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Heimliche Reisen nach Palästina und in den Zirkus

Untertitel
Mozarts "Entführung aus dem Serail" und "Die Zauberflöte" bei den Salzburger Festspielen 1997 · Von Gerhard Rohde
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Mozart und Moderne: Das sind Gerard Mortiers Eckpfeiler für das Festspielprogramm bis zum Jahre seines vorläufigen Vertragsende: Die Festspiele 2001. Dabei hat Mortier schon jetzt einen neuen "Figaro" mit Simon Rattle für 2002 festgemacht. Ein Kuckucksei für den Nachfolger oder dezent-direkter Hinweis auf weitere Salzburg-Ambitionen? Bei diesen Festspielen, die soeben zu Ende gegangen sind, standen gleich fünf Mozart-Titel auf dem Spielplan: Drei Reprisen mit den Opere serie "Mitridate", "Lucio Silla" und "La Clemenza di Tito", zwei Neuinszenierungen der "deutschen" Opern: "Die Entführung aus dem Serail" und "Die Zauberflöte". Für die "Entführung" wartete Mortier mit einer RegieÜberraschung auf: Der Palästinenser François Abou Salem hat noch nie eine Oper überhaupt inszeniert. Für die "Zauberflöte" verließ sich Mortier auf die Kreativität Achim Freyers, der schon vor eineinhalb Jahrzehnten einmal mit einer ungewöhnlichen "Zauberflöten"-Darstellung an der Hamburgischen Staatsoper fasziniert hatte. In Salzburg waren beide Aufführungen zum Teil heftig umstritten, was Mozart nur gefallen kann: Sein Werk bleibt nur in der steten Auseinandersetzung so lebendig, wie sein Schöpfer es erdacht hat. Die Entführung nach Palästina. François Abou Salem ist Palästinenser, die "Entführung aus dem Serail" seine erste Bekanntschaft mit einer Oper als Regisseur. Soll man verlangen, daß Abou Salem eine gängige Inszenierung abliefert, wie ein Oberspielleiter an einem deutschen Stadttheater? Schnell spürt der unvoreingenommene Beobachter, wie intensiv sich der Regisseur in das Werk vertieft, sich auf Handlung und Figuren eingelassen hat. Ein hoch gewellter Stacheldrahtzaun signalisiert die Absicht: Für François Abou Salem spielt die "Entführung" in dieser Zeit, in seinem Land, in Palästina, in dem zweieinhalb Millionen Menschen um ihr Recht auf ihre Heimat kämpfen. Die Gefangenschaft von Konstanze, Blonde und Pedrillo ruft bei Abou Salem Bilder seiner Gegenwart hervor: Gewalt, wehrlose Opfer, Krieg und Geiselhaft. Menschen suchen ihre Verwandten, halten Bilder hoch von Vermißten. Auch Belmonte sucht "seine Konstanze". Um sie zurückzuholen, greift auch er zu Entführung und Gewalt. Deckt sich die aktuelle Sicht mit den Perspektiven des Werkes? Bassa Selim singt auch hier nicht. Aber er bringt seine Musik mit in die Aufführung. Sufi-Musiker begleiten seine Erregungen und Leiden, sein Drohen und Flehen um die Liebe Konstanzes. Wenn im dritten Akt Belmontes Arie von der Freude und den Tränen aus der melancholischen Melodie einer Sufiflöte unmittelbar herauszuströmen scheint, dann empfindet man die Spannung, den Reiz dieser musikalischen Begegnung. Abou Salems Inszenierung bringt nach dem Prinzip einer Collage die "Welten" zueinander, das alte Stück und die politische Gegenwart, Mozart und Sufi-Musik. Die Mauern des Serail, das sind die Stacheldrahtsperren, an denen ein israelischer Soldat patroulliert. Die arabischen Menschen sind heute die Gefangenen, Bassa Selims "Macht" ist nurmehr Fiktion. Doch das Leben geht weiter, und die Menschen hinter dem Stacheldrahtverhau leben ihren Alltag, der auch von Fröhlichkeit, von Musik und Tanz erfüllt ist - unser Bild auf dieser Seite gibt