Wie alle Orchester in Deutschland müssen auch die Bamberger Symphoniker seit dem 15. Februar eine Verordnung der EU umsetzen. Die soll Musiker vor zu großer Lautstärke schützen. Die Beamten in Brüssel machen dabei keinen Unterschied zwischen dem Flugzeuglotsen neben einem startenden Düsenjet und einem Orchestermusiker im Konzertsaal. Für sie gelten allein die Dezibel-Werte. Und da erreichen Werke von Wagner und Strauss gut und gerne die eines Flugzeugs oder Presslufthammers.
Für das Publikum ist Orchestermusik schön. Doch für diejenigen, die hinter den Notenpulten sitzen, kann sie manchmal schmerzhaft laut sein. Richard Wagners „Götterdämmerung“ oder die „Alpensymphonie“ von Richard Strauss können Spitzenpegel von etwa 120 Dezibel erreichen, vergleichbar mit denen eines startenden Düsenjets oder Presslufthammers. Die Lärmschutz-Verordnung der EU gilt deshalb seit dem 15. Februar nicht nur für Bauarbeiter am Presslufthammer, sondern auch für Geiger und Trompeter. Danach müssen Arbeitgeber für ausreichenden Gehörschutz ihrer Angestellten sorgen, wenn es lauter als 85 Dezibel wird. Vor vielen Jahren hatte der Hornist der Bamberger Symphoniker, Wolfgang Braun, einen Hörsturz. Ein Schlag der großen Trommel in einer Schostakowitsch-Symphonie und der Musiker wusste: Das war nicht gut. Der Hörsturz war da, wie bei einigen seiner Kollegen auch. „Die Musiker zu zählen, die in unserem Orchester von solchen Krankheiten betroffen waren oder sind, dafür reichen zwei Hände nicht“, sagt Braun. Schon lange vor der Verordnung hat er viele verschiedene Stöpsel für die Ohren ausprobiert. Die besten waren speziell angepasste, die den gesamten Schall linear dämpfen und nicht nur hohe oder niedrige Frequenzen einfach abschneiden. Verfälscht würde er sonst das eigene Spiel und das seiner Kollegen wahrnehmen. Gehörschutz ist für Wolfgang Braun besonders wichtig, denn der Hornist sitzt vor dem Schlagwerk und neben anderen Blechbläsern – also mitten im Epizentrum der Schalldruckpegel.
Dass vor allem Musiker in Hochrisikogruppen individuell angepassten Gehörschutz schon lange verwenden, weiß Bernhard Richter. Der Professor am Freiburger Institut für Musikermedizin hat erst kürzlich mit zwei Kollegen eine Studie mit dem Titel „Hörbelastung und Gehörschutz bei Orchestermusikern“ veröffentlicht, die sich genau mit diesem Thema beschäftigt. 429 Musiker aus neun deutschen Orchestern waren daran beteiligt. Fazit: „Viele Musiker machen sich zwar Gedanken darüber, ob durch zu laute Musik das Gehör geschädigt wird, aber nur ein Sechstel wendet personenbezogenen Hörschutz tatsächlich an“, erklärt er. Die Gründe sind einfach. Während ein Arbeiter im Sägewerk Holz erzeugt und sich dabei vor dem Lärm schützen muss, der dabei entsteht, müsste sich ein Musiker vor dem schützen, was er produziert, dem Klang. „Das ist ein Dilemma“, sagt Richter.
Problematisch sind für viele Musiker die Eigengeräusche des Körpers, die beim Tragen der Ohrstöpsel auftreten. Geiger hören die Vibrationen des eigenen Kopfes mit, für Blechbläser wird das Erzeugen des Klanges am Mund schwieriger. Für Oboisten ist individueller Gehörschutz noch schwieriger zu verwenden, da sie einen hohen Anspieldruck erzeugen müssen, bevor ein Ton überhaupt das Instrument verlässt. Vom Grundsatz her sei die EU-Verordnung zwar gut, doch müsste der kollektive vor dem individuellen Schutz stehen, meint der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens. „Am Anfang stehen bauliche Veränderungen, dann geht es darum, etwas in die Ohren zu stopfen.“ Wie viele Orchester haben auch die Bamberger Symphoniker genau da Nachholbedarf. Das Problem sei bekannt, so Orchestermanager Marcus Rudolf Axt. Man werde noch in diesem Jahr reagieren. Statt der platten Bühne soll ein halbrundes, nach hinten ansteigendes Podest gebaut werden, damit der Klang der Holz- und Blechbläser über die Köpfe der Streicher hinweg und nicht auf sie trifft. Die Rückwand aus Eichenholz, die den Klang stark ins Orchester reflektiert, soll ebenfalls verändert werden. „Im Sommer wollen wir damit fertig sein“, verspricht Axt, der wegen der Verordnung 50 Paar individuell angepasste Ohrstöpsel angeschafft hat – zum Preis von je 180 Euro. Wer von den Symphonikern wollte, bekam welche.
Christian Dibbern, zweiter Geiger der Bamberger Symphoniker, hat festgestellt, dass sich in den vergangenen Jahren ein „Immer lauter“ bei vielen Orchestern durchgesetzt hat. „Man sollte auf die Dirigenten einwirken und in den Proben leiser spielen“, fordert er. Für ihn ist Lärm negativer Stress.
Entzerrte Probenpläne und Lautstärkepausen fordert die Deutsche Orchestervereinigung. „Man muss sich fragen, ob bei jeder Probe mit voller Lautstärke gespielt werden muss“, meint Gerald Mertens. Schutz vor zu viel Schallpegel in den Proben sollen in Bamberg speziell gebogene Plexiglasscheiben bieten, die direkt hinter den Köpfen der Musiker aufgestellt werden und so vor dem Druck des Hintermanns schützen. Bei Konzerten funktioniert das aus ästhetischen Gründen allerdings nicht.
Ob Geiger, Hornisten oder Pauker – was das Beste ist, muss jeder für sich entscheiden. Christian Dibbern sieht das Problem so: Musiker betreiben durch ihr Zusammenspiel akustische Kommunikation. „Aber wenn man als Musiker schlecht hört, dann gehen die Probleme los“, sagt er. „Das kommt der Quadratur des Kreises gleich.“
Ob Musik überhaupt für Hörschädigungen sorgt, wie es die EU in ihrer Verordnung meint, ist in der Wissenschaft noch umstritten. „Die eine Richtung bestätigt das, die andere sagt aber, dass das Ohr bei Musik anders reagiert als beispielsweise bei einem industriell erzeugten Lärm“, sagt der Freiburger Professor Bernhard Richter. Es könnte sein, dass sich die Haarzellen bei Wagner, Strauss und Mussorgski durchaus anpassen können. Langzeitstudien dazu gibt es noch nicht.