Schubladen sind etwas für Aufräumer, Sammler, Systematiker. Kunst und Leben entziehen sich dagegen meist klaren Zuschreibungen und Festlegungen auf bestimmte Begriffe und Klassifikationen. Oft herrschen eher Umhertasten, Schwanken, Vagieren, Fluktuieren, Wildwuchs oder gezieltes Überschreiten von Grenzen. Schon die Romantiker experimentierten mit Verschlingungen der klassizistisch kodifizierten Formen und Gattungen: Romane enthielten Gedichte, Gedichte wurden episch, Dramen waren zum Lesen, Dichtung wurde philosophisch, Philosophie aphoristisch.
Um Form als eigene künstlerische Ausdrucksdimension zu beleben, also aus ihren zur Selbstverständlichkeit standardisierten Schemata zu befreien, kreuzten Komponisten altbekannte Form- und Gattungsmodelle zu janusgesichtigen Gebilden: Sonatenrondo, Rondofuge, Sinfonische Dichtung, Konzertouvertüre, sinfonisches Konzert, Orchesterlied, Kammeroper, Kammer-, Chor-, Orgel- und Liedersinfonie... Die Werke schielen in mehrere Richtungen. Und seit Dadaismus, Fluxus und Konzeptkunst schreitet die Hybridisierung weiter fort, nicht zuletzt dank Einsatz von Medien und anderer Musikstile.
Das Festival ECLAT im Stuttgarter Theaterhaus präsentiert vom 31. Januar bis 4. Februar gleich mehrere Amalgame. Johannes Kreidler führt als Showmaster durch eine „Late-Night-Show“-Performance; Joanna Bailies „Radio-Kaleidoscope“ verknüpft Streichquartett mit Video; Mauro Lanzas „The 1987 Max Headroom Broadcast Incident“ elektrifiziert das Quartour Diotima; Marianthi Papalexandri-Alexandri kombiniert in „Distanz“ eine Klanginstallation mit Violoncello, Motoren und Licht; Dmitri Kourliandski entblößt in „Sous Vide mit Hilfe der Performerin Aliénor Dauchez das Innere eines Kühlschranks“; Gordon Kampe komponierte mit „Schummellümmelleichen und schrille Tentakel“ eine „Operette“ für Countertenor Daniel Gloger und Ensemble Ascolta zum Zweck einer frivol-grotesk-bösartigen Spiegelung der Gegenwart; und Juliana Hodkinson schrieb mit „can modify completely“ ein Solokonzert für die aus der Rockmusik stammende E-Gitarre und das SWR Sinfonieorchester. Bei ECLAT sind auch mehrere Musiktheaterwerke zu erleben: „Anthroposcene“ ist eine mediale Mixtur aus Laurent Durupts Komposition, Fabian Offerts Bühnenbild und Jan Rohwedders Choreographie. Unter dem Titel „Daily Transformations“ verbinden sich Clemens Gadenstätters Musik, Lisa Spalts Libretto und Anna Henckel Donnersmarcks Video zur „belebten Installation“ in einer „Architektur aus Instrumenten und drei Leinwänden“. Einen „Parcours aus Skulpturen, Video- und Klanginstallationen“ kreiert Raphael Sbrzesny mit „Principal Boy“. Zudem zeigen Mitglieder des Kollektivs Stock11 in der Stuttgarter „Villa Abgrund“ eine Gruppenausstellung mit Videos, Klanginstallationen, Objekten und Performances.
Die 18. Ausgabe des internationalen Festivals für aktuelle Klangkunst OPENING in Trier präsentiert am 17. Februar im Kulturzentrum TUFA „Ein Zimmer für sie allein“, eine „theatrale Recherche“ von Georg Beck mit Musik der 1587 in Florenz geborenen Francesca Caccini, Tochter Giulio Caccinis, sowie von deren Zeitgenossen und der heutigen Kölner Komponistin Christina C. Messner. Die Zwei-Personen-Synthese aus Musiktheater und Sprechbühne für Schauspielerin und Sängerin umkreist Leben und Wirken der weitgehend vergessenen Opernsängerin und Komponistin am Florentiner Hof der Medici.
Weitere Uraufführungen
10.02.: Thierry Pécou, Méditation sur la fin de lʼespèce für Violoncello, Ensemble Variances und Aufnahmen von Waalgesängen, Festival Présences Radio France Paris
25.02.: Joe Lake und James Dillon, neue Werke für Ensemble Musikfabrik, WDR-Funkhaus Köln
26.02.: Bernhard Lang, DW 30 Loops for Klaus Schulze Redux für drei Synthesizer, Luxembourg
27.02.: Ulrich Kreppein, Nachtstück für Ensemble und Video-Puppetry-Instrument; Rama Gottfried, Scenes from the Plasticsphere für Ensemble Mosaik, Kulturbrauerei Berlin
28.02.: Isabel Mundry, Lied, Finalrunde Chamber Music Competition „Franz Schubert und die Musik der Moderne“, Graz