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Foto: Dirk Rückschloß bur-Werbung.
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„Heißer Sommer“ an den Greifensteinen – Schlagfertiges Open-Air-Event

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Nach seinem Tod am 4. August 2015 ist die Zahl der Aufführungen der Bühnenwerke von Gerd Natschinski und damit des Heiteren Musiktheaters der DDR auch in den jungen Bundesländern fast auf dem Nullpunkt. Vor einer Wiederaufnahme seines bekanntesten Musicals „Mein Freund Bunbury“ am 9. September 2018 an der Musikalischen Komödie Leipzig wurde die Bühnenfassung des DEFA-Filmmusicals „Heißer Sommer“ im Naturtheater Greifensteine zum mega-turbulenten Bühnenspaß.

Der sozialistische Vorläufer von „Eis am Stiel“ macht hat Witz und Tempo. Das Heitere Musiktheater der DDR diesmal also nicht auf dem Optimierungstrip zum Kommunismus, sondern in ganz unbeschwerter Ferienlaune mit dem immer aktuellen Dauerthema „Boy Meets Girl“ - absolut puristisch!

Es sind die Nachgeborenen, weniger die DDR-Zeitzeugen, die beim ach so lebenswahren Schlager „Männer, die noch keine sind“ oder der Titelmelodie beglückt mitsingen! Jetzt hat Intendant Ingolf Huhn vom Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz mit dem DEFA-Musical „Heißer Sommer“ also nach der unverwüstlichen „Ronja Räubertochter“ wieder einen echten Knaller für die Festspiele im Naturtheater Greifensteine. Der Jubel nach der Premiere am Sonntagnachmittag erreicht seinen Höhepunkt, als Chris Doerke, die vor genau 50 Jahren an der Seite von Frank Schöbel auf der Leinwand die heute legendäre Stupsi war, auf die Bühne kommt, dem Ensemble gratuliert und im hellen Sonnenschein ihren ersten Auftritt mit dem erzgebirgischen Lied „Wenn's draußen wieder schneit“ heraufbeschwört.

Quietschlebendiges Filmmusical

Diesen Kick Richtung Regionaloffensive und Ostalgie hat „Heißer Sommer“ aber gar nicht nötig. Das ist überhaupt das Schönste, was man über dieses quietschlebendige Filmmusical und seine leider noch sehr überschaubare Bühnenkarriere sagen kann. Die Story von den zwölf JunX aus Karl-Marx-Stadt und den dreizehn Mädels aus Leipzig, die Richtung Ostsee toben und sich dort untereinander kräftig aufmischen, hat an den Greifensteinen einen derart putzmunteren Drive, dass selbst einige minimale Handicaps diese Ferien-Sause befeuern: Der etwas plärrige Sound aus den Boxen intensiviert das Strandfeeling und vor allem tanzt, röhrt, ballert das Ensemble seine Songs und Texte zur Band aus der Tonkonserve, dass man die artistisch überdrehte Kameraführung des DEFA-Kultfilms vergisst. Das liegt sicher auch daran, dass sowohl Thomas Natschinski, der bei dieser Filmmusik 1968 erstmals neben seinem schon damals legendären Vater Gerd Natschinski ins Rampenlicht der Unterhaltungsmusik trat, dem seine Rockmusical-Karriere von der späten DDR in der Nachwendezeit aufmöbelnden Thomas Bürkholz und Textautor Axel Polke ausgewiesene Metier-Experten für die Bühnenfassung Hand anlegten. 2005 erlebte diese durch das Volkstheater Rostock ihre Erstaufführung am Originalschauplatz. Erst auf dem Höhepunkt der Ostalgie-Welle entdeckten die Autoren also, dass man mit einer Darstellung der sonnigen Seite des Sozialismus Erfolg haben könnte. Das 1968 von den DDR-Medien als seichte Beschäftigungstherapie für Jungmimen kritisierte Opus mauserte sich allerspätestens 2016 zum beliebtesten DEFA-Film überhaupt. So geht das.

Die „Damals-als-wir-jung-waren“-Zone

Ins Grübeln kommt man über den Schauplatzwechsel von der blauen Ostsee ins grüne Erzgebirge nur, weil an den Greifensteinen der Blick zurück in die „Damals-als-wir-jung-waren“-Zone mit einer Rahmenhandlung im Heute beginnt. Warum der ramponierte Kutter auf der malerischen Naturbühne steht, wird in Manier des realistischen DDR-Theaters trefflich legitimiert. Der alt gewordene Kay (Olaf Kaden) erinnert sich an den „Heißen Sommer“ 1968 und die Liebesrangeleien, in denen sich möglicherweise doch nur die falschen Paare gefunden hatten. Gisa Kümmerling ist nicht nur eine Touristin, sondern im temporeichen Nichts der Handlung auch die Herbergsmutter, welche für die eigenen Moralparolen den angebrachten Ernst doch etwas vermissen lässt.

Spitze der Überdrehtheit

Ein Mädel zu viel schafft Komplikationen: Kirsten Hocke macht darum in ihrer Choreographie viel Wirbel und jagt die 25 Protagonisten über die Stöcke und Steine des Naturtheaters, um die Felsen herum und durch die Zuschauerreihen. Vom Transporter bis zu den halb aufgebauten Zelten am Strandcamp ist es bewundernswert, was Tilo Staudte für seine Ausstattung bis zum Auto-Transporter mit Hilfe privater Leihgeber alles an DDR-Accessoires zusammensammeln konnte. Friederike Kury wird für ihre mit persönlichkeitsstarker Frechheit und Natürlichkeit begabte Stupsy von Rollenurbild Chris Doerke bewundernd umarmt. Sie, Elisabeth Markstein (Brit), Nick Körber (der junge Kay in den Fußstapfen von DDR-Schlagerkönig Frank Schöbel), Sebastian Schlicht (Wolf), Marvin Thiede (Transistor) und Marie-Louise von Gottberg (Sibylle) rocken an der Spitze eines Ensembles, das Axel Polkes Dialoge zum satten Vergnügen macht. Tempo und glaubhafte Naivität triumphieren. Nur weil „Heißer Sommer“ 1968 spielt, darf das aus heutiger Perspektive so unterhaltsam, beglückend frech und so unkompliziert heteronormativ sein. Mit Plattitüden-Zungenbrechern gipfeln die damaligen Wertekonflikte zwischen kleinbürgerlichem und sozialistisch entwickeltem Bewusstsein für Geschlechterrollen brillant auf die Spitze der Überdrehtheit. Auch deshalb ist „Heißer Sommer“ an den Greifensteinen eine wunderbare Alternative zum „Weißen Rössl“, dem anderen unverwüstlichen Urlaubsflirt-Klassiker. Zumal, wenn die Dialektik des Brechtschen Theaters und die Theorie heutiger Drehbuchschreibe so herrlich zickig aufs Korn genommen werden wie von Isa Etienne Flaccus als theaterinfizierter Thalia: Doch bei der Theorie des Kusses darf es in „Heißer Sommer“ nicht bleiben und erst recht nicht bei der Parole „Küssen verboten!“, die eine heute vergessene sozialistische Ostsee-Operette ausruft. Mit „Heißer Sommer“ wird der Theatersommer deshalb richtig heiß, auch wenn da niemand einen Farbfilm vergessen hat.

  • Wieder am Do 26.07./17:00 Uhr – So 29.07./15:00 Uhr – Mi 01.08./17:00 Uhr – Di 14.08./17:00 Uhr – So 19.08./15:00 Uhr – Do 23.08./17:00 Uhr – Do 30.08./17:00 Uhr – So 02.09./17.00 Uhr 

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