Die Oper beginnt. Mozart hat ihre Musik geschrieben, und gemeinsam mit seinem klugen Librettisten Lorenzo da Ponte zeigt er, dass im Leben und in der Liebe auf nichts wirklich Verlass ist. „Così fan tutte“ („So machen es alle“) heißt das Sechs-Personen-Stück. Als es im Stuttgarter Theaterhaus anfängt, ist die Bühne schon vor der Ouvertüre voller Menschen. Sie spielen, sie streiten, sie träumen, sie reden. Sie warten. „Wir sind heimatlos in der Fremde“, sagt ein kleiner Junge; andere erzählen von Schmerz, Tod, Angst und davon, dass sie sich zurücksehnen in ihr Heimatland Syrien.
„Così fan tutte“ im Theaterhaus ist nicht nur eine Opernaufführung, sondern hat den Anspruch, zwei Kulturen aneinander zu spiegeln und aus Gegensätzlichem Synergieeffekte zu gewinnen. Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aus einem Auffanglager bei Biberach bilden Kulisse, Hintergrund und Gegenpart zur Opernhandlung, die der Regisseur Bernd Schmitt in ein Asylbewerberheim verlegt hat. Nachdem sie Mozarts Ouvertüre ihre eigene vorangestellt haben, formen die Flüchtlinge den Chor, in den sich die Sänger einreihen, und einmal fügen sie, dann mit eigenem Dirigenten, den Opernklängen eine lange Hymne ein, die Syrien als Paradies auf Erden preist. Das reibt sich nicht nur an Mozart, sondern auch an der politischen Gegenwart. Am Rest des Abends steht Garrett Keast am Pult eines Orchesters, das aus Streichern des Kurpfälzischen Kammerorchesters Mannheim und (unter dem Namen Stuttgarter Symphoniker) aus Bläsern etlicher Stuttgarter Orchester besteht. Keast macht seine Sache gut, schafft Klarheit und Drive. Unter den jungen Sängern sind einige gute, und der beste ist Florian Götz als Guglielmo. Dass sie alle mit Hingabe singen und spielen, ist Folge oder auch Teil des medial viel beachteten und nach vier Stunden vom Publikum lange und laut gefeierten Projektes.
Tatsächlich ist die Verpflanzung von „Così fan tutte“ in ein Asylbewerberheim eine mögliche Setzung, die manches plausibel macht: Fiordiligi und Guglielmo, Dorabella und Ferrando sind syrische Asylbewerber, und es leuchtet ein, dass die Männer durch ihre Verkleidung als deutsche Aufseher für die Damen attraktiv werden, die vom Aufenthaltsrecht in Deutschland träumen.
Bernd Schmitts Inszenierung spielt nicht nur die unterschiedlichen Moral- und Tabuvorstellungen der beiden Kulturen deutlich gegeneinander aus, sondern spielt auch mit sprachlichen Gegensätzen (etwa zwischen dem Italienischen der Liebenden und dem Deutschen von Don Alfonso – der hier ebenfalls ein Aufseher ist – und seiner Handlangerin Despina – „Meine lieben Asylanten! Sie verschlingen das ganze Essen, und ich soll verhungern“), und nebenbei mutieren Mozarts Türken und Walachen munter zu Schweizern und Ostfriesen. Brüche gibt es auch (können Asylbewerber zum Armeedienst einberufen werden?), aber die hat dieses Projekt ohnehin – nicht erst am Schluss, als über der fragwürdigen Versöhnung der Paare eine Projektion „Frieden für Syrien“ einfordert. Aber vielleicht ist ja schon viel erreicht, wenn eine Kultur die andere wahr- und ernstnimmt. Und womöglich auch ein wenig staunt über Fremdes, das auch schön, merk- und denkwürdig ist.