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Rusalka | Julie Adams, Kwonsoo Jeon Foto: ©Thomas M. Jauk
Rusalka | Julie Adams, Kwonsoo Jeon Foto: © Thomas M. Jauk
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Highway to (S)hell – Digitale Premiere von Dvořáks „Rusalka“ in Braunschweig

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Vergessen Sie „Friedhof der Kuscheltiere“: Antonín Dvořáks Oper „Rusalka“ über das unglückliche Ende einer Liebe zwischen Nixe und Prinz wird in der digitalen Aufbereitung der ursprünglich für Herbst 2020 geplanten Neuinszenierung des Staatstheaters Braunschweigs zur Horrorvision. Die plakative, intensive Deutung des Teams um Dirk Schmeding nahm die Partitur als Anlass zu sinnfälliger Vergröberung. Ein packender Opernabend mit digitalen Fragezeichen.

Motoröl-Werbung an die Männer, Sonnenöl-Werbung für die Frauen. Diese digitale Variante der Neuproduktion von Antonín Dvořáks in Prag 1901 uraufgeführter Nixen-Oper „Rusalka“ kratzt kräftig an Jaroslav Kvapils poetisch koloriertem Textbuch nach Fouqué und Andersen. In diesem trotzen determinierte Elementargeister dem Missbrauch und dem Raubbau durch Menschen. Am Staatstheater Braunschweig bleibt da kein Platz mehr für sentimentale Seufzer: Zum Schluss küsst die stahlblonde Ex-Nixe den narzisstischen Prinzen nicht leidselig ins Nirwana, sondern killt ihn mit Plastikfolie. Ralf Käselau hat diesen Russ Meyer alle Ehre machenden Tathergang in einem verrotteten Natur- und Freizeitparadies angesiedelt, wo Heger (Maximilian Krummen) und „Küchenjunge“ (Milda Tubelytë) das letzte falbe Grün mit Insektengift verätzen: Trinkwasser ist sogar für Wassergeister nur noch aus Portionsflaschen oder einem verrosteten Tank zu haben. Dieses von Julia Rösler mit Outfits aus Pop- und Independent-Szenen betextilte Monsterarium wird zum Austragungsort des hier mit Kälte ent-emotionalisierten Mythos von Mensch und Naturwesen, wie man sich diese sich in der Ära Netflix vorstellt.

Regisseur Dirk Schmeding hat dafür ganze Arbeit geleistet. Nie im Leben würden die von ihm in den Rang von punkigen Revoluzzerinnen beförderten Waldelfen (Jelena Banković, Isabel Stüber Malagamba, Zhenyi Hou) sich necken lassen wie komponiert. Der Wassermann ist genderkorrekt das gealterte Abbild seiner Lieblingsnixe Rusalka. Jisang Ryu gestaltet den Part so, als hätte der Wassermann seine Andropause vorbildlich gemeistert. Überhaupt singen die Frauen in dieser aufwändigen Aufzeichnung bravourös, die Herren annehmbar. Wer weiß, was da noch so alles passiert wäre, wenn für Polonaise und Tanzszene der Chor hätten auftreten dürfen. Der stimmlich vitalen Edna Prochnik nimmt man nicht ab, dass sie sich als Hexe Ježibaba bei Beuteltee vom Barrikadensturm fernhält. Mehrfach ähnelt die gefilmte Aufführung dem Alptraum eines Grünen-Politikers, in dem William S. Borroughs den Scherbenhaufen einer Konsumwelt mit Dreck bewirft. Das hätte noch weiter geschärft werden können, weil im Orchestergraben zum Hygieneschutz zwischen die Musiker hohe Plexiglas-Wände gestellt wurden. Aber die naheliegende visuelle Metaebene blieb ungenutzt. So haben Virenherde und Totalvermüllung in dieser Inszenierung nichts miteinander zu tun.

Im Zentrum stehen drei stark besetzte Figuren: Der Prinz, ein infantiler Country-Rocker, kriegt sich nicht ein vor Spaß und Lust, als ihm Rusalka vor die Räder seines Lancia Spider fällt, und vergisst darüber erst einmal für mehrere Strophen die Erste Hilfe. Das Hohnlachen der fremden Fürstin kann man gut verstehen, wenn er nach beider Quickie den Hosenlatz schließt. Kwonsoo Jeon singt den Part so, dass nur vertrauensselige Nixen und Nymphen auf diesen Schlaffi hereinfallen. Was für ein Coup ist dagegen die fremde Fürstin von Ekaterina Kudryavtseva: Keine Spinto- oder Mezzoröhre mit Mascara-Missbrauch, sondern eine faszinierend attraktive Spiegelfigur Rusalkas entsteigt mit warm flutenden Spitzentönen der Werbewand für den idealen Sonnenschutz. Im gleichen Atemzug begeisternd sind Schönklang, überlegt entwickelte Partienarchitektur und Können der beiden Sopranistinnen. Das einzige, was der Amerikanerin Julie Adams zur Gestaltung für Dvoráks sonst so ergreifende Titelpartie fehlt, ist der elegische Wehmutstropfen im Timbre. Demzufolge geht es beim „Lied an den Mond“ und den anderen von Julie Adams mit gestähltem Vitaminhaushalt und Glanz genommenen Arien nicht um Emotionen-Bäder in Strophen. Kräftige Effekte gelingen dem Video-Equipment, den acht Kameras und der Requisite, wenn Bambi-Blut auf die Windschutzscheibe der Prinzen-Kutsche spritzt und aus der Mondscheibe ein bösartiger Grauschleier wächst.

Die dreißig Musiker*innen aus dem Staatsorchester Braunschweig und GMD Srba Dinić erarbeiteten eine geschärfte, eindrucksvolle Deutung. Die kleine Besetzung holt heraus, wie viel Modernität unter dem Wohlklang der wunderschönen Partitur verborgen ist. Dem forcierten Glänzen kann man nie trauen, es geht mehr um Kräftemessen als um Gefühle. Bei den Off-Einwürfen des Frauenchors und des Wassermanns wurden kräftig die Regler für Volumen und Hall bewegt, was vollauf passt zur Ver-Monsterung im Ambiente von Müll und Tod. Mehrere den veränderten Aufführungsbedingungen geschuldeten Striche klingen unorganisch. Einer ist sträflich: Der Verzicht auf das Lied des Jägers gleicht einer genetischen Amputation von musikdramatischem Kern- und Erbmaterial. Diese durch die Digitalisierung geschärfte Degeneration war vielleicht sogar Absicht. Der angestoßene digitale Kompetenzgewinn zeigt in dieser „Rusalka“ auch, dass die Einsichtsfähigkeit des Homo Novus weiterhin erschreckend gering ist. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass bei der Watch-Party zur Stream-Premiere „schön“ und „Auto“ die häufigsten Wörter waren.

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