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Die Klangskulpturen des Harry Partch. Foto: Michael Boelter
Die Klangskulpturen des Harry Partch. Foto: Michael Boelter
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Im Bann verschiedener Stimmungen

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Das Tiroler Festival „Klangspuren“ konzentriert sich auf mikrotonale Kompositionen
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Das Instrumentarium auf der Bühne des Schwazer Silbersaals ist imposant: Riesige Glasglocken hängen von einem mächtigen Gestänge; an einer meterhohen Astgabel baumeln deren halbkugelförmige Pendants aus Holz. Davor ist ein löchriges Holzgebilde zu sehen, in dem verschieden große Holzrohre stecken, und über allem thronen die vier holzstammdicken Lamellen eines überdimensionierten Marimbaphons.

Der, der solch skulpturenartige Instrumente ersann, zählt zu den großen Außenseitern der Musik des 20. Jahrhunderts: Harry Partch, 1901 im kalifornischen Oakland geboren, entwickelte abgeschottet von der Musikwelt ein eigenwilliges Ton-system, das auf einem alten griechischen Stimmsystem, der „reinen ptolemäischen Intonation“, basiert. Das führte zu einer weit differenzierteren Unterteilung der Oktave: Anstelle der obligaten zwölf Tonschritte je Oktave verwendete Partch in seinen Kompositionen deren 43. Weil es nur wenige Instrumente gibt, mit denen diese 43-tönige Skala realisiert werden kann, baute sie Partch ab den 1930er-Jahren kurzerhand selbst.

„Stimmungen!“

2013 hatte Thomas Meixner das Ins­trumentarium des Amerikaners im Auftrag des „Ensemble Musikfabrik“ für die Produktion von Partch’ Musiktheater „The Delusion of the Fury“ bei der Ruhrtriennale rekonstruiert. Nun stand es auch im Zentrum des Tiroler Festivals „Klangspuren“ in Schwaz, das in diesem Jahr thematisch um „Stimmungen“ kreiste und mit dem Ensemblestück „And on the Seventh Day Petals Fell in Petaluma“ (1963-1966) auch ein Schlüsselwerk von Partch präsentierte. Das rund vierzigminütige Stück entpuppte sich als eigenwilliger Kosmos aus Duetten und Trios, in denen die dunklen Klänge des Riesenmarimbaphons auf helle Glasharmonika- oder Zitherklänge stoßen, konterkariert von einem mit Holzmembranen verbundenen Blasebalg und einem 43-stufigen Harmonium, in dem sich Partch’ Tonsystem am deutlichsten bemerkbar macht.

Um die Instrumente von Partch nicht als Museumsstücke verstauben zu lassen, erteilte die „Musikfabrik“ an bislang sechs zeitgenössische Komponis­tinnen und Komponisten Aufträge, neue Werke für dieses Instrumentarium zu schreiben. Simon Steen-Andersens „Korpus“, im Frühjahr bei der „Salzburg Biennale“ uraufgeführt, beschränkt sich auf drei der insgesamt über vierzig Partch-Instrumente: das mit 43 Tasten je Oktave ausgestattete Harmonium, das Riesenmarimbaphon mit vier extrem tiefen Basstönen und den Blasebalg „Bloboy“, dessen Klänge den Signaltönen der Western Pacific Railroads ähneln. Dennoch erzielt Steen-Andersen eine Fülle verschiedener Klangfarben, weil eine Heerschar von Helfern die Instrumente umkreist, um aus deren Schwingungen mit zusätzlich darauf gelegten Perkussionsinstrumenten wie einer Snaredrum oder wippenden Bällchen neue Klangeffekte zu generieren. Eine humorvoll dekonstruktivistische Verbeugung vor Partch.

Wellenbewegungen

Klaus Lang, dessen „Frenhofer’s Foot“ bei den „Klangspuren“ von der „Musikfabrik“ unter Clement Power uraufgeführt wurde, ließ das Instrumentarium des amerikanischen Komponisten nur drei Mal kurz aufblitzen, um dessen Klanglichkeit mit eigenen Mitteln weiterzuverarbeiten: Das musikalische Material von Langs rund halbstündiger Komposition basiert nämlich auf der Spektralanalyse der verwendeten Partch-Instrumente, die vornehmlich auf herkömmliche Streich- und Holzblasinstrumente übertragen werden, die es in reizvoll zarten Wellenbewegungen fortspinnen. Womit sich auch der Titel enträtseln lässt, der Bezug nimmt auf den Maler Frenhofer aus Balzacs Roman „Le chef-d’œuvre inconnu“, dessen Aktbild außer abstrakten Schlieren nur einen kleinen, zarten Frauenfuß konkret erkennen ließ. So wie Gerhard E. Winkler in seinem – vom Trio „Repertorio Zero“ und vom Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter Francesco Angelico kompetent uraufgeführten – Orchesterstück „Anamorph V – Wolfsschluchtmaterial mit Schmuggeltänzen“ das Original aus Webers „Freischütz“ nur in kurzen Augenblicken aufblitzen lässt, um es sogleich wieder in Computertechniken ähnelnden Morphingprozessen verschwinden zu lassen.

