An den Landesbühnen Sachsen bekommt der Junge Amahl in „Amahl an the Night Visitors“ neben dem Wunder der Heilung seines Handicaps einen Appell zum Glauben an die Kraft des eigenen Wollens. Diese Produktion beinhaltet mit großer Besetzung auch das Bekenntnis zur utopischen Kraft von Musiktheater. Das junge Publikum war in der Vorstellung am Mittwochmorgen von Gian Carlo Menottis Adaption der biblischen Geschichte von den Drei Weisen aus dem Morgenland begeistert.
Heilender Einfluss: Menottis „Amahl“ hat in Radebeul ein motivationsstarkes Alter Ego
Der kleine Amahl kann in Julia Mintzers Inszenierung schon zu Beginn gehen. Das wirkt sogar annähernd mühelos. Aber die Krücken benötigt Amahl zur Sicherheit immer in Reichweite. Von ihnen ist Amahl also noch abhängig. Zu Beginn der morgendlichen Kindervorstellung im Stammhaus der Landesbühnen Sachsen sprechen die Darsteller des Jungen Amahl und seines Doubles Amahl II kurz zum Publikum. Für den 11-jährigen Zifei Oliver Liu von den Dresdner Kapellknaben ist es seine Premiere in dieser Produktion. Virginie Blei ist Amahl II. Sie hat im echten Leben die Erfahrung des Nicht-mehr-gehen-Könnens am eigenen Körper durchlitten, aber auch mit viel innerer und äußerer Kraft überwunden. In zwei von ihr geschriebenen Büchern will sie die guten Energien, welche sie beim Heilungsprozess geleitet hatten, weitertragen. Nur Amahl sieht in der Aufführung von Menottis 55-Minuten-Oper sein ihn um fast zwei Köpfe überragendes Double, alle anderen Figuren nicht.
Das schafft eine, wenn nicht sogar zwei neue Ebenen zur von Gian Carlo Menotti auch getexteten Wunder- und Verzeihungsgeschichte, welche am Heiligabend 1951 als live übertragene Fernsehoper in New York uraufgeführt wurde. Gemessen an den „Zugabe“-Rufen des Publikums in Radebeul und dem Szenenapplaus, wenn Amahl wieder ‚richtig’ gehen kann und die Krücken nicht mehr braucht, ist sie auch an den Landesbühnen Sachsen ein Riesenerfolg. Die Kinderperspektive wird auf der Bühne farbig, aber nicht betulich durchgehalten. Das wie ein Klappalter aufgestellte Bühnenbild von Ralph Zeger besteht aus Zeichnungen von Amahl, welche dieser zum Schönfärben seines bisher eher traurigen Daseins auf die nachtblauen Wände malte. In Julia Mintzers Inszenierung sind Amahl und sein sehr vitaler Hoffnungsspender Amahl II die am ehesten realistischen Figuren. Etwas distanziert wirkt der Chor mit Kinderchor der Landesbühnen Sachsen bei der Huldigung an die drei Weisen aus dem Morgenland, die eine Herberge suchen. Barbara Blaschke staffierte die Weisen – definitiv konform mit der christlichen Sakralkunst vieler Jahrhunderte – zu pompösen, mindestens reichen Potentaten auf. Deren Rodelschlitten bricht unter den Geschenkpackungen fast zusammen. Dagegen erhielt die Figur von Amahls Mutter durch die Regie ein figürliches und fast auf die Stimme abfärbendes Einheitsgrau. Die Sprünge von Amahls Mutter zwischen Leid, Verdruss und Freude gerieten etwas variantenarm. Der Diebstahlversuch der Mutter hat auch wenig psychische Tiefgründigkeit, weil Antje Kahn mit Nibelungentreue für die Regie sich keine Temperamentskontraste erkämpfte. So darf man Amahls physische Selbständigkeit am Ende der Oper auch als Abnabelung aus der überprotektiven Grauzone verstehen.
Menotti setzte in seiner Partitur kaum Direktzitate, bediente sich allerdings aus dem Erkennungsreservoir von Klang-, Rhythmus- und Motivsplittern querbeet durch Romantik und Moderne. Bei ihm wird die Huldigung an die drei Weisen zu einer Tanzszene (Choreographie: João Pedro de Paula). Hans-Peter Preu am Pult und die Elbland Philharmonie Sachsen gestalten das durch und durch tonale Weihnachtsstück so sorgfältig und aus dem Orchesterhumus aufblühend, als ginge es um „Hänsel und Gretel“. Es klingt hier also opulent und groß, was sonst meist nur in Studioräumen mit eher kleineren Personalkapazitäten daherkommt. Kay Frenzel (Kaspar), Paul Gukhoe Song (Melchior) und Do-Heon Kim (Balthasar) geben ein verschmitzt bewegtes Trio der Weisen mit viel konfuzianischem Lächeln und jovialer Nächstenliebe. Ihre Reise unter Führung des Sterns von Bethlehem geht auffallend gemächlich von sich, was im derzeitigen Klima von Beschleunigung und alltäglicher Rasanz fast wie subversiver Spott wirkt. Stück und Aufführung bieten also mehrere Gedanken, welche weiter und weitaus tiefer reichen als harmoniesüchtiges Adventshochgefühl. Auch unter diesem Aspekt ist die Produktion vollauf gelungen.
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