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Michelangelo Buonarroti: Auferstehung. 1550–1564, Schwarze Kreide auf Papier, 32,6 × 28,6 cm
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Gustav Ernst Schrecks „Christus, der Auferstandene“ in der Thomaskirche Leipzig

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In seinem erfolgreichen Bewerbungsschreiben für das Amt des Thomaskantors hatte Gustav Ernst Schreck (1849–1918) „Christus, der Auferstandene“ als Beispiel für seine musikalischen Kompetenzen erwähnt. Es erstaunt, dass das im Leipziger Gewandhaus am 3. März 1891 erstmals erklungene Oratorium vermutlich nur noch in Heilbronn und Schneeberg zur Aufführung kam.

Während des Zweiten Weltkriegs ging das Stimmenmaterial verloren. Bei Breitkopf und Härtel erschien ein Klavierauszug und in der Leipziger Stadtbibliothek wurde Schrecks handschriftliche Originalpartitur aufbewahrt, nach der Peter Berg die Edition für die durch den Sächsischen Kammerchor sorgfältig vorbereitete Wiederaufführung vornahm. Anstrengungen und Crowdfunding haben sich gelohnt, das kann man bald auf Deutschlandfunk und CD überprüfen.

Am Pfingstsonntag erlebte man in der Thomaskirche zum 100. Todestag des Komponisten und Thomaskantors (1893-1917) Gustav Ernst Schreck dessen in allen neuromantischen Farben glühendes Hauptwerk „Christus, der Auferstandene“. Unglaublich: Das Gewandhausorchester überlässt bei dieser Entdeckung die Orgelempore der Thomaskirche widerstandslos dem Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus, das nach der Demission seines Generalmusikdirektors Evan Alexis Christ bei diesem Gastspiel in glänzender Verfassung brilliert.

Diese 130 Minuten sind aber auch ein großartiger Wurf. Möglicherweise kein Meisterwerk, aber ein Muss für Meyerbeer-, Bruch-, Humperdinck- und Massenet-Enthusiasten: Schreck beherrscht die hohe Kunst der sich langsam aufbauenden Crescendi- und Tutti-Wirkungen, die er in erhebende Orgel-Soli münden lässt. Das bewundert man schon im ersten von sechs Teilen, der das Wunder der Auferstehung als prologische Chorkantate feiert. Der Sächsische Kammerchor meistert den riesigen Part mit einem jungen, starken und enthusiasmierenden Energieschub, der staunen und bewundern macht. Immer wieder entschweben dem dichten Orchestersatz liebliche Violin-Soli. Schreck kennt seinen Mendelssohn, verneigt sich vor Bach mit einem schönen Graduale inklusive Solo-Oboe zum Gang von Cleophas (André Khamasmie) und Barnabas (Lars Conrad) nach Emmaus. Er lässt sein Orchester blühen wie Johannes Brahms. Und dann schaut er sich noch einige (von ihm allerdings etwas gemilderte) Farb- und Deklamationsrevolutionen aus Wagners „Walküre“ und „Meistersinger“ ab. Das alles nimmt Fabian Enders, Spiritus rector am Pult, ernst und vor allem sehr genau: Er hat Recht, denn so kann er diese Entdeckung mit Liebe veredeln. Und vor allem gibt Fabian Enders dem Komponisten Schreck mit seiner inneren Überzeugung eine echte Chance. Denn ganz leicht und allzu leichtfertig wäre es, „Christus, der Auferstandene“ oberflächlich als eklektizistisches Fossil abzuhaken. Soviel ist schon im Verklingen des letzten Akkords der Himmelfahrt mit Paukenwirbel und Trompeten klar: Schrecks Oratorium auf die Verse seiner dichtenden Ehefrau Emmy ist neben Karl Weisers „Jesus“-Dramen ein wichtiges mitteldeutsches Werk über Christus aus der Zeit um 1900, ganz gewiss und unüberhörbar eines der strahlendsten und mitreißendsten.

Um zwei Dresdner Stars kann Fabian Enders nicht nur die Elite des vokalen Nachwuchses aus Leipzig versammeln, sondern ermöglicht diesem Ensemble auch künstlerische Glanzleistungen. Andreas Scheibner hat charismatische Diktion und Balsam für den Heiland, bei dem Schreck sich offenkundig immer wieder zügelt, um nicht allzu melodienselig zum hohen Ton eines lyrischen Musikdramas hinüber zu segeln. Ausgerechnet für die einzige Arie der Jungfrau Maria, die sich nur im Klavierauszug, aber nicht in der Partitur findet, musste Christian van den Berg instrumentierend ergänzen. Ute Selbig klingt mehr vom Himmel als irdisch, ihr eifern Franziska Abram und Viktoria Wilson erfolgreich nach.

Aber insgeheim liebt Schreck, obwohl evangelisch, doch die entsühnte Sünderin Maria von Magdala am meisten und begehrt für sie eine echte Assoluta wie Amalie Materna, Bayreuths erste Brünnhilde und Wiens spektakuläre „Königin von Saba“. Marie Henriette Reinhold singt die schwebenden Minuten ihrer Wiedererkennungsszene mit Jesus souverän, wärmend und bewegend. Neben dem Apostel Johannes übernimmt Johannes Pietzonka für den erkrankten Robert Pohlers den ungläubigen Thomas. Dramaturgisch geschickt verpackte Emmy Schreck also alle wichtigen Episoden von der Auferstehung zur Himmelfahrt, Gustav Ernst Schreck übergoss die Bibelverse mit verschwenderischem musikalischen Reichtum und gewinnender Mannigfaltigkeit der Formen. Dementsprechend steigert sich der Applaus am Ende von bewegter Sanftmut zu kräftiger Begeisterung. So klingt Dank für echte Beglückung. Als lautstarkes Zwischenspiel gab es noch Richard Wagners Konzertouvertüre C-Dur.

 

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