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Im übermächtigen Schatten der Ragas

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Die Kammerphilharmonie Merck aus Darmstadt sammelte Erfahrungen in Indien
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„Es war göttliche Musik. Sie hat mir die Tränen in die Augen treten lassen.“ Das sagte Vishal Bhardwaj, nachdem er Mozarts Flötenkonzert gehört hatte, wie es Henrik Wiese und die Kammerphilharmonie Merck im indischen Mumbai spielten. Und Bhardwaj kennt sich aus mit Musik und vor allem mit ihrer Wirkung, denn er ist Regisseur in der Hindi-Musikfilm-Branche. Männer wie Bhardwaj regulieren somit in Indien die musikalische Breitenversorgung, Mumbais Filmindustrie übertrifft die Produktionsrate Hollywoods bei weitem. Und Musik spielt dabei die wesentliche Rolle. Macht man in Indien das Fernsehen an, wird auf den meisten Kanälen gesungen, meistens im Duett. Und geben die fünf aktuellen Stars der Szene gemeinsam ein Open-Air-Konzert wie jetzt am Tag nach dem göttlichen Mozart-Konzert, so haben sie 25.000 Zuhörer, wo Mozart gut 1.000 hatte.

„Es war göttliche Musik. Sie hat mir die Tränen in die Augen treten lassen.“ Das sagte Vishal Bhardwaj, nachdem er Mozarts Flötenkonzert gehört hatte, wie es Henrik Wiese und die Kammerphilharmonie Merck im indischen Mumbai spielten. Und Bhardwaj kennt sich aus mit Musik und vor allem mit ihrer Wirkung, denn er ist Regisseur in der Hindi-Musikfilm-Branche. Männer wie Bhardwaj regulieren somit in Indien die musikalische Breitenversorgung, Mumbais Filmindustrie übertrifft die Produktionsrate Hollywoods bei weitem. Und Musik spielt dabei die wesentliche Rolle. Macht man in Indien das Fernsehen an, wird auf den meisten Kanälen gesungen, meistens im Duett. Und geben die fünf aktuellen Stars der Szene gemeinsam ein Open-Air-Konzert wie jetzt am Tag nach dem göttlichen Mozart-Konzert, so haben sie 25.000 Zuhörer, wo Mozart gut 1.000 hatte.Der Hindi-Musik-Film ist überall, und Mozart ist nirgends in Indien. Dieser Vergleich ist natürlich nicht lauter, schließlich können auch in Deutschland wahrscheinlich mehr Menschen beim Titelsong von „Cats“ mit einstimmen als bei Parsifals Grals-Erzählung. Doch erst in der Präsenz von Musik aller Art in Indien wird deutlich, wie schwer der Stand ist, den die westliche klassische Musik in dieser Konkurrenz hat. Doch es gibt Bewegung.

Die Kammerphilharmonie Merck aus Darmstadt hat seit dem „German Festival in India“ Indienerfahrung – und das ist selten genug im klassischen Genre, denn kaum einmal verirrt sich ein komplettes Orchester in dieses Riesenreich. Ein bis zwei Mal jährlich gibt es immerhin noch in New Delhi sinfonische Konzerte, auch Mumbai (Bombay) ist relativ gut versorgt. Doch fragt man in der Provinz wie etwa in der 4-Millionen-Stadt Pune, muss man dort schon lange Jahre zurückrechnen, um sich an ein Orchester erinnern zu können.

Anna Abraham, die Musikkritikerin der Zeitung The Hindu, bekam in ihrem schon recht langen Leben in Madras – oder Chennai, wie es heute offiziell heißt – zwei bis drei größere Kammerorchester zu hören, nicht mehr. Eine Beethoven-Sinfonie war schon ewig nicht mehr dabei, die Lücke „Beethovens Erste“ ist nun dank der Kammerphilharmonie Merck endlich geschlossen. In Madras, sagte sie, sei jedoch in den letzten Jahren eine wirklich große Hörerschaft für westliche Musik gewachsen, prozentual weit größer, als es sie etwa in der 14-Millionen-Metropole Kalkutta gebe. Kalkutta galt lange – und bei den Bengalen selbstverständlich auch nach wie vor – als die Kulturhauptstadt Indiens. Allerdings sei das kulturelle Leben wie alles in dieser Stadt sehr stagnativ, und gerade westliche Klassik spiele hier kaum eine Rolle, so die Musikkritikerin. Für das Merck-Konzert in Kalkutta allerdings bildeten dennoch genügend Inder jene fein säuberliche Schlange vor dem Konzerthaus, die zum kolonial-englischen Erbe gehört wie Cricket und Backstein.