von diesen Szenen der Aufführung einen lebhaften Eindruck. "Wenn Mozart auf islamischem Boden geboren wäre, würde er ein Sufi-Musiker sein", sagt der Regisseur. Es ist das Humanum in Mozarts Musik, das Abou Salem für seine Sicht der Dinge reklamiert. Wer will, wer kann ihm das verwehren? Müssen nicht auch wir etwas von der Humanität und Toleranz einbringen, die Mozarts Bassa Selim in der Überwindung auszeichnet? Die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, mit der François Abou Salem seine "Entführung nach Palästina" zur "Sprache" bringt, verbietet jede Herablassung. Man schaut der Aufführung im barocken Residenzhof zu Salzburg tief berührt und gedankenvoll zu. War die "Entführung" mit dem so schrecklich lustigen Osmin einst nicht vielleicht ein Heilmittel, den türkischen Alptraum über das befreiende Lachen im Theater abzuschütteln? Die "bösen" türkischen Geister mit greller Janitscharenmusik zu vertreiben, das Trauma im nur scheinbar heiteren Märchen zu bannen? Und ist nicht der palästinensische Künstler Abou Salem ein Verwandter im Geiste Lessings? Denkbare kritische Einwände reduzieren sich rasch auf rein Formelles: Natürlich fällt der dramaturgische Werkzusammenhang durch die Hinzufügungen der Sufi-Musik und der Tanz-und Volksszenen ein wenig auseinander. Mitunter stellt sich der Eindruck multikultureller Bemühung ein, auch wirkt manches mangels Metiererfahrung unbeholfen inszeniert. Aber ist dieser Eindruck des Ehrlichen, Aufrichtigen nicht umso stärker, weil hier nicht glatte Regieperfektion herrscht? Die Mitspieler, die "Reisegenossen" dieser ungewöhnlichen Opern-Expedition im Namen Mozarts tragen die Vision des Regisseurs bewundernswert mit. Marc Minkowski dirigiert das Mozarteum-Orchester energisch, treibt es zügig, mit starker Motorik voran, findet gleichwohl immer wieder zu kantablen Ruhepunkten in den Arien, zu einem gespannten Expressivo. Christine Schäfer als Konstanze, Paul Groves als Belmonte, Franz Hawlatas Osmin, das zweite Paar mit Malin Hartelius und Andreas Conrad - sie alle bilden ein ausgewogenes, in den Timbres gut abgestimmtes Ensemble, das den realistischen Stil der Inszenierung auch im Spiel sauber trifft. Die übliche Entführungsklamaukkomik fehlt. Für den Bassa Selim wartet die Aufführung mit einer Besonderheit auf. Akram Tillawi, hochgewachsen, schlank, elegant, wirkt wie ein moderner Manager. Die gebrochene deutsche Sprechweise suggeriert Authentizität der Figur. Am Ende, wenn der Traum von der abendländischen Liebe ausgeträumt ist, legt dieser Bassa Selim die neuen Kleider ab, schlüpft wieder in das traditionelle weiße Gewand. Traumtänzerisch verschwindet es mit zwei Gefährten langsam sich drehend und wiegend im Hintergrund. Flucht in die Vergangenheit? Besinnung auf die eigene kulturelle Identität? Die "Westler" aber trollen sich in ihrer Tageskluft in die "Freiheit", wie sie sie verstehen. Abou Salem entläßt uns mit Rätseln, gedankenvoll. Das "Zauberflöten"- Welttheater im Zirkusrund Der Zirkus, das Manegenrund, die "Himmels"-Kuppel mit den höheren Menschen, die fliegen können, und die niederen Wesen, die auf der Erde ihre Purzelbäume schießen, Clowns genannt, schließlich die Tiere aller Arten, wie in der Arche Noah – wer möchte leugnen, daß der Zirkus ein Ort höherer Bedeutung ist, Abbild der Welt und des Lebens, oben und unten, die Magie des Kreislaufs, die Kunst der Balance und der zweigeteilte Mensch, der sich sehnt, wieder zur Einheit zu gelangen, am bildhaftesten zu erkennen, wenn