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Bildende Kunst und Kunstgeschichte in der nmz.

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Großer Atem und Details der Geschichte – Meiningen erinnert an Werner Tübkes hintergründige Bildwelt zu Webers „Freischütz“

Vorspann / Teaser

Eine einzige Bühnenarbeit hat Werner Tübke geschaffen. Die freilich fiel monumental und geschichtsträchtig aus. Sie entstand Anfang 1993 für eine Produktion in Bonn, als dies noch Hauptstadt der kurz zuvor um neue Territorien angereicherten Bundesrepublik Deutschland war. Zur Wiedereinweihung des Hauses auf den Rheinterrassen nach längerer Sanierungsphase wurde Webers „Freischütz“ anberaumt. 

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Mit der Premiere gab auch der damals neue Intendant Giancarlo del Monaco seinen Einstand an dem Haus, das er zur „Scala am Rhein“ zu pushen versprach – mit jenem Bühnenwerk, dem seit der Uraufführung Berlin 1821 im Seelenhaushalt der national gestimmten Deutschen eine besondere Rolle zugedacht wird. Zwanzig Jahre nach Tübkes Tod erinnern jetzt das Residenzschloss Elisabethenburg und das Theatermuseum Meiningen in Kooperation mit dem Panorama Museum Bad Frankenhausen an den Leipziger Maler, der nach anfänglichen Widerständen zu einem der prominentesten Künstler der DDR avancierte.

Gelungene Bewirtschaftung von Feindbildern

Der Bonner „Freischütz“-Produktion gelang, um einen aus der Mode gekommenen Begriff zu bemühen, vor den Augen und Ohren der Parteien-, Staats- und Länderführungen ein politisch-ästhetisches „Husarenstück“: ein theatraler Überraschungs-Coup mit historischem Tiefgang. In der optischen An- und Zumutung freilich mit einer deftigen Portion Hausmannskost, die seit den Jahren der rheinromantisch inspirierten Wand- und Restaurantmalerei, in dieser Form sogar noch überhaupt nie serviert worden war. Als Ausstatter hatte der in Venedig geborene und soeben aus der „documenta-Stadt“ Kassel gekommene del Monaco einen der renommiertesten Maler des „anderen Deutschland“ gewonnen.

Diese Verpflichtung demonstrierte den politisch motivierten Willen des von Avantgarde geprägten und diese mitbetreibenden Regisseurs: dass zusammengebracht wird oder gar zusammenwächst, was ästhetisch nicht zueinander zu passen schien. Und zugleich, dass das vereinte Deutschland sich nach dem Willen tonangebender Kreise als „selbstbewusste Nation“ zu markieren begann. Die bundespolitische Grundierung sollte nicht übersehen werden.

Die frühen 90er-Jahre waren eine Zeit, in der im geschmacklich tonangebenden Nordrhein-Westfalen neben dem überwältigend virtuosen Polystilisten Gerhard Richter ein mehr oder minder wilder Gestaltungswille der Düsseldorfer Akademieprofessoren Georg Baselitz, Markus Lüpertz oder Jörg Immendorf en vogue war. In feineren Kölner Galerien lösten die aus aberwitzig vielen Übermalungen resultierenden schwarzen oder blauschattierten monochromen Bilder Zungenschnalzen aus. Realistisch inspirierte „Hutzelbildmalerei“ wurde mit gerümpften Nasen über den Cremant-Gläsern verachtet. Vor diesem Hintergrund erschien das, was in der Bonner Oper den Augen geboten wurde, je nach Gusto als Zumutung – oder rustikale Delikatesse.

Nationalkultur eigener Prägung

Werner Tübke (1929–2004) war nach anfänglichen Widerständen in zunehmend guter Auftragslage zu einem der repräsentativen Kulturschaffenden in einem Land aufgestiegen, das in ideologischer Abgrenzung zur deutlich größeren und wirtschaftlich attraktiveren westlichen Nachbarin (und in Konkurrenz zur nationalgeschichtsbewussten östlichen) eine sozialistisch geprägte „Nationalkultur“ zu reklamieren begann. Daher auch die übertrieben wirkende Zuwendung der Regierung in Ost-Berlin zu einem zwiespältig wirksamen Kirchenreformator, dessen Hauptwirkungsort den Namen „Lutherstadt“ übergestülpt bekam. 1985 wurde unter Journalisten ein Hektogramm der zuständigen SED-ZK-Abteilung in Umlauf gebracht, das anlässlich des 300. Geburtstags von Sebastian Bach darauf verwies, dass dieser „das Territorium der DDR nie verlassen habe“ (obwohl weder Lüneburg noch Lübeck in jenem historisch zurückprojizierten Duodezfürstentum lagen).

