Die Gesellschaft für Neue Musik Hamburg sieht ihre Aufgabe in der Förderung und Verbreitung zeitgenössischer Musik. Dabei geht es um die sachliche Darstellung aktueller musikalischer Entwicklungen in ihren internationalen Facetten und um die Überwindung einseitig historischer Bezogenheiten, wie sie vor allem noch immer im zentraleuropäischen Geschichts- und Kunstbewusstsein verankert sind.
Zu diesem Ziele finden im kleineren Rahmen Treffen mit Themenschwerpunkten statt, außerdem werden je nach den finanziellen Möglichkeiten Konzerte veranstaltet, in denen spezifische Blickwinkel und Positionen der Musik dokumentiert werden. Innerhalb dieser Konzerte kommen lokale wie internationale Aspekte zur Darstellung; die auf den Wirkungsraum der Gesellschaft für Neue Musik bezogenen Gesichtspunkte sollen dabei durchaus mit inter- und multikulturellen Perspektiven in Zusammenhang treten. In den Konzerten werden ebenso noch weitgehend unbekannte wie auch international oder regional anerkannte Komponistinnen und Komponisten aufgeführt. Zentrales Ereignis ist das mehrtägige Festival „Pur oder Plus?“, kurz „POP“, das 1998 gegründet wurde aus Kammerkonzerten und einem Symposion besteht. Dazu gehören zahlreiche Uraufführungen wie auch Hamburger Erstaufführungen.
Das diesjährige P.O.P.-Festival präsentiert Musik im Spannungsfeld jüdisch-synagogaler und christlich-abendländischer Musik(-Kultur), wobei das Festival-Motto „Beethoven hört Bob Dylan“ auch soviel meint wie „Die Kultur des Abendlandes hört den Psalm-Dichtern David und Salomon zu“. Dylans Stimme steht im Zentrum des Festivals -aber nicht im Sinne von „Pop“, sondern seIlvertretend für die synagogale Tradition. Dylans synagogal geprägte Stimme, seine spezifische Phrasierung und die charakteristische Gestik und Phrasenbildung seiner Songs steht exemplarisch für eine Kultur, die musikalisch zu David und Salomon führt – und die abendländische Kultur mit ihrer Notenschrift, mit „Beethoven“ und ihrer Vorstellung von „Kunstmusik“ hört dieser anderen, in vielen Aspekten verschütteten und assimilierten Kultur zu. In dem zentralen Konzert „Blowing through the letters ...Beethoven hört Bob Dylan“ treten zahllose Komponisten der Gegenwart und Vergangenheit in teilweise mikroskopischen Ausschnitten live der Musik Dylans entgegen, wobei die musikalische Dramaturgie einer ganz eigenen Kulturgeschichte auf der Spur ist.
Ein solches „Dylan-Festival ohne Dylan“ hatte bereits 1999 in Karlsruhe stattgefunden. Dylan selbst war persönlich nicht anwesend, aber er hatte Video-Aufzeichnungen der Festival-Konzerte erhalten. Wir freuen uns, das Karlsruher Konzept in etwas verwandelter Form nach Hamburg zu bringen, wobei Musik aus sechs Jahrhunderten zu hören ist.
In den weiteren Konzerten des Festivals werden Werke gegenübergestellt, in denen sich eine verborgene Spur der aufgerissenen Thematik findet; an zentraler Stelle steht hier Morton Feldmans dreistündiges Duo „For Christian Wolff“, dessen ornamentale Metamorphose einen anderen entscheidenden Aspekt einer Kultur vertritt, die das Abbild meidet. Verschiedene Werke zeitgenössischer jüngerer Komponisten bilden schließlich einen aktuellen Beitrag zur Thematik. Dazu gehört unter anderem eine Musik-Performance zu einer Bild-Dokumentation heute verfallen(d)er ehemaliger Land-Synagogen.
Die GNMH bemüht sich bei der Verwirklichung ihrer Ziele um die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Medien und Veranstaltern. Sie wurde in ihren Konzertprojekten bisher in wesentlicher Hinsicht von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg unterstützt, in diesem Jahre auch von der Hamburgischen Kulturstiftung.
Pur-oder-Plus-Festival 2004
„Beethoven hört Bob Dylan“ – Im Spannungsfeld jüdisch-synagogaler und christlich-abendländ. Musik(-Kultur), 25.–29.11.2003, in Zusammenarbeit mit der Handelskammer Hamburg (Adolphplatz l,20457 Harnburg) und der Hochschule für Musik und Theater (Harvestehuder Weg 12, 20148 Hamburg)
25. November 2003
Handelskammer Hamburg, 19 Uhr
Traditionen des Synagogalgesangs. Ein Vortrag in Musikbeispielen mit Prof.Dr.Reinhard Flender
20 Uhr Licht, Klang, Raum. Eröffnungskonzert. Mit der Dokumentation: „Unkenntlich, unerkannt“ – ehemalige Landsynagogen und Musik von Jan Dvorak, Reinhard Flender I-En Liu und Babette Koblenz.26. November 2003
Handelskammer Hamburg
20 Uhr „endless ornaments...“
Morton Feldman: For Christian Wolff
Feldmans letztes Kammermusik-Monumentalwerk (zirka drei Std.) mit Turo Grolimund (Flöten) und Christof Hahn (Tasteninstrumente)27. November 2003
Handelskammer Hamburg 20 Uhr Liturgie zwischen Stimme und
Instrument Musik von Alexander Skrijabin, Fredrick Schwenk, Turo Grolimond, Wolfgang A. Schultz, Georg Hajdu, Olivier Messiaen mit Julia Barthe (Sopran), Vladimir Anohin (Violine),
Turo Grolimund (Flöte), Matthias Veit (Klavier)28. November 2003
Hochschule für Musik und Theater Forum, 20 Uhr
Beethoven hört Bob Dylan „...blowing through the letters“ (Dylan) LiveMusikHörspiel-Performance für sechs Musiker und Tape -Musik von Bob Dylan, L. van Beethoven, Pierre Boulez, John Gage, Josquin Desprez, Roberto Gerhard, Phil Glass, Vinko Globokar u.a. Texte von Bob Dylan und Franz Kafka. Sprecher (tape): Alfred Caine und György Ligeti,
Dramaturgie: Hans-Christian v. Dadelsen. Produktion: Manfred Reichert29. November 2003, Hochschule für Musik und Theater
18 Uhr, Mendelssohn-Saal: „Blowin´in the wind...Musik – verloren im Notenpapier?“ round-table-Gespräch mit Krista Warnke, Reinhard Bahr, Fredrik Schwenk, Wolfgang A. Schultz, Georg Hajdu, Manfred Stahnke und H.-C. v. Dadelsen
20 Uhr Abschlusskonzert: Code – Forme – Ladung
Musik von Steve Reich, Gavin Bryars, Thomas Böttger, Ghristine K.Brückner, Peter Michael Hamel, Louis Andriessen und Sophia Gubaidulina.