aristidou (Ismene), Adriana Bignagni Lesca (Arbate), Tänzer:innen. Foto: Bernd Uhlig
Pene Pati (Mitridate), Angela Brower (Sifare), Paul-Antoine Bénos-Djian (Farnace), Sarah Aristidou (Ismene), Adriana Bignagni Lesca (Arbate), Tänzer:innen. Foto: Bernd Uhlig
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Goldenes moralisches Theater – Mozarts „Mitridate, Re di Ponto“ an der Staatsoper Berlin

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Wolfgang Amadeus Mozart war erst 14 Jahre alt, als er den Auftrag erhielt, für das Mailänder Teatro Regio Ducale (dem Vorgänger des Teatro alla Scala) eine große, abendfüllende Opera seria zu komponieren, „Mitridate, Re di Ponto“. Viele bedeutende Komponisten hatten zuvor Werke für diese europaweit angesehene Bühne geschaffen. Mozart reihte sich hier mit seiner Jugendoper ein, die auf einem Drama des französischen Tragödiendichters Jean Racine basiert. Ein japanisches Inszenierungsteam um den Regisseur Satoshi Miyagi und die Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski haben das außergewöhnliche Werk Mozarts nun an der Berliner Staatsoper Unter den Linden herausgebracht.

Man ist immer wieder fasziniert und fassungslos, wie der junge Mozart, fast noch ein Knabe, die Geschichte um einen im Niedergang begriffenen König und Kriegsherr, dessen zwei so unterschiedliche Söhne dieselbe Frau lieben, die aber zugleich seine eigene Braut ist, vertont hat: eine Mischung aus Pathos und Leidenschaft, Repräsentation und Emotion, militärpolitische und amouröse Verstrickungen. 

Den Kompositionsauftrag zu der dreiaktigen Oper erhielt der damals 14-jährige Wolfgang während seiner ersten Italienreise, die er mit seinem Vater Leopold Mozart unternahm. Sie war für die Eröffnung der Saison 1770/71 am Mailänder Teatro Regio Ducale vorgesehen. Das Libretto erhielt Mozart allerdings erst vier Monate später, so dass er die Komposition innerhalb von fünf Monaten fertigstellen musste. Der Erfolg war atemberaubend.

Das Stück spielt in Kleinasien um 63 vor Christus. Die Geschichte handelt von der Auseinandersetzung zweier Mächte: einer asiatischen und einer europäischen, Pontus und Rom. Im Zentrum der Handlung steht die Beziehung zwischen dem König Mithridates (Mitridate) und seinen beiden Söhnen Xiphares (Sifare) und Pharnaces (Farnace). Alle drei begehren die junge Aspasia. Sie ist mit Mithridates verlobt, doch ihr Herz gehört einem Anderen. Mozart beschrieb den Thronfolgekrieg und den unvermeidlichen Verrat in einer leidenschaftlichen Musik geht also um düstere Staatspolitik, schwere moralisch-ethische Konflikte, Eroberungsfeldzüge, Herrscher im Zwiespalt.

Gemäß den Regeln der Opera seria, der „ernsten“ italienischen Oper, umfasst „Mitridate – Re di Ponto“ eine Fülle von virtuosen Arien. Die Oper entspricht der gattungstypischen Mischung aus Liebesintrige und Staatshandlung. Die Figuren sind hin- und her gerissen zwischen Pflicht und Neigung. Dem in Tokyo geborenen Regisseur Satoshi Miyagi geht es um moralisches Theater. Wie er im Programmheft betont: „Im letzten Stück der Oper, einem Ensemble, geht es vordergründig um Rache, die letzte Szene soll aber ganz im Gegenteil Versöhnung bringen. Mein Ziel wäre erreicht, wenn das Publikum fühlt, dass die Seelen der Toten in Frieden ruhen anstatt dass sie Revanche fordern, und dass nach dem Krieg ein Frieden in Unendlichkeit möglich ist. Ich wäre jedenfalls sehr glücklich, wenn diese Botschaft verstanden und beherzigt werden würde.“

In seiner Inszenierung, die auf der Tradition des No- und des Kabukitheaters basiert, zeigt er das Stück – wohl nicht von ungefähr angesichts gegenwärtiger Weltpolitik – als versöhnliches Antikriegsstück. „Es gab immer wieder Zeiten, als Religion und politisch-militärische Kraft zusammenkamen. Vor religiösem beziehungsweise spirituellem Empfinden Respekt zu zeigen, ist ein Anliegen der Inszenierung, zugleich soll auch gezeigt werden, wie politisch-militärische Kräfte wirken. Das Vorbild für unser Bühnenbild ist der Potala-Tempel in Lhasa, Tibet, der ein religiöses wie ein politisches Zentrum ist, somit beide Seiten repräsentiert. Am Beginn und am Schluss der Aufführung ist jedoch nicht dieser prächtige Tempelbau zu sehen, sondern eine verbrannte Stadt, die an das durch Luftangriffe zerstörte Tokio von 1945 erinnern soll.“

Gestufte, von Treppen gesäumte Hubpodien mit drehbaren, im Asia-Sti bemalte, aufklappbaren Türen sind die Auf- und Abtrittsflächen der Gesangssolisten, Tänzer und Statisten, die wie schablonenhafte Pappfiguren hin und her geschoben werden,von psychologischer Personenführung keine Spur. Stattdessen ritualhafte Statik und extreme Künstlichkeit. Wahrscheinlich ist es das erste Mal, dass dieses Werk Mozarts von einem asiatischen Regisseur in Europa inszeniert wird.

