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Heute zu komponieren ist wie der Welt abhanden zu kommen: ein Konferenzbericht aus Hamburg

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Hamburger Institut für kulturelle Innovationsforschung bringt fünf junge osteuropäische Komponisten zu Konferenz und Konzert in die Hansestadt. Was diese fünf jungen osteuropäischen Komponisten verbindet, ist nicht nur ihre Herkunft aus den neuen Ländern der Europäischen Union: Sie gehören gemeinsam zu einer postideologischen Generation. Ihr Schaffen bekräftigt künstlerisch das Ende der Diktaturen, es ist das Plädoyer einer neuen Vielfalt und der Herausbildung von starken Identitäten.

So lässt sich die reiche Ausbeute an Erkenntnissen zusammenfassen, die der Konferenz „Komponieren Heute“ zu danken ist, die jetzt als Veranstaltung des Hamburger Instituts für kulturelle Innovationsforschung stattfand; und Auftakt von Veranstaltungen einer erfreulichen Vernetzung von Initiativen ist, die der Förderung der Neuen Musik dienen.

Ziel der vom IRCAM und der SACEM (dem französi-sche Pendant der GEMA) angeregten Initiative ist es, junge Komponistinnen und Komponisten in der Übergangsphase zwischen Ausbildungszeit und dem Eintritt in den freien Markt zu helfen. Dazu soll ein europäisches Netzwerk der führenden Förderinstitutionen gegründet werden. Und in der Folge ein Auswahlverfahren der besten Nachwuchskomponisten erarbeitet werden, wozu das Expertenwissen der einzelnen Partnerinstitute ausgetauscht wird. Nachwuchskomponisten erhalten so die Möglichkeit, internationale Projekte durchzufüh-ren, an denen die Institute sich partnerschaftlich beteiligen.

Substanziell war nun neben der Podiumsdiskussion von Vertretern der Projektpartner, einem Vortrag von Frank Kämpfer, Redakteur für Neue Musik beim Deutschlandfunk, und einem Gespräch mit Michel van der Aa als Composer in Residence 2011 von KLANG! – der Hamburger Initiative des Netzwerks Neue Musik, dass die fünf ausgewählten Komponisten zunächst in einem Konzert mit exemplarischen Werken vorgestellt wurden, auf die sie während der Konferenz dann persönlich eingingen, um ihre Motivation und ihr Selbstverständnis darzulegen.

Zu Beginn war „Inszomnia - kommentárokkola“ des 1985 geborenen Ungarn Máté Bella zu hören. Mit Klarinette und zwei Celli lotet er darin die Spielweisen der Instrumente effektvoll von gefällig geblasenen Intervallen bis zu schmerzhaften Schreien und Quietschtönen aus. Deutlich weiter ins Theatralische hinein dringt Ondřej Adamek in „Imademo“ vor. Eine Sängerin zeichnet die Musik gleichsam kaligraphisch nach, haucht und spricht dazu den elektronisch multiplizierten französischen Text. Der 1979 in Prag geborene Tscheche offenbarte hernach seine Faszination für das japanische No- und Puppen-Theater und seine stete Suche nach dem dramatischen Impuls von Musik. Der 1984 geborene Pole Andrzej Kwieciński zeigte in seinem Streich-quintett „Mural“ feurig vielstimmige Virtuosität, die gän-sehautfördernde geladen und körperlich mitreißend wirkt. Er habe sich, so bekannte er, vom „Trauma des Neo-Romantizismus“, wie ihn ein Penderecki verkör-pert, gelöst, und sucht die Auseinandersetzung mit spektraler Musik. Victor Alexandru Colţea, 1986 in Ru-mänien geboren, erforscht in „RimmoDeZer – Freq“ die Materialerweiterung an der von ihm selbst gespielten präparierten Gitarre. Perkussive Snare-Drum-Effekte und ein behutsamer Einsatz von Elektronik kennzeich-nen das Werk. Den stärksten und bleibendsten Ein-druck erzeugte die älteste Vertreterin dieser jungen Fünferbande: Denn bei Raminta Šerkšnytė, 1975 in Litauen geboren, merkt man in jedem Ton ihres Streichquartetts „Oriental Elegy“, wie sehr sie komposi-torisch schon ganz bei sich ist. Ihr meditativer nordi-scher Ton ist ausdrucksstark außermusikalisch inspi-riert, er wirkt geerdet und ist subtil ausgehört.       

Die ausgeprägte Unabhängigkeit dieser fünf jungen Vertreter der Neuen Musik, die – jenseits des Eisernen Vorhangs geboren – weitgehend unbeeinflusst und uneingeschüchtert von den Diskurswächtern der westlichen Avantgarde aufgewachsen sind, war nach alledem sehr intensiv hör- und spürbar. In der abschließenden Diskussion bestätigten die alten Kämpfer der Neuen Musik letztlich den Mut der jungen: Kompositionsprofessor Fredrik Schwenk empfahl seinen jungen Kollegen mahlerianisch „der Welt abhanden zu kommen“, Musikhochschulpräsident Elmar Lampson betonte, dass ihn Künstler mit „innerem Ort“ interessierten: „Ganz ohne Wurzeln geht es nicht.“ An die Stelle des einstigen Fortschrittsdenkens sei heute „Innovationsfähigkeit bei gleichzeitiger Vertiefung“ getreten.

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