Mikrotonalität

Langs und Winklers Umgang mit Mikrotonalität demonstrierte auch, wie verschieden diese heute angewandt wird. Außer den Komponistinnen und Komponisten, die eigene temperierte Tonsysteme verwenden, seien es gleichstufige wie jene von Alois Hába und Ivan Wyschnegradsky oder nicht-äquidistante wie jene von Partch oder dessen Landsleuten James Tenney und La Monte Young, gibt es zahlreiche Versuche, eine unsystematische Auswahl von Tonhöhen zu treffen. So begreift etwa Klaus Lang den Tonraum als unerschöpfliches Kontinuum, dessen Teilbarkeit nur dort Grenzen gesetzt sind, wo die Tonabstände durch unser Ohr nicht mehr wahrgenommen werden können. Exemplarisch demonstrierte dies bereits James Tenney in seinem Ensemblestück „Critical Band“ (1988/2000), das ohne fixes Tonsystem auskommt und mit dieser „kritischen Bandbreite“ spielt, innerhalb derer zwei eigentlich verschieden hohe Töne nicht mehr unterschieden werden können – bis das vom Orchester der Akademie St. Blasius gespielte Klangband nahezu unmerklich eine andere Tonstufe erreicht. Mit ähnlich mäandernden Klängen operiert auch Georg Friedrich Haas, dessen auf Teiltonreihen basierende Stücke wie „in vain“ (2000), „Anachronism“ (2013) oder das Concerto grosso Nr. 1 (2014) für Orchester und Alphornquartett (das „hornroh modern alphorn quartet“) nicht fehlen durften.

Raumklangbewegungen

Groß ist auch die Zahl jener Komponistinnen und Komponisten, die mikrotonale Elemente akzidentell verwenden: als eigene Klangmomente innerhalb eines weitgehend gleichstufig temperierten Kontexts. Dazu zählen nicht nur Vertreter des französischen Spektralismus wie Gérard Grisey und Tristan Murail – ersterer präsent mit „Partiels“ (1975), letzterer mit dem Zyklus „Portulan“ (2006-11) –, sondern auch der in Wien lebende Schweizer Beat Furrer, den Kurator Matthias Osterwold diesmal zum Composer in residence kürte.

Was den überaus interessierten Tirolern Gelegenheit bot, Ausschnitte aus Furrers jüngstem Musiktheater „la bianca notte“ (2015) und mit „antichesis“ für 14 Streicher (2006) eine Vorstudie zu seinem vorletzten Musiktheater „Wüstenbuch“ (2010) zu hören: Eine auf Raumklangbewegungen konzentrierte Komposition, bei der das in vier Gruppen unterteilte Streicherensemble aus gespenstisch-tonlosen Pizzikati in vogelschwarmartige Tremoli gleitet, in denen Furrer auch mikrotonale Momente verwendet, die dem immanenten Sprachcharakter folgen, der für das Stück bereits ähnlich bestimmend ist wie für „Wüstenbuch“.

Gleichfalls von der Sprache inspiriert wurde der Südtiroler Hannes Kerschbaumer, dessen – die aktuelle politische Situation Syriens reflektierendes – Ensemblestück „stele.blut“ auf einem Gedicht von Nouri al-Jarrah basiert. Ausgehend vom Sprachfluss des arabisch gesprochenen Gedichts, das Kerschbaumer vor dem Kompositionsprozess aufzeichnen ließ, um es minutiös transkribieren zu können, spiegeln sich die Rhythmen und die – fallweise auch mikrotonalen – Tonhöhen der Rezitation in den Instrumentalstimmen. Kerschbaumer überträgt diese Strukturen nicht eins zu eins auf die Instrumentalstimmen, sondern teilt sie, fragmentiert, auf verschiedene Instrumentengruppen auf, so dass der eigentümliche Eindruck entsteht, als zerfiele der Sprecher in seiner eigenen Sprache – ein beklemmendes musikalisches Memorandum der zerstörenden Kraft des Krieges.

Strenge Systeme

Bei aller Freiheit im Umgang mit mikrotonalen Elementen überzeugte doch auch die Strenge, mit der Edu Haubensak seine Kompositionen anlegt: Zwar auf exakt fixierten Tonsystemen beruhend, entwickelt der Schweizer für jedes seiner Stücke je eigene Stimmungen, die atmosphärisch ziemlich verschieden sind. Drei dieser Stücke spielte die Pianistin Simone Keller auf zwei unterschiedlich gestimmten Klavieren: Bei den in Schwaz uraufgeführten „Collection I“ (2005) und „Collection II“ (2014) verwendet Haubensak ein nicht-äquidistantes System; „Spazio“ (1993/94) basiert zwar auf einem gleichstufigen System, doch nutzt er dabei den Umstand, dass im Diskantbereich des Klaviers drei Saiten Verwendung finden, die für sein Stück sechsteltönig um je 33 Cent voneinander abweichen. Durch diese eigenwilligen Skordaturen erhalten seine abstrakten Stücke frappierende, dem Sehen mit 3D-Brillen vergleichbare Tiefendimensionen. Womit dem Festival „Klang-spuren“ in diesem Jahr eine beeindruckende Rundschau über die höchst unterschiedlichen Positionen mikrotonalen Komponierens gelang.

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