„Why shows go unnoticed“, titelte ein indischer Journalist seinen Artikel, in dem er bedauert, dass westliche Musik aller Art zwar reichlich angeboten – vom US-Blues über französische Indo-Techno Fusion bis Mozart –, aber kaum frequentiert wird. „Einmal abgesehen vom Merck-Orchester haben wir immer nur halb gefüllte Säle gesehen und ein irritiertes Publikum.“

Zur Kammerphilharmonie, einem der lediglich zwei Orchester, die zu den sechs Monate andauernden Festspielen deutscher Kultur nach Indien eingeladen wurden, kam immer genug Publikum – bei freiem Eintritt, sonst hätte auch hier die Lage anders ausgesehen, wie man beim mitveranstaltenden Goethe-Institut schätzt. Die 1.000-Personen-Säle jeweils, meist akustisch eher ungeeignete Mehrzweckbauten mit brüllenden Aircondition-Anlagen, waren bei dieser 7-Städte-Tournee gut ausgelastet, und die Zuhörer waren in der Tat enthusiastisch. Doch man durfte sich nicht täuschen: Die Kammerphilharmoniker aus Darmstadt spielten hier nicht für den Inder „von der Straße“, sondern für eine extrem kleine Gemeinschaft. Interesse an westlicher E-Musik hat nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus der Gesellschaft, nur das Bildungsbürgertum – Indien hat eine Klassengesellschaft, das wird auch im Konzertsaal deutlich –, und auch da wieder nur ein kleiner Kreis mit dieser besonderen Vorliebe.
Terence D’Souza, in Mumbai Regional Director des Indian Council for Cultural Relations, kennt sein Publikum gut. Vor allem Parsen und Christen, so sagt er, besuchen westlich-klassische Konzerte, die Community sei sehr homogen. Die Parsen, traditionell aufgeschlossen für alles Westliche, stellen nicht nur eine Art intellektuelle Oberschicht dar, sondern ebenso eine finanzielle. Den schönen neuen Konzertsaal in Mumbai hat beispielsweise Jamshed Bhabha bezahlt, einer aus der potenten Parsen-Familie der Tata, einem der größten Industriekonzerne Indiens. Und Jamshed Bhabha kann mit Jahreszahlen aus dem Leben Beethovens nur so jonglieren.

Es sind die indischen Klassiker, die Europas Musikgrößen so sehr im Schatten stehen lassen, nicht so sehr die populäre Filmmusik. So sieht es Tilmann Waldraff, Leiter des Goethe-Instituts von Delhi und damit Ko-Veranstalter des Indien-Festivals. Die indische E-Musik, die als Volksmusik stark in der Bevölkerung verwurzelt ist, sei überraschend wenig offen für Westliches. Anders als in der bildenden Kunst, in der Literatur, ja selbst im stark traditionsgeprägten Tanz gebe es in der Musik so gut wie keine Öffnung Richtung Westen. Die indischen Ragas werden seit Jahrhunderten unverändert gepflegt, da sehe man keinen Bedarf an neuen Impulsen.

Ein zunehmendes Interesse an West-Musik glaubt auch Waldraff durchaus feststellen zu können, doch gebe es von offizieller Seite „nur wenige eigene Aktivitäten in beobachtbarem Tempo“. So werden kaum Instrumente eingeführt, neue Ensembles scheitern also alleine schon am Material, alles funktioniere immer nur auf einer privaten Basis, mit privatem Engagement.

Das allerdings ist groß, wie die Merck-Musiker auf ihrer Konzertreise feststellen konnten. In Goa wollte man den Merck-Konzertmeister Hartmut Krause gleich für einen Meisterkurs für Violine in die Pflicht nehmen, und in Delhi beobachtet man am Goethe-Institut ein enormes Interesse an Seminaren über Mozart und Co. Ein indischer Musikliebhaber, so erzählt Tilmann Waldraff voll Respekt, referiere dort regelmäßig über Komponist und Werk: „Wir Westler zucken zwar bei der Art der Interpretationen zusammen – aber die Leute rennen ihm die Bude ein.“

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