Ganz Marke Eigenbau: Auf eine Holzplatte schraubte der ungarische Komponist Ernö Király ein metallenes Gestell. Gummisaiten zog er darüber, brachte noch einige Metallzungen an und Teile eines Eierschneiders. Fertig war das „Tablofon“, mit dem Király in den späten 70er-Jahren seine Klangpaletten erweiterte. 2007 starb Király. Nun tritt der 1969 geborene Ungar Zsolt Sörés mit dem „Tablofon“ in Chemnitz in Erscheinung, zusammen mit seinen Kollegen vom Budapester Positive Noise Trio. Sonderlich eingespielt wirken die drei nicht. Im Mittelpunkt steht die Interpretation des „FLORA-Zyklus“ von Király und das Tablofon, weniger eine runde ungarische Improvisation.
Den künstlerischen Leitern des Sound Exchange Projekts, Carsten Seiffarth und Carsten Stabenow vom Berliner Dock e.V. ging es schon in den voran gegangenen Sound Exchange Days, die zwischen Herbst 2011 bis Oktober 2012 in Krakau, Bratislava, Vilnius, Budapest, Prag, Tallinn und Riga stattfanden, nicht in erster Linie um höchste musikalische Ansprüche. Auf der Erkundung und Abbildung Experimenteller Musikszenen Mittelosteuropas lag der Fokus. Dass es sie gegeben hat, auch vor 1989, das ist die erste Diagnose, die man in Chemnitz stellen kann. Unorthodox gesinnte Allround Künstler wie Ernö Király oder der Lette Hardijs Ledinš förderten Seiffarth und Stabenow zu Tage. Dann entdeckten sie unter anderem in Ungarn, der ehemaligen DDR oder auch in der Slowakei graphische Partituren, die in den Räumen der Neuen Sächsischen Galerie ausgestellt sind.
Im Mittelpunkt der Ausstellung „visible music“ stehen Notationen von Milan Adamciak. „La mer“ (1982) nannte der slowakische Künstler seine Partitur aus bloßen Wellenlinien; auf einem anderen Blatt gibt es nur Aufführungsvorschriften wie melancolico, giusto oder furioso, dann wieder sind nur vereinzelte, abstrakte Punkte verteilt über ein Blatt ohne Notenlinien. Wie so etwas klingen kann, das demonstriert in Chemnitz das nach dem 65-jährigen Geburtstag Milan Adamciaks benannte Ensemble Mi-65, für Sound Exchange zusammengesetzt mit Musikern aus der Slowakei, Polen, Ungarn, Litauen und Lettland. Konsistent wirkt der heikle Transfer des Visuellen in ein Klangbild, das geprägt ist von vielfarbigen Einzelereignissen.
Um jeglichen Anflug von Neokolonialismus im Sinne eines „Wir zeigen Euch, wer ihr seid“ zu vermeiden, taten Seiffarth und Stabenow in Absprache mit Angelika Eder, der Initiatorin des Projekts als Leiterin Kulturprogramme am Goethe Institut Prag, gut daran, ihre acht Co-Kuratoren aus den mittelosteuropäischen Ländern vor Ort zu rekrutieren. Kuratiert haben die Ausstellung „visible music“ zum Beispiel der slowakische Musikwissenschaftler Jozef Cseres gemeinsam mit seinem Landsmann Michal Murin. Cseres sieht gar keine so großen Unterschiede zwischen dem Westen und dem Osten.
„Die Ideen lagen in der Luft“, sagt er, und meint unter anderem den Wunsch der Komponisten, autoritäre Hierarchien mithilfe offener Notationen vermeiden zu wollen. Adamciak kannte zwar längst – nicht zuletzt aufgrund des Warschauer Herbsts, der auch vielen anderen vor 1989 den Stand der Westlichen Avantgarde vermittelte – die Partituren Feldmans oder Cages, das eigene grafische Schaffen jedoch, und das vermittelt die Ausstellung sehr anschaulich, blieb davon weitestgehend unberührt. Sound Exchange konnte nur Ausschnitte abbilden. Die in die Breite zielende Abbildung unterschiedlichster Stilistiken eines großen geographischen Gebiets mit sehr diversen Szenen aus – trotz einheitlicher sozialistischer Diktaturen – sehr verschieden ausgeprägten kulturpolitischen Bedingungen, ging auf Kosten des Tiefgangs. Ein inspirierender Anfang aber ist gemacht. Deutlich wurde: Experimentelle Ansätze konnten nicht mit dem Rotstift der Zensur einfach eliminiert werden. Aber sie fanden statt in kleinsten Nischen, die weiter zu entdecken sind.