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Hespos Poster.
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„Hellhörig riskieren wir wache Ohren …“ – Hespos 80 – zu einem besonderen Festival in Hannover

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Würde man den Komponisten Hans-Joachim Hespos darum bitten, sich vorzustellen, bekäme man die karge Antwort: „Ich heiße Hans-Joachim Hespos und mache Musik“. Auf die Frage, was für eine Musik er denn schreibe, bekäme man wahrscheinlich keine Antwort. Wenn man Glück hat, erhielte man vielleicht, begleitet von einem kaum wahrnehmbaren, listigen Lächeln, den Hinweis: „Hellhörig riskieren wir wache Ohren ins akut musikalische Wagnis zu einer neu-anderen Gegenwart in Freiheit …“ – mitgeteilt in dem grafisch schön gestalteten und interessanten Programmheft, mit ausführlichen Informationen über die Interpreten – aber keinem einzigen Einführungstext zu den Werken von Hespos.

Diesen Mut, hellhörig zu machen, hatte Musik 21 NGNM e.V. Hannover aufgenommen und dem – kaum zu glauben – nun auch schon achtzigjährigen Komponisten vom 8.-10. Juni ein dreitägiges Festival ausgerichtet, veranstaltet gemeinsam mit der Staatsoper Hannover, mit klangpol Nordwest und der Hochschule für Musik, Theater und Medien. Ein Komponist stand hier im Mittelpunkt (endlich einmal), der vor allem durch seine spielpraktischen Wagnisse einen wichtigen Platz in der Avantgarde-Riege besetzt hat. Seine Klangästhetik eines radikal verdichteten Expressionismus, nicht nur des Instrumentalklangs, ist einzigartig in der weiten Landschaft neuer Musik. Seine Partituren fordern von den Musikern intensive Produktion, statt Re-produktion.

Allein schon die drei Konzerte am Sonntag – 14, 19 und 21 Uhr – im Ballhaus Eins erzählten eine Menge von den Eigenarten der Hesposschen (Kammer)Musik. Ein erfrischender Auftakt war das Mittagskonzert. Aus zehn zwischen 1964 und 2016 entstandenen Kompositionen für ein bis drei Instrumente, Ton- und Lichttechnik hatte das junge, fünfköpfige Ensemble des Niedersächsischen Staatsorchesters, mit der Sopranistin Johanna Varga als Gast, eine so spannende wie unterhaltsame Klangszene gebaut. Sie überraschte mit ungewöhnlichsten Instrumental- und Objektklängen, (z. B. einem klirrenden Materialsack, angefüllt mit Metallgegenständen alle Art, in ÕING – klaffende leere, 2004) und klangschönen dissipativen gesängen (für  Oboe d’amore und Singende Säge, 2016). Ein Schattenspiel (hm, 1987) erinnerte an die Unabdingbarkeit des Gestischen in der Hesposschen Musik und ʧᴐ – „es darf utopisch gedacht werden“ (2016) für Sopran, Xylophon, Licht/Ton/Szenentechnik fasste das alles in fünf Minuten mit Witz und spielerischer Leichtigkeit zusammen. Höhepunkt aber war zweifellos weißschatten (2016) mit Florian Groß (Klavier) und der in Karlsruhe geborenen, kolumbianischen Sängerin Johanna Vargas – eine Entdeckung. Mit scheinbar müheloser Perfektion bot sie die vokalperformerische Exzentrik dieses wortlosen Dialogs mit dem Klavier.

Das erste Abendkonzert, mit dem oh-ton Ensemble Oldenburg, litt leider unter zweierlei: dem merkwürdig unengagierten Auftreten der Musiker und den Programmänderungen, die entgegen den bereits gedruckten Programmänderungen noch einmal vollzogen, aber nicht angesagt wurden. Der Hesposschen Musik – bei souveränen Interpretationen – schadete das allerdings kaum. Selbst ein Stück von 1970 wie en – kin das fern-nah für Bassklarinette, Sopransaxophon, Fagott, Flügelhorn und Kontrabass klingt in seinem radikalen Pointillismus der einzelnen Stimmen frisch, unverbrauchbar, gegenwärtig. Sehr deutlich wurde hier, ob bei den Solostücken für Lupophon, Alt-Saxophon und Euphonium oder bei den anderen Ensemblekompositionen spók tango (2014) und UPEX (1988, mit Kreischlache: Ute Wassermann), wie jene Expressivität durch Überforderung des Instrumentalen und Vokalen jedem Stück eine ganz eigene Atmosphäre verleiht.

Ein überraschender Kontrast dazu – und zweiter Höhepunkt – war die Gesamturaufführung von GUL. gespiegelte Lieder vor dem Hintergrund orientaler Lyrik (2009) durch das exzellente Ensemble l’art pour l’art, für Salterio/Cimbalom (Mattias Kaul), Harfe (Eva Pressl) und Pianoforte (Hartmut Leistritz). Das knapp einstündige Stück in zehn Teilen dominierten Statik und Leisigkeit, nur gelegentlich aufgerissen vom expressiven Aufruhr einer einzelnen Stimme: das radikal Unerhörte wird hier Schönheit. Persische Gedichtfragmente, symbolisch von einer stummen Sprecherin (Astrid Schmeling) durch die Musik getragen, verdichteten deren Geheimnis. – Ein großer Dank gilt dem Veranstalterkollektiv, das dem sorgsam zusammen gestellten Programm die Unverzichtbarkeit neuer Musik wieder einmal vor Ohren geführt hat.  

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