hoch unter der Zirkuskuppel Artist und Artistin sich im Flug zu vereinen scheinen, Vögeln gleich, die zu den Göttern aufzustürmen versuchen, ähnlich den sagenhaften tonnenförmigen Mann-Weib-Menschen, die sich anmaßten, wider die Götter zu streiten und dafür von Zeus mit jenem legendären Zerteilen in zwei Hälften bestraft wurden. Platon erzählt es wunderbar anschaulich in seinem "Gastmahl". Wer will bestreiten, daß ein solcher Zirkus der ideale Spielort für Mozarts "Zauberflöte" ist, ja, daß diese Zauberoper die tiefere Weisheit des Zirzensischen schon in sich trägt? Achim Freyer jedenfalls, der Maler, Bühnengestalter und Regisseur, dessen Phantasie abseits gängiger Interpretationen unser Theater immer wieder wundersam belebt, errichtete für seine Vision der "Zauberflöte" ein eigenes Theater, ein Zirkuszelt eben, das er in die berühmte Felsenreitschule zu Salzburg hineinstellte, so daß niemand mehr etwas von dieser zu erkennen vermochte – für manchen ein ungeheuerlicher Verstoß gegen die Tradition. Freyer schafft sich seine Spielräume, in die er seine Bilder, Zeichen und Bedeutungen hineinprojiziert, autonom. Er will keine vorgegebenen Szenerien, keine "Natur", keine Arkaden, keine fremde, also "falsche" Stimmung. In den Kunst-Raum des Zeltes (das dann aber auch für das Singen, vor allem für das Orchester der Wiener Philharmoniker einige akustische Schwierigkeiten bringt) projiziert Freyer die "Zauberflöte", und auf ganz natürliche Weise scheint das Werk mit diesem Raum zu verschmelzen, in ihm zu schwingen, mit ihm zu korrespondieren. Kreisform und Farbe gewinnen symbol-und rätselhafte Bedeutungen. Wer sich die Zeit nimmt, im Programmbuch die unzähligen Kreismotive aus allen Zeiten mit ihren oft komplizierten Bedeutungen zu studieren, die Texte Leonardo da Vincis, Platons, Goethes, Hofmannsthals, Gaston Bachelards "Psychoanalyse des Feuers" oder Erich Neumanns "Über den Mond und das matriarchale Bewußtsein" aus der "Psychologie des Weiblichen" zu lesen, der hält rasch die Schüssel zu dieser Inszenierung in Händen. Freyers "Zauberflöte" verengt sich nicht auf eine bestimmte Auslegung. Sie geht spielerisch, poetisch, ganz leicht und mit einer großen inneren Heiterkeit mit den Themen, Motiven und Bedeutungen um. Nicht die Interpretation drängt sich vor, sondern das Theater behauptet seine Herrschaft. Freyer verteilt dabei seine Interessen und Vorlieben durchaus nach persönlichem "Geschmack". Mit der Deutung der Sarastro-Sphäre hält er sich zurück: Sie wird ins Märchenhaft-Ironische und zuguterletzt sogar ins Zirzensische gewendet: Sarastro entpuppt sich als der Herr Zirkusdirektor, was in gewisser Weise sogar logisch im realistisch-psychologischen Sinn erscheint: Ist er nicht der Meisterdresseur für menschliches Verhalten, dessen Verbiegungen er festsetzt mit seinen verfluchten Prüfungsritualen? Bilder und Zeichen voll von Ironie durchwachsen die Szenen. Unter Sarastros Löwen findet sich eine miauende Katze, die Priester mit ihren putzigen Spitzhüten tanzen ein triadisches Ballett, der Sprecher wird wie Simon der Stylit auf eine hohe Säule gesetzt, die zwei Geharnischten schlurfen als golden-bewehrte Gnome herein (der alte Trick mit dem Knie als Fuß im Schuh). Freyers Zuneigung aber gilt den Menschen in der "Zauberflöte". Tamino, in der Hamburger Aufführung von 1982 noch im Matrosenanzug auf dem Weg ins Erwachsenwerden, tritt jetzt als weißgeschminkter Pierrot auf, der sich als morgenländischer Prinz verkleidet. Zu Beginn steht