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Das Gespenst von Canterville. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Das Gespenst von Canterville. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
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„Hans im Glück“, „Gold“ und „Das Gespenst von Canterville“ – Eine Ur- und 2 Erstaufführungen zeitgenössischer Kinderopern an den Berliner Opernhäusern

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Die Berliner Opernbühnen wetteifern zu Recht auch um die Gunst des jungen Publikums, vor allem in der Weihnachtszeit. Mit größtem Vorlauf startete die Komische Oper Berlin bereits vor mehr als einem Monat mit der Zweitfassung einer in Zürich uraufgeführten Oper, in der vergangenen Woche folgten im Zweistundenabstand die Deutsche Oper Berlin und die Staatsoper in der Werkstatt des Schillertheaters mit veritablen Uraufführungen nach.

„Das Gespenst von Canterville“ (Komische Oper Berlin)

Die Premiere „Das Gespenst von Canterville“, als Fortsetzung der Reihe der seit zehn Jahren in jeder Spielzeit erfolgenden, großen vorweihnachtlichen Kinderopernproduktion, erfolgte bereits zwei Tage nach Halloween, denn in der Opernadaption von Oscar Wildes Novelle hat Marius Felix Lange die Geschichte in die Gegenwart versetzt, und die ausgeflippte Geliebte (Adela Zaharia) des Berliner Immobilienmaklers Dr. Georg König (Carsten Sabrowski) will das Schloss mit echtem Gespenst in ein Holloween-Hotel umwandeln lassen.

Ein Kind aus der iPad-Generation neben mir äußerte beim Vorspiel mit schwarzen Totenvögeln über Gräbern enttäuscht, „das ist ja nur ein Video“, aber bald nahm die dichte, ein erwachsenes Publikum als Maßstab sich erwählende Inszenierung von Jasmina Hadziahmetovic auch die Scharen der Kinder im Auditorium gefangen.

Mehr als die sich bewegenden Ritterrüstungen mit leuchtenden Visieren auf der Galerie es Einheitsspielortes der Halle des Schlosses (Bühnenbild: Paul Zoller), fasziniert die Besucher eine überlebensgroße große, sich possierlich gebärdende Ratte mit leuchtenden Augen, die so einen Positiveffekt der Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung von Hans Neuenfels  abkupfert und damit den meisten Applaus erntet.

Allzu freundlich schwebt das greise Gespenst Sir Simon (Tom Erik-Lee) einher. Auf dem ferngesteuert fahrenden Sessel erlebt Virginia, die Tochter des Immobilienunternehmers aus Berlin, träumend die Vorgeschichte aus dem Jahre 1575, als der Feudalherr seine ihn nervende Gattin umgebracht hat. Stärker als die permanent nur in Reimen sprechenden Söhne des Maklers (Stephan Witzlinger und Fabian Guggisberg), teils auf Rollschuhen, teils bewaffnet mit Konfetti-MGs, singt und spielt sich Alma Sadé als die Empathie zum Gespenst entwickelnde Tochter Viginia in die Herzen den Publikums, die durch die Verbindung zum illegitimen Grafensohn David – dem sehr tragfähigen Tenor Johannes Dunz – entschädigt wird. Ein starkes Rollenprofil bietet Christiane Oertel als dessen fallsüchtige Mutter und Haushälterin des Gespensterschlosses.

Der von Andrew Crooks einstudierte Chor ist nur partiell identisch mit den Untoten in Renaissance-Kostümen (von Gideon Davey), acht Damen und vier Herren unterstützen die durchwegs über Mikroports verstärkten Sänger hinter der Szene.

Der Berliner Komponist Marius Felix Lange hat diese Gruseloper als ein Auftragswerk des Opernhauses Zürich geschaffen, in einer für die Deutsche Erstaufführung  „gründlich überarbeiteten“ Version erweist sich die Partitur unter der musikalischen Leitung von Kristiina Poska als ein überaus tragfähiger Soundtrack der Geschichte. Der große Unterschied der gefälligen, durchwegs tonalen Partitur zum Musical liegt in den fehlenden Ohrwürmern und in einem großen Orchesteraufwand, der neben dreifachem Holz, Harfe, Klavier, E-Piano, Cembalo, Glockenspiel, Xylo- und Vibraphon umfasst und die Bassregionen durch das zum Fagott tretende Kontrafagott auslotet.

