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Kampfszene aus dem unkonventionellen und teils verstörenden  Musiktheater „Anthroposcene“ des jungen französischen Komponisten Laurent Durupt beim Festival ECLAT in Stuttgart. Foto: Susanne van Loon
Kampfszene aus dem unkonventionellen und teils verstörenden Musiktheater „Anthroposcene“ des jungen französischen Komponisten Laurent Durupt beim Festival ECLAT in Stuttgart. Foto: Susanne van Loon
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Holzbläserquintett trifft Vocalsolisten

Untertitel
Und dazu läuft ein Film: Schlaglichter auf das Stuttgarter ECLAT-Festival 2018
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Die bedeutenden Festivals für Neue Musik, zu denen ECLAT in Stuttgart zählt, können Gradmesser musikalischer Entwicklungen sein, in denen sich indirekt auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse widerspiegeln. Aktuelle Stichworte in diesem Kontext lauten etwa Digitalisierung und Globalisierung, Neoliberalismus und Populismus, Erderwärmung und Terrorangst, wobei deren Folgen allenthalben spürbarer werden und auch vor dem persönlichen, geschweige denn dem künstlerischen Empfinden nicht haltmachen.

Von derartigen Phänomenen abstrahierten – im übertragenen Sinne – der Komponist Dmitri Kourliandski und die Regisseurin und Bildende Künstlerin Aliénor Dauchez. In „Sous Vide“ schlüpfte die Performerin Ixchel Mendoza Hernandez kurzerhand in einen erleuchteten Kühlschrank mit Glastür, und ihre in klaustrophobischer Enge vollzogenen Aktionen und Windungen, deren akustisches Potenzial live-elektronischer Verfremdung unterzogen wurde, lote­ten spitzfindig den Zwiespalt zwischen existenziellen Bedrängnissen und der wohl schier unbegrenzten Fähigkeit des Menschen aus, sich mit bestehenden „Verhältnissen“ zu arrangieren.

Beispielhaft unterstrich „Sous Vide“ das Anliegen der Veranstalterinnen von ECLAT – die Intendantin von „Musik der Jahrhunderte“ Christine Fischer und Lydia Jeschke vom SWR – zu „poetischen, dramatischen, auch utopischen Reisen in unterschiedlichste Welten der neuen Musik“ einzuladen. In vielen Werken drücke „sich eine Befragung des menschlichen Individuums aus, die Suche nach einer Position zwischen Handlungsdruck und Selbstzweifel, Verantwortung und Getriebensein“.

Ob sich die Komponistinnen und Komponisten dieser Spannungsfelder bei der Arbeit stets bewusst sind, sei dahingestellt. Sich im zeitgenössischen Musikleben mit markanter Handschrift zu definieren, ist jedenfalls gerade für die jüngere Generation nicht leichter geworden, zumal auch in der Neuen Musik trotz scheinbar gro­ßer Vielfalt der Konkurrenz- und Anpassungsdruck enorm ist und über dieser Kunstform mittelfristig womöglich das Damoklesschwert schwebt, entweder als vermeintlich überflüssige Nische abgewickelt zu werden oder sich als Kuschel- und Begleitsoundtrack des Neoliberalismus wiederzufinden.

Sich unter schwierigen Bedingungen zu behaupten, an ihnen zu wachsen, kann sehr fruchtbar sein. Dass sich aber einige Auftragnehmer von ECLAT mit der Kombination aus Holzbläserquintett und Vokalensemble abmühen mussten, leuchtet dennoch nicht ein, auch wenn Calefax Reed Quintet und Neue Vocalsolisten jeweils für sich herausragende Formationen sind.

Nasale Fantasiesounds

Eine erfrischende Lösung gelang Steffen Krebber, der seine Inspiration für „mediated mixed“ aus dem versehentlichen simultanen Abspielen von Clément Janequins „Le chant des ­oiseaux“ und Carola Bauckholts „Zugvögel“ bezog. Dass zwischen diesen Werken fast 500 Jahre liegen, reflektierte Krebber mit einer sinnlich-amüsanten Klangreise, die von skurrilen Tiergeräuschimitationen bis zu Anspielungen an die Comedian Harmonists reichte. Und als Fagottist Alban Wesly und Vocalsolistin Truike van der Poel im Teamwork nasale Fantasiesounds erzeugten, war auf engstem Raum eine geglückte Verbindung zwischen beiden Sphären geschaffen.

Tieftraurig in jeder Hinsicht ging es dagegen in Fabio Nieders „Alpenländischer Volksweise von Krieg und Tod“ zu. Von der im Untertitel angekündigten „Konfrontation“ für fünf Stimmen und fünf Rohrblattinstrumente konnte keine Rede sein. Stattdessen dominierte in extremer Dehnung, inklusive Klangschalen und einzelner Trommelschläge, eine ermüdende, pseudozeremonielle Eintönigkeit.

