Jeder Wechsel einer künstlerischen Leitung macht neugierig, ob und was bei einem Festival anders wird, vor allem, wenn es zehn, zwanzig oder gar dreißig Jahre lang von ein und derselben Person kuratiert wurde. Wie wird es nun weitergehen? Gibt es neue Ideen, Fragestellungen, Zielsetzungen, Kooperationen? Präsentiert man andere Komponistinnen, Interpreten, Dirigentinnen? Sucht man unkonventionelle Produktionsweisen, Präsentationsformen, Konzertformate? Geht man auf junges, neues, anderes Publikum zu? Programmiert man globale Perspektiven, installative, theatrale, mediale, partizipative Arbeiten?
All diese Erwartungen werden jedoch in der Regel erst einmal enttäuscht, weil Kompositionsaufträge und Gastspiele meist zwei oder drei Jahre im voraus vereinbart werden, so dass nach Personalwechseln noch ein oder zwei komplette Festivalausgaben die Handschrift der Vorgänger tragen. Das ist aktuell beim Stabwechsel der Donaueschinger Musiktage von Björn Gottstein zu Lydia Rilling der Fall, ebenso bei der Übergabe der Wittener Tage für neue Kammermusik von Harry Vogt an Patrick Hahn sowie beim Berliner Festival MaerzMusik.
Berno Odo Polzer leitete die MaerzMusik von 2015 bis Juni 2022. Er machte aus der Veranstaltung ein diskursives „Festival für Zeitfragen“. Nun findet dieses Musikfest vom 17. bis 26. März erstmalig unter Leitung von Kamila Metwaly statt. Die in Kairo und Berlin lebende Musikjournalistin, Kuratorin und Elektromusikerin hat für die Festivalausgabe 2023 übergangsweise den Komponisten und Dirigenten Enno Poppe als Mitkurator zur Seite. Da es für substantielle eigene Planungen offenbar nicht genügend Vorlauf gab, stehen nur fünf Uraufführungen auf dem Programm. Aber immerhin: Mathias Spahlinger komponierte seinen „asamisimasa-zyklus“ zwischen 2014 und 2019 für das gleichnamige norwegische Ensemble in allen denkbaren Instrumentenkombinationen und Besetzungsgrößen vom Solo bis zum Quintett; jetzt gelangen alle elf Stücke zur Gesamturaufführung. Von Sergej Newski erklingen erstmalig die überarbeitete Fassung der „Ensembletrilogie I Space“ und die neue „Ensembletrilogie III Memory“. Asmus Tietchens schrieb „pseudo topos“ für das Synthesizer-Trio Lange/Berweck/Lorenz und Alex Paxton ein neues Werk für das Riot Ensemble.
Dass Vorgänger etwas hinterlassen, an dem andere einfach nicht vorbeikommen – womöglich auch noch Jahrhunderte später –, zeigt sich in kompositorischen Auseinandersetzungen mit überlieferten Werken, Texten und Bildern. Naji Hakims „Ave Maria – Fantasy on a Lied bei Franz Schubert“ für Chor und Orchester gelangt am 3. März in der Herz-Jesu-Kirche München zur Uraufführung. Andrea Lorenzo Scartazzinis Orchesterwerk „Omen“ bezieht sich auf Gustav Mahlers 6. Symphonie und erklingt erstmalig am 23. März im Volkshaus Jena. Philipp Maintz komponierte die am 28. März in der Deutschen Oper Berlin uraufgeführten Lieder für Bariton und Klavier „windinnres“ nach Gedichten von Rainer Maria Rilke. Neue Musik nach Bildern von Paul Klee schrieben Pierre-André Bovey, Jean-Luc Darbellay, Markus Hofer, Max E. Keller und Sidney Corbett für das ensemble aventure, das diese Klangbilder am 30. März in der Freiburger Elisabeth Schneider Stiftung uraufführt.
Weitere Uraufführungen:
- 02.03.: Toshio Hosokawa, Prayer für Violine und Orchester, Berliner Philharmonie
- 04.03.: Christian Mason, Lisa Streich, neue Werke, Pierre Boulez Saal Berlin
- 09.03.: Johan Svensson, animation für Kammerensemble hand werk, Alte Feuerwache Köln
- 10.03.: Klaus Lang, Caritas für WDR-Sinfonieorchester, Kölner Philharmonie, und Michael Veltman, Tutein, larmes für Ensemble Tra i tempi, Kunst-Station Sankt Peter Köln
- 31.03.: Sara Glojnaric, Monika Szpyrka, Ana Gnjatovic und Annesley Black, neue Werke für E-MEX Ensemble, Alte Feuerwache Köln