Die Musik sei ein Fest! Ein Versprechen, das auch das Klavier-Festival Ruhr (seit dieser Saison Stiftung) im Namen führt. Dass es immer schwerer wird, es einzulösen, dass der Preis, der dafür bezahlt werden muss immer höher ausfällt, ist eine Erfahrung, an der auch das „kulturelle Leitprojekt“ des „Initiativkreises Ruhrgebiet“ nicht vorbeikommt. Nur gut, dass Intendant Franz Xaver Ohnesorg Verbündete hat, denen die Idee des Festkonzerts selber Herzensangelegenheit ist. Daniel Barenboim zum Beispiel.
Für ihn ist es eine Mission. Anders lässt sich kaum umschreiben, wie Barenboim den Beifall, genauer: die schon bald nur noch stehenden Ovationen des ihm treu ergebenen Essener Publikums entgegennimmt, eigentlich mit auffordernden Bewegungen weiter anfacht als wolle er sagen: Leute, das ist unser Abend, unsere Stunde, unser Fest. Ein Moment, in dem Barenboim einfach nur der begnadete Kommunikator ist, den man sich gar nicht anders als siegreichen Lokalmatador denken kann. Freilich einer, der eine Botschaft hat. Auch für ihn, wie für Schönberg, kommt Musik von Müssen, ist nicht Zikkurat, sondern Zentrum wie er es in unzähligen Interviews betont. Ein Credo, das er selbst verkörpert. Wenn er spielt und wenn er nach vollbrachter Ringschlacht vorn am Bühnenrand steht und glücklich ist über die Freude, die er gestiftet hat.
Patina
Er allein? Nicht ganz. Mit der Staatskapelle Berlin hatte der Vielbeschäftigte in die Essener Philharmonie schon gewohnheitsmäßig sein Orchester mitgebracht und gleich einen namhaften Kollegen für die Koordinierung am Pult dazu: Pierre Boulez. Letzterer hat für Essen (wie für die übrigen Stationen einer Fünf-Städte-Tournee) auch das Programm geschrieben: Wagners Faust-Ouvertüre mit Siegfried-Idyll und Liszts beide Klavierkonzerte. Ein Quartett, das trotz einer technisch-musikalisch hochstehenden Ausführung nun doch unüberhörbar Patina angesetzt hat. Allein der repetitive Quintgang des Siegfried-Idylls erfüllt mittlerweile ja schon den Tatbestand des Kitschs. Inwiefern sich damit Gala machen und „Zukunft“ assoziieren lassen soll, muss Boulez’ wie auch Barenboims Geheimnis bleiben. Dabei könnten die Charaktere der Beiden selber nicht unterschiedlicher sein. Boulez, versonnen-versponnen in Innerlichkeit; Barenboim hingegen immer noch wie ein animal ludens vor dem Instrument. In jeder Sekunde sprung-, angriffsbereit. Im Laufschritt hastet er durchs Unterholz der Liszt’schen Klavierkonzerte. Ist ein Prankenschlag, eine Punktlandung besonders gut geglückt, fliegen die Arme empor, geht der Oberkörper triumphierend zurück. Schaut her!
Ethos
Pierre Boulez schaut in solchen Momenten immer besonders finster drein. Mit einem leichten Anflug von Ungeduld wendet er sich an Schnittstellen wie diesen seinem Solisten zu, um ihn doch nun bitteschön ins orchestrale Geschehen zurückzuholen. Ja, wollen wir? Was wir hier machen, scheint er sagen zu wollen, machen wir erstens gemeinsam und zweitens für die Kunst, was gerade im Fall von Liszt-Partituren, die so entschieden Ikarus und Genius in einem huldigen allerdings gewisse Schwierig¬keiten mit sich führt. Doch das ficht Boulez nicht an. Sein gefasstes Dirigat, das immer schon ohne Stab auskommt und das das Kapellmeister-Gefuchtele meidet wie der Teufel das Weihwasser – beides beglaubigt ein Ethos, das auch im Alter, vielleicht gerade im Alter um so deutlicher, klarer zu Tage tritt. Was letztlich auch gilt für den Mann am Klavier, trotz manch zirzensischer, im Eifer des Gefechts herausgefeuerter Übersprungshandlungen. Da sind die schwärmerischen Kantilenen des Es-Dur-Konzerts, die kammermusikalischen Duette mit Horn, Solocello, Oboe des A-Dur-Konzerts, denen Barenboim sein schönstes singend-schwebendes Piano-Legato-Pianissimo schenkt. In Momenten wie diesen, wo die Zauber wieder binden, scheint es dann doch noch einmal wahr zu werden: Die Musik ein Fest. Auch ohne Feuerwerk.