Die junge russische Komponistin Elena Rykova wich in „Thousand splinters of a human eye“ auf theatralische Konstellationen aus, die trotz eines leicht verkrampften Bemühens um Komik genug Schwung und Intensität aufwiesen, um die Aufmerksamkeit für den Moment auf sich zu ziehen.
Allerdings wird das Stück ebenso wenig lange im Gedächtnis bleiben wie „Terrains vagues“ von José María Sánchez-Verdú, der in Anknüpfung an Pierre de la Rue aus dem 15. Jahrhundert immerhin noch schräge Verbindungslinien zwischen gestern und heute aufzeigte. Wohltuend fügte sich da Brigitta Muntendorfs „durchhören“ (nur) für Rohrblattquintett ins Programm. In diesem 2011 entstandenen Werk offenbaren sich musikantische Emphase und ungezwungener Charme, an die sich die – inzwischen sehr erfolgreiche – Komponistin immer mal wieder erinnern sollte.

Clash der Besetzungen als roter Faden

Unterschiedliche Besetzungen aufeinander prallen zu lassen, zog sich durch das Festival. In ihrem Konzert mussten Quatuor Diotima und Klavierduo Yukiko Sugawara und Tomoko Hemmi aber nur einmal gemeinsam aufs Podium: in „Sights of Now“ der türkischen, in Berlin lebenden Komponistin Zeynep Gedizlioglu. Den von ihr selbst benannten „Riss“ zwischen beiden Klangkörpern erhob Gedizlioglu zum „Sujet“ des sensiblen wie kraftvollen Stücks: Flächen verschoben sich gegeneinander, gestische Elemente belauerten sich wechselseitig, stets auf dem Sprung, in die Parade zu fahren.

Auch Rebecca Saunders schöpfte in „Unbreathed“ für Streichquartett aus dem Vollen. Das lyrische Subjekt wühlte sich durch herbe Schichten und Räume, um schließlich, von aller Erdenschwere befreit, ins Ätherische zu entschwinden. Tomoko Fukui brachte in „Doublet“ für zwei Klaviere klirrende Eiswelten behutsam zum Schmelzen, Mauro Lanzas „The 1987 Max Headroom Broadcast Incident“ entglitt technisch überfrachtet ins Comichafte, und Joanna Bailies „Radio-Kaleidoscope“ war in seiner Harm- und Belanglosigkeit eine Zumutung.

Mit zwei sehr unterschiedlichen Werken hatte es das Trio Catch zu tun: Johannes Boris Borowskis „As if“ rauschte haarscharf an manierierter Verspieltheit vorbei, während Sara Glojnaric in „sugarcoating #2“ mit martialischer Rhythmik böse Geis­ter rief, die in schrillen Zuspielungen auch antworteten. Dass sie diese Geister wieder loswurde, schien dann fast zu optimistisch.

Eine seltsame Mischung aus Bewunderung und Ratlosigkeit hinterließ Claus-Steffen Mahnkopfs „voiced void“ für 24 Stimmen, grandios präsentiert vom SWR Vokalensemble unter Rupert Huber. „Zur Sprache bringen, was uns fehlt“, nämlich ein tief in der jüdischen Kultur verwurzeltes messianisches Denken, wollte Mahnkopf in diesem Chorwerk von epischer Breite, das äußerste Einlassungsbereitschaft verlangte und mit zunehmender Dauer ein flackerndes Mosaik der Lichter und Farben auf das geis­tige Auge projizierte.

Großen Aufwand betrieben auch der Komponist Clemens Gadenstätter und die Regisseurin Anna Henckel-Donnersmarck in „Daily Transformations“ auf einen Text von Lisa Spalt mit dem Ensemble asamisimasa und den Neuen Vocalsolisten unter Leitung von Bas Wiegers. Letztlich blieben die teils melancholischen, teils ironischen, teils anrührenden Alltagsbeobachtungen einer gewissen Beliebigkeit verhaftet, und auch die Pa­rallelführung von Musik, Video und Textrezitation (aus dem Off) zündete nicht recht.

Mit wesentlich bescheideneren Mitteln kam Marianthi Papalexandri-Alexandri in ihrer performativen Installation „Distanz“ für Violoncello (Séverine Ballon) und Resonanzkörper aus. Die Idee ist fein, das Setting atemberaubend, warum aber musste im (spinnen-)netzartigen Geflecht zwischen Cello und Klangobjekten – beinahe didaktisch – jeder Faden erst einzeln innerviert werden?

Und als die Installation dann endlich in Wallung geriet, war das Stück vorbei. Das ist schade, doch vielleicht symptomatisch für das ganze Festival, bei dem einige vielversprechende Ansätze verpufften oder im Vagen blieben, statt offensiv zu Ende gedacht und konsequent umgesetzt zu werden. Da wäre im breiten Spektrum der ästhetischen Konzepte – mit allein 24 Ur- und acht deutschen Erstaufführungen – mehr drin gewesen, zumal das Stuttgarter Theaterhaus mit seinen flexiblen Sälen beste räumliche und technische Voraussetzungen bot.

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