Die aus Zürich übernommene Inszenierung erntete bei ihrer Premiere ausschließlich Zuspruch, mit heftigen Bravorufen und Füße-Trampeln des mit Kindern ab 6 Jahren durchsetzten Premierenpublikums.

Wie in den Vorjahren ist zur Kinderoper der Komischen Oper Berlin auch wieder ein illustriertes Kinderbuch erschienen, diesmal im Berliner Verlag Jacoby & Stuart.

„Hans im Glück“ (Staatsoper Berlin im Schillertheater)

Ein großer musikalischer Spaß ist die Uraufführung von David Robert Coleman. Das Vergnügen, welches der Librettist Rainer O. Brinkmann, der Komponist und die Regisseurin Julia Haebler bei der Entstehung dieses Auftragswerks der Staatsoper hatten, springt durchaus auf das Publikum über. Erzählt wird eine Paraphrase auf das gleichnamige Grimmsche Märchen, in dem Hans nach Beendigung seiner Lehrzeit in die Welt hinauszieht, um sein Glück zu finden.

Colemans Komposition mischt Anklänge an Klezmer und Bernsteins kühnere Klänge in der „West Side Story“ mit Kirmesmusik und grotesker Situationskomik. Mitreißend ist ein Quartett über das Schweineleben. Und das vierstrophige Koloratur-Arioso der Gans alludiert den Anfang der Zerbinetta-Arie aus Strauss’ „Ariadne auf Naxos“.

Das Ensemble Quillo, mit Ursula Weiler (Flöte), Alexander Glücksmann (Klarinette), Valentin Butt (Akkordeon), Martin Smith (Cello) und Rafael Molina Garcia (Schlagwerk) erfreut, da die Instrumentalisten nicht nur virtuos auf wechselnden Instrumenten spielen, inklusive Wiehern und Kuhglocke, sondern sich auch nicht zu schade sind, dramatisch mitzuspielen und auch mal die Drehbühne kreisen zu lassen. Am Ende macht das Quintett Glückssteinmusik, schlägt mit Assoziation auf den Goldklumpen und den dafür final eingetauschten Schleifstein mit Steinen aufeinander.

Auch der Dirigent Harry Lith, in einem Artistenkostüm, ist ins Spiel eingebunden: mit Ironie erweist sich der Taktschläger auch als Experte für die Schlagtechnik mit einem Hackebeil.

Originell ist die Kostüm-Gestaltung der Tiere, eine Leiter mit Reitsattel auf den Schultern der tanzenden Traumhelden (Alexander Tschausowsky und Jamal Uhlmann) durch die Ausstatterinnen Georg&Paul, geradezu obszön bei der mit ihren Eutern als Handtasche operierenden Kuh Emma (Paula Rummel), dem Schwein mit den auf der Außenhaut bereits verzeichneten, kapitalen Fleischstücken und einer gefederten, „acht Wochen lang genudelten“ Sexy-Gans, sowie mit dezenten Masken-Veränderungen für die verschiedenen Rollen von Hans’ Vater als Märchenvorleser und den beim jeweiligen Tauschgeschäft Hans übers Ohr hauenden Geschäftspartnern (Manos Kia); ein kleines Mädchen vor mir hatte schon den Meister, als er Hans großzügig einen Goldklumpen zum Lohn gab, durchschaut: „Der ist böse!“

Am Ende wird die knapp fünfviertelstündige Opernhandlung moralisch. Während Hans, (Timothy Sharp) der nicht mehr in die Ausgangsebene des einschlafenden Knaben im Bett zurückkehrt, räsoniert, „Ich muss in einer Glückshaut geboren sein!“, wird der Meister mit dem ihm ans Bein gebundenen Goldklumpen in einen Ziehbrunnen gestürzt.