er im Hintergrund auf einem Bein, den Rücken zum Publikum - Zitat des "Schlauchhüpfers" aus Platons "Gastmahl". Er wird nicht nur Erkenntnis, mehr noch die Liebe suchen, die nichts anderes ist als die Sehnsucht nach Wiedervereinigung von Mann und Frau. Im Schlußbild sieht man Tamino und Pamina an derselben Stelle, nun hebt die Frau das eine Bein: Die Utopie der Einheit, die sich spiegelt in einem Double-Paar hoch oben im Zelt, das verlangend die Hände nacheinander ausstreckt: Das Kreis-Spiel der ewigen Sehnsucht geht weiter, und die Menschen, wir, die wir zuschauen, dürfen uns im Spiegel selbst erkennen: In Alltagskleidung ist zur Feuer-und Wasserprobe der Chor auf die Bühne gekommen, nimmt auf kreisrunden Bänken links und rechts Platz und schaut wie der Zuschauer dem "Experiment" zu. Es ist faszinierend zu erleben, wie ein Regisseur sich selbst in einen künstlerischen Kreis hineinstellt, wie er einen Entwurf für einen Werkkosmos im zweiten Umkreisen variiert, weitet, den Kreis größer zieht. Zu dem "Entwicklungsroman" der Hamburger Aufführung tritt hier beherrschender die Mann-Frau-Thematik, und das allerschönste dabei ist, daß Achim Freyer über die Nachdenklichkeit nicht das Theaterspielen, das Komödiantische, das poetische Zeichen-und Bildererfinden vergißt. Dabei helfen ihm die Sänger auf eine Art, die auf herzliche Zuneigung schließen läßt. Matthias Goerne ist ein wunderbarer "Clown"-Papageno, ein feiner Mensch mit zu großen, bunten Hosen und einer langen spitzen roten Nase, auf der man umgedreht auch pfeifen kann. Jede penetrante Papageno-Lustigkeit ist verbannt, Goerne bietet poetisierte Komödiantik und singt dazu stilvoll und hochmusikalisch. Auch Michael Schades Tamino liegt auf dieser Linie, mit Stil, sehr musikalisch und lebendig im Ausdruck. Mit dem leicht kühlen Charme einer Colombine aus dem Morgenland setzt Sylvia McNair in den Vorstellungen nach der für sie etwas ungünstig verlaufenen Premiere ihre schön klingenden und verbundenen Töne. Die nächtliche "Mutter-Königin" Natalie Dessay schleppt als Hutzelweibchen gebückt eine schwere Mondsichel herein, die dann leicht zum Himmel entschwebt, während sich die Trägerin in eine rotflammende Haß-Liebe-Herrscherin verwandelt und zum Schluß sich als Frau Zirkusdirektor ganz leicht und heiter in den gelösten Spielgestus der Inszenierung einfügt. Das neue "Zauberflöten"-Ensemble hinterläßt auch in den weiteren Partien einen sorgfältig komponierten Gesamteindruck, von René Pape markant singendem Sarastro bis zum Monostatos von Robert Wörles, der im schwarzen Habit und mit heller Hautfarbe wie ein Dämon aus einem romantischen Ballett aussieht, und, wie schon in Hamburg Peter Haage, einen schwarzen Penis im Gesicht trägt: groteskes Zeichen sexueller Obsessionen. Freyer liebt solche kräftig-deftigen Zeichen. Christoph von Dohnanyi hat auch schon in Hamburg Freyers Inszenierung musikalisch begleitet. Mit den Wiener Philharmonikern bevorzugt er ein kultiviert vorgetragenes, sensibel ausgehörtes Mozart-Klangbild, in dem sich Kantabilität, Spiritualität und Tonschönheit die Balance halten. Eine musikalisch poetische "Zauberflöte", die nie lautstark oder vorlaut das Szenische beredt begleitet. Im nächsten Jahr will man versuchen, die akustischen Bedingungen zu verbessern. Die Philharmoniker sind mit der Entfaltung ihres Mozart-Schönklangs nicht ganz zufrieden. Nicht nur Bayreuth, auch die Salzburger Festspiele sind eine Werkstatt.

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