Der Architekt und Bühnenbildner Junpei Kiz hat die opulente Bühne entworfen. Seine Ästhetik, wie auch die Inszenierung von Satoshi Miyagi und seinem Team ist zauberhaft. Ein Rausch in Gold. Wobei die Wahl der Farbe Gold eher mit Mozart als mit dem japanischen Theater zu tun hat. Viele Dinge golden einzufärben war die Idee der Kostümbildnerin Kayo Takahashi Deschene, die sämtliche Kostüme asiatisch-golden gestaltet hat, einschließlich der tierischen „Spirits“, die den Figuren beigegeben sind: einen Löwen für Mitridate, einen Drachen für Sifare, einen Phoenix für Aspasia oder einen Adler für Ismene. Man glaubt eher (einer japanischen!) Turandot als einer Mozartoper beizuwohnen, zumal Fahnenträger, Militärballett und andere Akteure etwas Propagandistisch-Plakatives haben. (Choreographie: Yu Otagaki). Die künstliche Bewegungssprache fasziniert und befremdet doch zugleich.

Satoshi Miyagi zeigt eher Bilder als Aktionen, seitliche Bewegungen, das „Einfrieren“ von Haltungen, bei dem die Figuren so wirken, als seien sie mit einer Fotoapparat festgehalten worden. Augenblicke werden eingefangen und fixiert: Die Zeit bleibt für die Dauer dieses Zustands stehen. Wie der Regisseur bekennt: „Alle Charaktere in ‚Mitridate‘ sind hochgestellte Personen, keine ‚normalen‘ Menschen, sondern ‚historische Giganten‘. Das Publikum soll gewissermaßen aus einer Vogelperspektive diese Charaktere erleben, die stets sehr künstlich erscheinen, weit entfernt von der Realität.“ Er hat nicht unrecht, denn da treffen sich die italienische Opera seria und das japanischen Kabuki-Theater. Es gibt hinsichtlich ihrer Grundstrukturen erstaunlich viele Ähnlichkeiten, beide sind von ausgesprochener Künstlichkeit. Dieser Zusammenhang vermittelt sich in der bildschönen, luxuriösen Inszenierung unmittelbar. Dass sie Längen hat, liegt aber auch an den langen Rezitativen.

Musikalisch ist diese außergewöhnliche Produktion dennoch in allerbesten Händen von Marc Minkowski, der das Werk schon in Paris und Salzburg einstudierte sowie eine CD-Produktion verantwortet. Er leitet Les Musiciens du Louvre, die Musik mit hinreißendem Furor und aller nur denkbaren spieltechnischen und stilistischen Delikatesse musizieren. 

Sieben virtuose Sänger aus aller Welt, alle ausgewiesene Spezialisten des barocken Ziergesangs, bestreiten ein internationales mozartisches Sängerfest der Superlative. So viel Gesangskultur, gestalterische Differenziertheit (ohne Angst vorm Piano) und Stimmschönheit hat man lange nicht gehört. Soviel sängerische Virtuosität und Brillanz in einer Vorstellung hat Seltenheitswert.

Die US-amerikanische Mezzosopranistin Angela Brower singt eine betörende Sifare. Die französisch-zypriotische Sopranistin Sarah Aristidou ist eine entzückende Ismene. Die in Rumänien geborene Sopranistin Ana Maria Labin brilliert als Aspasia. Den Arbate singt die aus Gabun stammende Mezzosopranistin Adriana Bignagni Les. Der in Madagaskar geborene Tenor Sahy Ratia singt einen fabelhaften Marzio. Der samoatische Tenor Rene Pati singt einen gesangstechnisch erstaunlichen Mitridate mit schier unfassbaren hohen Noten. Der außergewöhnliche Countertenor Paul-Antoine Benos-Djian  verblüffte als Farnace. Über die Besetzung der (bei der Uraufführung) teils für Kastraten geschriebenen Partien muss man sich nicht streiten, man wundert sich, aber ein gerüttelt Mass Subjektivität sei Marc Minkowski zugestanden, der alles in allem der Berliner Staatsoper eine Sternstunde beschert hat, die vom Publikum frenetisch gefeiert wurde.

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