Das vom Librettisten Brinkmann gestaltete, informative Programmheft schlägt für die „Philosophie des Glücks“ den Bogen von Hiob, über Hedonismus, Epikur, Seneca, Augustinus, Spinoza, Marx, Freud, bis hin zu Marcuse, berücksichtigt aber nicht das Stück „Hans im Glück“ des 21-jährigen Bertolt Brecht, das übrigens im Berliner Ensemble auf dem Programm steht.

Die durchwegs ausgezeichnete Premierenbesetzung der doppelt besetzten Produktion, der Komponist und das Regieteam ernteten nach der Uraufführung langen Applaus.

„Gold“ (Tischlerei der Deutschen Oper)

Geht es in der Kinderoper im Schillertheater also um den Gegenwert von Gold, so heißt das Musiktheaterstück in der Tischlerei der Deutschen Oper tatsächlich so, obgleich es explizit nicht um Gold geht.

Beim Operntitel „Gold" denkt der Opernkenner zunächst an Julius Bittners Oper „Das höllisch Gold". Aber das Libretto von Flora Verbrugge basiert auf dem Grimmschen Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“, leicht abgewandelt und zugleich aktualisiert. Gold steht bei der Regisseurin Annechien Koerselman als „ein Plädoyer für die Kindheit“.

Dieses Musiktheaterstück kommt mit nur zwei Personen aus. Da ist zum einen die erzählende, tanzende und singende Akteurin Christina Sidak, die als Jacob einen Zauberfisch geangelt hat, ihn wieder schwimmen lässt und dafür an ihn Wünsche stellt.

Zum Anderen der Schlagzeuger Lukas Böhm, der nicht nur für den zumeist tonalen und sehr melodischen Grundsound mit Marimba- und Xylophon sorgt, sondern auch live das Schnarchen der Eltern des Jacob übernimmt und sich virtuos in die Spielhandlung integriert, einmal mit einer Miniaturausgabe einer Singenden Säge.

Der Beginn der Aufführung verzögerte sich, da die vornehmlich jungen Besucher gruppenweise in Meeres-Rauschen, in crescendierende Geräusche und Bewegungen des sich immer aufrührender gebärdenden Ozeans, eingeführt wurden, die sie in der knapp einstündigen Aufführung als Meer im schlecht gefüllten Auditorium dann auch einsetzten.

Das Leben aus dem Koffer, das mit den durch Jacob vom Fisch gewünschten Fernreisen verbunden ist, evozierte offenbar bei der Ausstatterin Dieuweke van Reij eine Ansammlung von Koffern, in denen Miniaturen der im Märchen vom Fisch erfüllten Wünsche verborgen sind. Mirakelhaft an dieser Produktion ist nur, wie für eine als Junge kostümierte Darstellerin vier (!) Maskenbildner erforderlich sind.

Die erste Wunscherfüllung sind jedoch vertitable Schuhe für den jungen Jacob, die mit blauen und grünen LED-Leuchten flimmern. Und die Regisseurin lässt den Jungen, als alle immer größer werdenden Wunschreiche zerbrochen sind, diese Schuhe doch an den Füßen behalten. Da denkt der Opernfreund im Haus an der Richard Wagner-Straße unwillkürlich an Richard Wagners Gedicht „Die grünen Schuhe“, in dem es heißt: „Nun bin ich aller Sorgen ledig, denn nur die Schuhe waren nötig!"

Weitere Aufführungen:

  • Komische Oper Berlin: „Das Gespenst von Canterville“: 26. 12. 2014
  • Staatsoper Berlin im Schillertheater: „Hans im Glück“: 9., 10., 12., 13., 14., 15., 16., 20., 21., 22., 27. und 28. 12. 2014
  • Tischlerei der Deutschen Oper: „Gold“: 7., 9.,10., 11., 12., 21. und 22. 12. 2014

 

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