„Giochiam“ – lasst uns spielen! Die kleine Pause, die auf Don Alfonsos unmoralisches Angebot und den dazugehörigen Verführungsschnörkel im Cembalo folgt, markiert Entscheidendes: jenen Augenblick, da Ferrando in einem Wimpernschlag schon den Gefühlsabgrund vorausahnt, in den ihn diese Wette um die Treue der Geliebten stürzen wird, jenen Moment also, da das Spiel unaufhaltsam zu kippen beginnt.
Diesen kleinen, aber sehr präzise gesetzten Akzent gilt es im Auge zu behalten, wenn Regisseurin Beverly Blankenship im ersten Akt der Weikersheimer Così-fan-tutte-Produktion ihre ganz im 21. Jahrhundert angekommene Buffo-Maschinerie anwirft. Wenn dem mit ihren Rokoko-Perücken und Brautunterwäschen-Outfit ganz aus der Zeit gefallenen, herzallerliebsten Doppelpärchen zwei Gärtner (ganz gewiss nicht aus Liebe) entgegengestellt werden: Don Alfonso, eine gescheiterte Existenz mit Hygiene-Defiziten, die in einem Aufklappzelt Lebensberatung anbietet, und Despina, die auf dem gut gepflegten Rollrasen ein kleines, aber effizientes Treibhaus der Gefühle unterhält (Christoph Wagenknecht ist für dieses köstliche Bühnenbild verantwortlich). Dass diese Partien mit einer überragend spielfreudigen, vokal souveränen Katharina Ruckgaber und dem nuanciert kommentierenden Daniel Dropulja besetzt sind, bildet den entscheidenden Rahmen für das Gelingen dieses turbulenten, mitreißenden Abends.
Die Verwandlung der zuvor doch reichlich effiminiert herumstaksenden Herren in possierliche Postpunk-Rapper mit Ghettoblaster ist radikal (Kostümbildnerin Susanne Schwarzer hat sichtlich Spaß an diesem Irrwitz), doch zunächst riskiert nur Dorabella einen genaueren Blick auf das üppige Brusthaar(-toupé).
Was nun folgt, ist eine brillante Einbeziehung der Weikersheimer Schlosskulisse: Denn Fiordiligi hat sich erst gar nicht dazu hinreißen lassen, zu den lächerlichen Verehrern hinabzusteigen. Von der Balustrade aus schleudert sie ihr „Come scoglio“ auf eine Schwester herunter, der jedes Wort dieses in Stein gemeißelten Treueschwurs durch Mark und Bein geht. Die chilenische Sopranistin Roxana Herrera Díaz hat hier ihren ersten von mehreren großen Momenten an diesem Abend. Wie sie ihre zunächst erratisch kontrollierte Stimme in dem Moment entfesselt, da vom „Sturm“ der Gefühle die Rede ist, dem sie trotzen will – das ist intelligente, reife Vokalkunst. Ein weiterer ist ihr über weite Strecken ganz nach innen gewandtes Rondo „Per pietà“.
Hier gelingt überdies Bruno Weil mit dem Klangforum Mitte Europa eine wunderbare instrumentale Verschmelzung mit der Gesangslinie. Der Dirigent hat die jungen Musiker hörbar zu einer Einheit geformt, die sich aus dem mitten in die Bühne geschnittenen Orchestergraben heraus jederzeit auf Augenhöhe mit dem theatralen Geschehen bewegen. Mit zunehmender Sicherheit gelingt es ihnen auch mehr und mehr, innerhalb der raschen Tempi Akzente und Farbwechsel zu gestalten.
Marija Jokovics Dorabella steht ihrer Schwester in nichts nach: Trotz der hohen Schlagzahl, die Bruno Weil vorgibt, charakterisiert sie die „Smanie implacabili“ ebenso genau wie später ihr lapidares Eingeständnis, der Tücke der Liebeswirren erlegen zu sein. Nach einem Schäferstündchen in Despinas Gewächshaus ist sie nun endgültig im Guglielmo-Partnerlook unterwegs, als Trophäe wedelt sie mit dessen unwiderstehlichem Schottenkaro-Slip …
Sein Besitzer ist an diesem Abend auch der Verführer mit den besseren stimmlichen Voraussetzungen. Han-Sung Yoo variiert sein durchsetzungsfähiges, aber stets geschmeidiges Timbre nach Belieben, während Jae-Seung Lee als Ferrando sich in der Höhe nicht durchweg freizusingen vermag. Prägnant gelingt ihm jedoch die (im Gegensatz zu den Chören und einigen Rezitativ-Passagen) nicht gekürzte, dramaturgisch wichtige Kavatine „Tradito, schernito“. Hier nun hat sich die Vorahnung aus der ersten Szene bewahrheitet: Der Partnertausch hat bleibende Wunden hinterlassen, die auch das von Alfonso und Despina eilig zusammengeschusterte Versöhnungsfinale nicht so schnell wird heilen können. Wer es mit wem auf Dauer aushalten wird, bleibt offen. Die roten Herzluftballons, mit denen Despina die erste Zuschauerreihe versorgt hatte, steigen in den Nachthimmel auf, ins Ungewisse. Im 60. Jahr ihres Bestehens beweist die Jeunesses Musicales Deutschland einmal mehr, welches künstlerische Niveau mit klug konzipierter Nachwuchsarbeit erreicht werden kann. Kein Zweifel: Die Produktion des diesjährigen Opernkurses würde in ihrem szenischen Spielwitz, ihrer musikalischen Kompetenz, ihrem sängerischen Niveau und Ensemblegeist jedem größeren Opernhaus zur Ehre gereichen.