Der Staatsoper Hamburg ist mit einer Uraufführung ein mitreißender Erfolg gelungen. Mit dem Kompositionsauftrag für den Komponisten und Dirigenten Johannes Harneit setzte dieser einen schon lebenslangen Wunsch um. Er vertonte das Drama „IchundIch“ der jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler, die sich in ihrem im Exil in Palästina Stück mit dem Untergang der „Nacis“ – so ihre Orthographie – beschäftigt. Ute Schalz-Laurenze war für die nmz dabei.
„Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wäre“. Den religionsphilosophischen Diskurs über Gut und Böse mit der Kapitulation des Satans ist einerseits ein bösartig-satirisches Stück – und hinterlässt viele Rätsel –, andererseits entbehrt es nicht der Komik. Lasker-Schüler stellt sich selbst in eine Rahmenhandlung: sie wohnt der Generalprobe ihres Stückes bei und stirbt am Ende mit der Erkenntnis: Gott ist da.
Dabei durchwandert sie so ziemlich alles, was einem dazu einfällt: natürlich als erstes Goethes Faust mit den Personen Faust, Mephisto und Marte Schwertlein, dann gibt’s aber auch den Prometheus-Mythos – Mephisto hat Gott das Feuer gestohlen –, den Baal-Mythos, Volkslieder wie „Muss i denn...“ und „Freut Euch des Lebens“, Robert Schumann mit seinem Heinelied „Die beiden Grenadiere“, dann Goebels, von Schirrach, Göhring – alle bewusst falsch geschrieben –, auch der angebliche Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe läuft mit seinem abgeschlagenen Kopf herum. Wagners Wotan wird mit Hitler gleichgesetzt und der Theaterleiter Max Reinhardt unterbricht und korrigiert die Generalprobe. Der Schluss spielt dann in Jerusalem, wo ein in der Vorstellung anwesender Journalist fragt, was er denn nun eigentlich berichten soll.
Ob und wie man das alles zu einem spannenden und schlüssigen Theaterabend formen kann, zeigt die Inszenierung von Christian von Treskow mit Bühne und Fantasiekostümen von Dorien Thomsen und den unendlich einfallsreichen Videoprojektionen von Ludwig Kuckartz. Alle haben aus der runden Probebühne mit dem Publikum in der Mitte einen Raum gezimmert, der zu immer neuen Assoziationen verleitet und zwei Stunden lang keine Minute an Spannung verliert. Gabriele Rosmanith als Dichterin, Ida Aldrian als Marte Schwertlein, Daniel Kluge als Faust, Martin Summer und Jóhann Kristinson als zwei Mephistos, Helen Kwon als Vogelscheuche überzeugten mit differenzierten Riesenleistungen, sowohl darstellerisch als auch sängerisch. Zwar bilden sich aus einem expressiven Sprechgesang auch große Melismen und sogar Koloraturen, aber alles ist bestens zu verstehen und braucht die Übertitel nicht. Auch der Chor (Christian Günther) agierte intensiv vielschichtig.
Und da wird allen einiges abverlangt, denn was der Komponist Johannes Harneit sich da ausgedacht hat, ist natürlich die Grundlage für diesen ebenso unterhaltsamen wie nachdenkenswerten Abend. Er nimmt zunächst einmal alle Literatur- und Zitatvorschläge von Lasker-Schüler ernst und nennt deswegen sein Stück „Dokumentaroper“. Doch nicht nur das, auch seine Komposition, die mit einem sehr langsamen einzelnen Ton beginnt, bietet permanente Brechungen an: grundsätzlich wurzelt seine Sprache in der romantischen Musik, ohne je epigonenhaft zu wirken. Alles, was erst wie Schumann oder Wagner oder Mendelssohn klingt, verwandelt sich sofort in einen ganz neuen Ton. Stets provoziert die intelligente Art der Brechung, auch der Reflexion. Aber nicht nur das, Harneit gelingt noch ein weiteres Kunststück: die Musik ist aufregend und sinnlich in jedem Ton, bestens interpretiert von einem Hochschul-Ensemble unter seiner Leitung. Nach zunächst fragendem Innehalten begeisterter Beifall.