...dort, wo die Alpen glüh’n... gibt es künftig nicht nur Edelweiß und Bergidylle, sondern auch ein neues Musik-Event – „Alpenklassik“ in Bad Reichenhall nämlich. Von diesem August an lädt die Kurstadt nun alljährlich zum Sommer-Festival mit Bergblick… zeitgleich mit den Festspielen in Salzburg.
Ja, Salzburg, das benachbarte Kultur-Massiv, das mindestens ebenso lange Schatten wirft, wie die umliegenden Zweitausender, die sich im Festival-Titel wiederfinden. Was kann in seinem Umkreis schon gedeihen? Was den überzeugten Festspielbesucher dazu bringen, auf dem Weg zum Musik-Olymp einen Abstecher nach Reichenhall zu machen... Dicht daneben ist eben doch nur dicht dran – der Fluch des Standorts. Oder vielleicht doch nicht?
In der kleinen Kurstadt jedenfalls hat man einen Umgang mit dem Musik-Mekka nebenan gefunden: Ergänzen will man, nicht konkurrieren. In Reichenhall setzt man auf Kammermusik. Maßgeschneiderte Programme, junge Künstler und zugkräftige Klassik-Stars. Ein im richtigen Verhältnis sorgsam zusammengestellter Cocktail, nach bewährtem Rezept der Intendantin und Festival-Veteranin Kari Kahl-Wolfsjäger. Nach genau dieser Erfolgsstrategie hatte sie in den vergangenen 20 Jahren bereits mehrere Festivals gegründet und vom Klassik-Geheimtipp zum obligaten Festspiel-Termin gewandelt. Und nun nach Bad Kissingen und Weimar, nun ist also Bad Reichenhall dran.
„...wenn man Festivals macht, muss man etwas machen, was nicht jeder andere auch macht, es gibt eine Menge Sachen, die sind extra für Reichenhall entworfen, die gibt’s nirgendwo anders...“ und damit spricht Kari Kahl-Wolfsjäger einen der diesjährigen Programmhöhepunkte an: die „Hölderlin-Liederwerkstatt“, ein absolutes Vorzeige-Projekt. Ebenso mutig, wie hochkarätig.
Mit Wilhelm Killmayer, Aribert Reimann, Manfred Trohjan, Wolfgang Rihm, Moritz Eggert und Jan Müller-Wieland haben sich sechs namhafte, zeitgenössische Komponisten mit jungen Sängern und Pianisten zu einer Art Workshop zusammengefunden, um ihre eigens für Reichenhall entstandenen Hölderlin-Vertonungen zu erarbeiten. An zwei Konzertabenden wurden die neuen Werke dann früheren Hölderlin-Vertonungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und anderen von Eisler, Reger und Wolpe gegenübergestellt und durch hervorragend agierende junge Interpreten uraufgeführt. Mojca Erdmann (Sopran), Anne-Carolyn Schlüter (Mezzo-Sopran), Jan Kobow (Tenor) und Jochen Kupfer (Bariton), am Klavier begleitet von Axel Bauni und Susanne Giesa loteten das Spannungsfeld zwischen textinterner Melodik und klanggewordener Sprache bis ins Tiefste aus und legten dem jungen Festival damit ein wertvolles musikalisches Taufgeschenk in die Wiege. Zeitgenössische Hölderlin-Vertonungen im Entstehungsjahr zu präsentieren ist aber noch weit mehr als ein anspruchsvolles Taufgeschenk, es ist die zukunftsweisende Weichenstellung eines Festivals, das sich in seinem künstlerischen Wert zu profilieren sucht. Fern einer touristisch angelegten Fast-Food-Kultur, die Salzburg-Reisende sozusagen en passant noch schnell durchs eigene Konzert-Angebot schleust, hin zu einem durch musikalischen Anspruch legitimierten, eigenständigen Kammermusik-Ereignis. Aber da Reichenhall nicht Donaueschingen ist und Kunst nun einmal kostet, ist es nur zu verständlich, dass man musikalische Delikatessen, wie das Hölderlin-Projekt mit einem etwas leichter zu konsumierenden Repertoire-Programm auffängt. Zu diesem Zweck und um sich dennoch innovativ zu zeigen, greift die Intendantin tief in die Trickkiste und deutet die in Bad Kissingen so erfolgreiche Klavier-Olympiade zum Reichenhaller Klavier-Marathon um.
Klaviermusik nonstop, stundenlang, jedes Stück ein Knaller und jeder Interpret ein Hoffnungsträger. Das ist neu, das ist anspruchsvoll und nicht zuletzt, das ist bezahlbar. Denn auch wenn das Festival zu seinen Hauptsponsoren die Stiftung und Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte GEMA rechnen kann, von kollegialen Beziehungen zu Salzburg und den dortigen noch moderaten Gagenhöhen profitiert, verliert der pekuniäre Aspekt nicht an Brisanz. Den Rest erledigen Publikums-Magneten wie Rudolf Buchbinder, Melvyn Tan oder Diana Damrau, die dem Alpen-Festival über den illustren Kreis vereinzelter Kammermusik-Freaks auch die Akzeptanz des breiten, eher konservativen Publikums und damit langfristig den erhofften Nimbus innerhalb der Musikszene versprechen.
Was heuer hauptsächlich mit Klavier- und Liederabenden beginnt, soll in den kommenden Jahren das gesamte kammermusikalische Spektrum abdecken, immer jedoch gestützt auf die drei Säulen: Neue Musik, junge Künstler und dazwischen einige publikumswirksame Klassik-Stars. Und das Ganze zu erschwinglichen Preisen.
Visionen, Virtuosen und Sponsoren, aber da ist noch etwas. Das Staatsbad im Alpenkessel besitzt auch die architektonischen Voraussetzungen zum Festivalstandort. Im alten königlichen Kurhaus Bad Reichenhall befinden sich vier bis dahin nahezu ungenutzte historische Konzert-Säle des Jugendstil Architekten Max Littmann. Eine Tatsache, die nicht unerheblich war für die Gründung der Alpenklassik.
Ob das neue Festival auch langfristig das Zeug zum Gipfelstürmer hat oder in die Talsohle der Mittelmäßigkeit abrutscht, wird die Zukunft weisen, ...dort wo die Alpen glüh’n...