Im Zuge einer jedenfalls parteilichen, intendiert realistischen und womöglich volkstümlichen Erschließung der Regionalgeschichte schuf der dreifache Nationalpreisträger Tübke mit zahlreichen Gehilfen im Auftrag des Berliner Kulturministeriums in der Nähe von Frankenhausen ein Monumentalkunstwerk von bis dato nicht gekannter Größe. Das Rundgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 14 Meter hoch der 120 Meter langen Wand entlang, würdigte auf einer Fläche, die einem Viertel Fußballfeld entspricht, die Deutschen Bauernkriege der Reformationszeit. Es erinnerte en gros und en détail den Kampf der gegen die mittelalterliche Unrechtsordnung aufbegehrenden Landbevölkerung, an das Leiden und die Opfer im letzten Gefecht des Reformators Thomas Müntzer.

Obwohl Tübke erstmals 1988 die USA besuchte, orientierte sich diese 1976 begonnene Riesen-Arbeit in evidenter Weise am teilanimierten „Cyclorama“ im National Military Park bei Gettysburg, das entscheidenden Schlachten des nordamerikanischen Sezessionskriegs 1861–1865 gewidmet ist und die Festigung der USA als Nation propagiert. Das eigens für das Bauernkriegs-Panorama errichtete weithin sichtbare Gebäude auf dem blutgetränkten Boden der Gemarkung Frankenhausen wurde knapp einen Monat vor der Implosion des SED-Staats eingeweiht. Mit ihr wurde auch das Konstrukt einer „sozialistischen Nationalkultur“ obsolet. Vor ihm hatten z. B. österreichische Kommunisten diskret gewarnt: „Nationalkulturen wachsen erfahrungsgemäß nicht in drei Jahrzehnten“. Der Kurswert von Tübkes Arbeiten fiel drastisch. Hat sich aber längst wieder gut erholt.

Dass hierzu der Bonner Auftrag zur Bebilderung des „Freischütz“ maßgeblich beitrug, betonte jetzt auch der Meininger Museumsdirektor Philipp Adlung. Zusammen mit seinem Kollegen Gerd Lindner vom Panorama-Museum Bad Frankenhausen entwickelte er die Idee, anlässlich von Tübkes 20. Todestag nicht nur Theatervorhänge in die südthüringische Theaterstadt zu holen, die in jahrelanger Anstrengung Motive und Maltechniken der „Frühbürgerlichen Revolution“ weiterentwickelten, sondern auch Kostümentwürfe, Figurinen und Kostüme. Insbesondere auch Dutzende Skizzen, minutiös ausgeführte Detail-Bleistiftzeichnungen und Aquarelle als Vorlagen für die Theatermaler. Die mit der Prospektmalerei altmeisterlich konstituierte Bildwelt erinnerte an ein von Dreißigjährigem Krieg heimgesuchtes Land und damit an die von den „Freischütz“-Autoren gewünschten „Originalschauplätze“ – und an den Fortgang der Geschichte: schön und schrecklich zugleich, historisierend und subtil vergegenwärtigend.

Wie deutsch ist der „Freischütz“?

Dass Giancarlo del Monaco den „Freischütz“ als Auftakt für eine „neue Ära“ wählte und die von Tübke gesetzten optischen Kontrapunkte, reflektierte nicht zuletzt auch die Geschichte des Werks. Dessen so detailfreudig ausstaffiertes Personal entstammt der Sphäre von Dorfplatz, Waldschenke und Forsthaus – Fürst Ottokar ausgenommen. In den Menschen aus kleinen Verhältnissen oder der Mittelschicht erkannte sich das Publikum der ersten Aufführungen in Berlin, Wien, Dresden, von denen viele in den antinapoleonischen Kriegen 1812/15 die menschliche Verrohung am eigenen Leib erfahren hatten. Es passte auch des Weiteren gut in den Gemütshaushalt, dass ein paar Wimpernschläge nach der „nationalen Erhebung“ von 1813 Zielstrebigkeit oder gar Planmäßigkeit bei der Erschaffung einer Nationalkultur gewaltet haben soll.

