Christoph Schulte im Walde hat für uns die Premiere von Richard Wagners „Rheingold“ am MiR in Gelsenkirchen besucht. Er erlebt ein hervorragendes Musikerinnenensemble aus dem dann noch Cornel Frey in der Rolle des Loge herauszustechen vermag. Die Inszenierung von Martin Schulz funktioniert, aber hat interpretatorisch „nichts Neues“ zu sagen, meint unser Kritiker.
Von der Weimarer Republik über die Zeit des Faschismus bis tief hinein in die Bonner Nachkriegsdemokratie war der Name „Rheingold“ Sinnbild für luxuriöses Bahnfahren. Der so getaufte Schnellzug garantierte müheloses, stressfreies Reisen. Sogar einen Panoramawagen ließen die Bahnbetreiber für den „Rheingold“ konstruieren. Mit seiner großzügigen Fensterfront bot er einen Blick ohne Einschränkungen auf deutsche Landschaften – eben auch auf das schöne Rheintal!
Noch universeller erscheint dieser Panoramawagen in Richard Wagners „Das Rheingold“, wie Michael Schulz ihn jetzt im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier auf die Gleise setzt. Denn Bühnenbildnerin Heike Scheele macht aus ihm zu Beginn erst einmal eine Art U-Boot, das den Rhein durchpflügt und dessen Wellen es umspülen. Vom sicheren Erste-Klasse-Sitz aus wollen die Rheintöchter Alberich in die Fluten locken, um sich weiter über ihn lustig machen zu können. Doch bekanntlich hustet er ihnen was, entsagt der Lust und der Liebe. Dann packt er sich den nachlässig bewachten Schatz, das Rheingold, um Leidenschaft einzutauschen gegen materielle Macht und Reichtum.
Im nächsten Waggon des Luxuszuges haben schon die Götter mehrere Abteile okkupiert. Wotan ist ihr Reiseführer auf dem Weg nach Walhall, der von Fafner und Fasolt erbauten Trutzburg für die nordische Göttersippe. Doch nicht die heute allgegenwärtige, simple Dauerverspätung der Bahn verzögert die Inbesitznahme der neuen Götterbehausung. Nein, der Göttervater hatte schlicht vergessen, den nötigen Spargroschen zurückzulegen. Und ohne Kapital kein neues Domizil – so einfach scheint das! Dumm nur, dass man den Riesen Freia zum Pfand angeboten hat, die doch mit ihren Äpfeln den Göttern ewige Jugend verschafft. Beides scheint nun verloren. Gut, dass Feuergott Loge von Alberichs Diebstahl des Edelmetalls und seinem Verbleib erfahren hat. So kann er Wotan zum Schatz führen, den Alberich ganz urkapitalistisch begonnen hat, in ein Stahl-Imperium zu verwandeln. Arme Schlucker in zerfetzten Klamotten schuften für ihn bis zum Umfallen.
Michael Schulz erzählt dann weiter: Wie Wotan das Rheingold klaut, den Ring des Nibelungen für sich nimmt, ihn aber wieder verliert; erzählt vom Wesen und den Wurzeln des Kapitalismus‘, von der Fatalität der Gier nach Macht.
Und er kann sich dabei verlassen auf „sein Ensemble“ im Gelsenkirchener Haus. Mit dem „Rheingold“ demonstriert er die Früchte seiner Arbeit, bei der er immer Wert legt auf Sänger*innen, die aufeinander eingespielt sind, die miteinander agieren. Mit solchen Pfunden kann Schulz nun auch im „Rheingold“ wuchern.
Bele Kumberger, Lina Hoffmann und Roshana Milkov harmonieren stimmlich bestens als Rheintöchter – erst in den Fluten des Flusses, dann als Personal an der Bar des Clubwaggons. Und auch die Götterfamilie ist mit schönen Stimmen besetzt. Piotr Prochera ist als Donner – wie so oft im Gelsenkirchener Ensemble – eine Bank. Frisch und flexibel zeigt sich der junge Tenor Khanyiso Gwenxane als Froh, der nur noch vom Volumen her etwas zulegen könnte. Petra Schmidt glänzt als Göttin der ewigen Jugend – strahlend hell und jung klingt ihre Freia. Tobias Glogau leidet wunderbar als Mime, von seinem Bruder Alberich unterjocht. Joachim Gabriel Maaß buhlt als Riese Fasolt herrlich um die Göttin Freia, während Michael Heine als sein Bruder Fasolt eher rustikal daherkommt.
Almuth Herbst singt sowohl Fricka als auch Urmutter Erda. Als Fricka bleibt sie ein wenig den bestimmenden, fordernden Charakter dieser Rolle schuldig. Dafür punktet sie mit rotgoldener Altfärbung als prophezeiende, warnende Erda. Das ist großartig. Dagegen legt Urban Malmberg den Alberich eher zurückhaltend und wage an.
Bastiaan Everink hat als Wotan durchaus noch Luft nach oben. Sein schöner, wohlgeformter Bariton lässt im Ausdruck unbedingten Macht- und Herrschaftswillen (noch) nicht in letzter Konsequenz erkennen.
Will man einen Sänger in dieser Inszenierung ausmachen, der die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht, so ist das Cornel Frey als Loge. Ganz glänzend lotet er den zwiegespaltenen Charakter des Feuergottes aus. Er gehört nicht ganz zu den Göttern, wird von diesen nur akzeptiert, wenn er ihren Interessen dient. So kann er locker Wotan in sein Verderben rennen lassen. Freys Tenor macht das züngelnde Lodern der imaginären Flammen richtiggehend erfahrbar!
Die Neue Philharmonie Westfalen unter Giuliano Betta, seit dieser Spielzeit 1. Kapellmeister am Haus, durchkämmt Wagners Partitur, lässt die Musik anschaulich und in all ihren schillernden Farben durch den Zuschauerraum fließen, ohne die Klänge dort, wo sie massiv werden, dröhnen zu lassen.
MiR-Intendant Michael Schulz wählt „Das Rheingold“ nicht als Auftakt für einen neuen „Ring des Nibelungen“, sondern als herausgenommen Teil. Das kann man machen, denn „Das Rheingold“ wirkt auch als Solitär. Doch lässt Schulz ein wenig die Antwort auf die Frage offen, warum er es inszeniert. Denn wirklich interpretatorisch Neues hat er in Gelsenkirchen nicht unbedingt zu sagen. Visionär vielleicht das Finale: Walhall taucht vor den Göttern auf als Projektion eines riesigen Regenbogens. Also alles nur Fantasmagorie? Das Ende des Mythos?
- Weitere Termine: 18., 24., 26. und 30. Mai; 2., 9., 20. und 30. Juni