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Grandiose Musik und eine Inszenierung, die kaum zündet – Marc-Antoine Charpentiers „Medée“ in Basel

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Das Theater Basel punktete Ende 2014 mit Verdis „Otello“ – dank einer Inszenierung des Intensivkatalanen Calixto Bieito. Nun hat das (noch) vom designierten Hamburger Staatsopernintendanten Georges Delnon geleitete Haus am Bankvereinsvorplatz einen doppelten Kontrapunkt geboten: Die „Medée“ von Thomas Corneille und Marc-Antoine Charpentier.

Diese Tragédie mise en musique wurde 1693 unter prächtiger Anwesenheit des vom Prolog als Friedensbringer besungenen Sonnenkönigs im Palais Royal zu Paris uraufgeführt. Sie bricht aus der von Euripides herrührenden (und über Christa Wolf bis in unsere Tage reichenden) Erzähltradition aus. Diese Version rückt das Drama in eine Kriegszeit: Korinth wird, wegen der vorangegangenen Untaten von Medea und Jason, von den Erben der Opfer militärisch in die Zange genommen. Dadurch wird höchst plausibel motiviert, warum Kreon, der politisch in Bedrängnis geratene König, die an seinen Hof geflohene Medea loswerden will. Dass er dadurch seine Tochter Kreusa begünstigt, die ohnedies schon Jasons neue Partnerin ist, ist der intrigante Nebeneffekt und steht nicht (wie sonst allemal) im Vordergrund. Eine durchaus Neugier erweckende Variante der altbekannten Geschichte also, die da für das Theater Basel aus dem Archivschlaf erweckt wurde.

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Ganz in Weiß gewandet und mit historisch inspirierten Kniebundhosen spielen die Mitglieder des La Cetra Barockorchesters. Sie tun dies unter der Leitung von Andrea Macon mit originalklanggetreuer Informiertheit, mit Verve, mit sicht- und hörbarem Engagement. Sie erinnern an die Delikatesse und die musikalische Prachtentfaltung auch auf musikalischem Feld am Hofe des großen Ludwig. Charpentier stellte einen facettenreichen Tonsatz bereit, der sorgfältig instrumentiert und für die Zeit außergewöhnlich zahlreichen Holzbläsern versehen wurde. Vor allem auch mit sehr genau ausgeschriebenen Rezitativen. Diese stützen sich nicht auf das italienische al fresco-Parlando, das von den meisten andern der in den letzten Jahren wieder aufgeführten Opern des späten 17. Jahrhunderts her geläufig ist, sondern folgen einer sehr genau ausdifferenzierten französischen Deklamation. Sie schaffen durch differenzierte Übergänge allemal szenenspezifische Affektlagen und begründen eine strukturelle musikalische Beweglichkeit.

Die mit der hochfeudalen Vergangenheit fermentierten Instrumentalisten musizieren in einer seitwärtigen Vertiefung der in acht Etagen bzw. Halbetagen sich erhebenden Architektur. Diese gewährt zur Erbauung mit einem Werk, das dezidiert Zuspiel und Abglanz des Sonnenfürstenhofs ist, Einblick in ein zeitlos modernes Treppenhaus – eine Bühnenbaumaßnahme, die sich seit vielen Jahren großer Beliebtheit erfreut. Hinter einem glattpolierten Foyer mit Marmorboden und schwerer Ledergarnitur flankieren die Stiegen einen Aufzug, der als Transporteur tieferer oder höherstrebender Musiktheaterbotschaften eigentlich schon seit einigen Jahren wieder out ist. Im Keller, erreichbar durch den verwaisten Orchestergraben, wohnt Medée.

Die war – so die Vorgeschichte – nach dem blutigen Abgang aus ihrer Heimat im Kaukasus mit dem Helden Jason an dessen Hof in Thessalien (also Nordgriechenland) geflüchtet, von dort nach blutigen Streitereien um dessen Thron weiter auf den Peloponnes im Süden. Dort also muss man sich Raimund Bauers Architektentraum angesiedelt denken und sich sagen, dass der geldgebende IWF und die EZB solide investiert haben. Die Militärs, die da auf verschiedenen Ebenen agieren, könnten sich bei jeder aktuellen Nato-Tagung sehen lassen. Durch Bettina Walters übrige Kostüme wird die Handlung optisch jenen Stories angenähert, die in der „Bunten“ und „Gala“ dominieren – dem hochglanzpolierten Alltag der Schönen und Reichen, die auf Europas Thronen verblieben. Einen Ehebrecher der elegantesten Art gibt Anders J. Dahlin. Der smarte Tenor hat so gar nichts Martialisches, kein unangenehmes Metall in der Stimme, sondern Zartgold. Er klagt in gepflegtestem Französisch, er wäre womöglich glücklich, wenn er weniger geliebt würde. Das mag man ihm gerne glauben und leise denken: Deine Sorgen möchte ich haben!

Weniger plausibel erscheint die szenische Charakterisierung der Partnerin Medée, die sich Jason wg. seiner neuen Flamme Créuse vom Hals schaffen will. Magdalena Kožená gelingen stimmlich Momente der anrührenden Innigkeit und Intensität, wenn sie das Leid der Betrogenen und zur Obdachlosigkeit Verurteilten in gedämpfterer Tonlage klagt. Die hochdramatisch gemeinten, gar exaltierten Ausbrüche aber wirken wie für eine schlecht geprobte TV-Vorabendserie produziert.

Als solider Militärmachthaber mit distinguiertem Bass präsentiert sich Luca Tittoto. Dieser Créon sähe gerne seine Tochter, die bestens partytaugliche und sich für höhere Aufgaben empfehlenden Debütantin Meike Hartmann, an der Seite des vielgeliebten Superhelden. Dass der seiner Medée ihr Hochzeitskleid für die Neue abschwatzt, ist nicht nur eine psychoanalytisch aufschlussreiche Volte des Textes von Thomas Corneille, sondern für „die Neue“ tödlich – das von Medée ins Futter eingearbeitete Gift erhitzt sie über das zuträgliche Maß.

Regisseur Nicolas Brieger lässt zum jämmerlichen Verenden der Créuse Rauchwölkchen aus dem Fummel steigen. Das war dann aber schon der zündendste Einfall der Inszenierung. Die macht es sich mit der Übertragung der durch Charpentier an den Zenit des französischen Feudalabsolutismus gerückten altgriechischen Tragödie in die Kostüme der heutigen Royals allzu einfach. Matt bleibt der Widerschein des großen Feuers, das die Gewalttäterin im Palast legt, und das schale Gefühl, dass mit der Tragödie der Medea gerade auch in dieser musikalischen Gewandung weit mehr anzufangen wäre. Vor allem auch mit den ausgiebigen Ballett-Szenen, die – wie so oft – von der Regie nur stiefväterlich bedacht und, trotz ihres zauberisch-phantastischen Charakters, pseudo-realistisch in Beschlag genommen wurden. Was ließe sich heutzutage nicht anfangen mit einer Szenenvorgabe wir der: „Gefangene verschiedener Nationen und eine Italienerin preisen die Macht der Liebe“!

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