Hartnäckig hält sich bis heute in Buchpublikationen, TV- und Rundfunkmoderationen die Behauptung, mit dem „Freischütz“ habe „die Geburt der deutschen Oper“ stattgefunden – in Abgrenzung gegen „das Welsche“. Als könnten Johann Adam Hiller, Anton Schweitzer, Schikaneder und Mozart mit der „Zauberflöte“, Louis Spohr oder E. Th. A. Hoffmann nicht ältere Rechte einfordern. Letzterer verwies in seiner Rezension der Uraufführung darauf, dass Carl Maria von Webers Hauptwerk „aus den verschiedensten Bestandteilen zusammengesetzt“ sei, vornehmlich solchen französischer und italienischer Provenienz, am wenigsten aus den Baukästen des älteren deutschen Singspiels. Nicht zufällig stammen die groteskesten deutschtümelnden Geburtshelfer-Elogen aus den 1930er und 1940er Jahren. Peter Raabe, in Nachfolge von Richard Strauss Präsident der Reichsmusikkammer, attestierte der Uraufführung des „Freischütz“, dass sie „ein Sieg des Deutschtums über fremdes Wesen war, wie unser Vaterland keinen zweiten erlebt hat“.

Der Hinweis des Librettisten Friedrich Kind, das Stück spiele in Böhmen und „kurz nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges“, wurde – in Anknüpfung an die weithin rezipierte Inszenierung von Joachim Herz anlässlich der Einweihung der neuen Dresdner Semper-Oper 1985 – auch in Bonn ernst und wörtlich genommen. Vorgeführt wurde ein historisches Werk als Produkt aus doppelter Tiefe des Raumes – eines von Obrigkeitsdenken wie von Untertanengeist geprägten Raumes. Doch weder wurde zwischen Pappbäumen und Butzenscheiben die Restitution einer heilen Wald- und Weidmannswelt inszeniert, noch frühere Unfreiheit, feudales Herrenrecht und Subordination in geschlossener Gesellschaft glatt oder platt auf totalitäre Verwüstungen des 20. Jahrhunderts bezogen. 

Ein größerer Rahmen

Tübke, „ein Akademiemaler mit preußischer Disziplin“, stattete Bauern und Jäger ebenso wie die heiratswilligen Frauen Agathe und Ännchen in Anlehnung an die Kleiderordnung des 17. Jahrhunderts aus. Seine jeweils 170 Quadratmeter großen Bühnenbilder – Bilder im wörtlichen Sinn – zitierten Hieronymus Bosch, den älteren wie den jüngeren Pieter Brueghel sowie italienische Renaissance-Malerei. Einige dieser Vorhänge wurden im Fundes der Oper wiederentdeckt und dem Museum in Meiningen geschenkt.

Zwischen windschiefer Wirtsbude und einem Galgen, an den einer auf besonders grausame Weise gehängt wurde, entfaltet Tübke die Außen- und Hinterwelt des „Freischütz“. Indem der gesellschaftliche Schrecken wie die Derbheit der Freude als Wimmelbild entfaltet wurden, verschafft sich die Deutung des vom Libretto bloß angedeuteten Geltung. Vor einem der von Caspar David Friedrich verewigten böhmischen Bergrücken schweben allerhand „Erscheinungen“ durch die Höhenluft: das Personal im Gefolge des „Wilden Reiters“, apokalyptisches Menschengetier. In der Mitte, wie eine Höllenkrone, zwei Echsen, die sich gegenseitig in den Schwanz beißen und so zum Reif zwingen.

Der „Spiel-Vorhang“, den Tübke der Ouverture zudachte, wurde jetzt in der einstigen herzoglichen Reithalle zwei Stadtansichten in ähnlicher Größe gegenübergehängt, die in Bayreuth seit langem ausgedient haben. Die Studien, Skizzen und Vorarbeiten füllen nebenan im Schloss viele Wände und laden zu stundenlangem Verweilen ein. Museumsdirektor Adlung hofft, mit der „Freischütz“-Retrospektive dem Ziel näherzukommen, in Meiningen ein Theaterbildermuseum für die Bundesrepublik konsolidieren zu können. Die räumlichen Voraussetzungen im Schloss Elisabethenburg und der restaurierten Reithalle nebenan, insbesondere auch die in der Regierungszeit von Herzog Georg II. erworbene Aura von Meiningen als „Weltstadt des Theaters“ bieten dafür eine diskutable Voraussetzung.

Die weit- und weltläufige Idee hat heiteren Reiz in einer Region, in der sich heute viele vom Weltgeist und „denen in Berlin“ vernachlässigt fühlen. In einem Landstrich, in dem – wie die Reklame der dominanten „Volkspartei“ im Vorfeld der Thüringer Landtagswahl von den Laternenmasten herab verkündet – die Rechtschaffenen den Bedarf an Fachkräften selbst decken wollen. Grundiert von vier Füßen in einschlägiger Anordnung. Joho tralala!

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