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Bernhard Lang in Schwetzingen. Foto: Charlotte Oswald
Bernhard Lang in Schwetzingen. Foto: Charlotte Oswald
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Ins Dunkel des Unterlands der Triebe

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Bernhard Langs „re:igen“ nach Arthur Schnitzler wurde in Schwetzingen uraufgeführt
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2003 machte der österreichische Komponist Bernhard Lang (geb. 1957) durch sein „Theater der Wiederholungen“ auf sich aufmerksam: Die Wiederholungen von Phrasen und musikalischen Partikeln, die allemal bei der zweiten oder dritten, spätestens bei der vierten Wiederkehr variiert werden, waren das Markenzeichen. Inzwischen hat es sich Lang nicht leicht gemacht mit den Stoffen, die er sich vornahm. Zur Wiener Mozart-Supergeburtstagsparty 2006 steuerte er „I Hate Mozart“ bei. Im Jahr darauf ließ er in Schwetzingen die Kammeroper „Der Alte vom Berge“ folgen – eine Arbeit zum Religionsführer Hasan-i-Sabbah, der zu Beginn des vorigen Jahrtausends mit dem Geheimbund der Assassinen eine Abspaltung der schiitischen Ismaeliten vorantrieb.

Einer größeren Öffentlichkeit stellte sich Lang 2010 im Mannheimer Nationaltheater mit dem polyglotten „Montezuma – Fallender Adler“ vor. Und nun ließ er, wiederum im benachbarten Schwetzingen, mit der Musik zu Arthur Schnitzlers „Reigen“, beredte (d.h. in diesem Fall: auf besondere Weise diskursive) Theatermusik folgen. Auch hier ist das unverwechselbare Kennzeichen die fein variierte Dopplung oder Vervielfachung von Satzteilen und musikalischen Bauteilen. Das Verfahren verdankt sich dem Rekurs auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze: Indem es die theatralen Subjekte dekonstruiert, bringt es die Erzählformen durch die Repetitionen auf die Streckbank und unter die Lupe.

Die bei Lang allemal auch mit elektronischen Mitteln operierende Komposition reagiert auf mediale Muster, die die Wahrnehmung der althergebrachten Wiederholung als zugleich kommunikatives und ästhetisches Mittel ins Bewusstsein heben: die „verhackstückten“ Texte entwickeln neue Subtexte. Alle Instrumente sind mit Tonabnehmern versehen; die analog erzeugten Klänge unterliegen einem Transformationsprozess, in dem das Orchester als Sampler funktioniert. Im Fall von „rei:gen“ wurden die beiden zu den klassischen Orchester- und Big-Band-Instrumenten hinzugesellten Keyboards im Abstand von einem Viertelton gestimmt und bescheren so durchgängig eine „doppelchörige mikrotonale Harmonik“ – etwas, was nach den fragwürdigen Reinheitsgeboten der temperierten Stimmung als „unsauber“ gilt. Die Kombination von planmäßig herbeigeführter „Unreinheit“ und den Techniken der feinsinnigen Wiederholung, dem Lebenselixier der Lang’schen Schreibweise, ist bei einem Sujet wie dem der trivial-grandiosen und seicht-abgründigen Dialoge Schnitzlers in unmittelbarer Weise plausibel.

In der Komödie des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die erst ein Vierteljahrhundert später an die Öffentlichkeit gelangen konnte, geht es ja nicht nur um die kakanischen Kulturtechniken der raschen außerehelichen Paarungen mit wechselnden Partnerinnen und Partnern, sondern auch um die Künste der (Vor-)Täuschungen und des Kaschierens, der Zweck- und Notlügen, der nackten Wahrheiten und Beschämung, der Beschönigungen und Verdrängungen. Besonders erkenntnisträchtig oder sogar witzig erscheinen in diesem Kontext die Repetitionen von Kurzsätzen wie „Halt dich nur fest“. Oder der Schlagabtausch: „Was geht mich deine Seele an?“ – „Wegen der Seele werden wir uns schon einigen“. Der Textbearbeiter Michael Sturminger hat „aktualisierend“ nachgebessert, daher einige Rollenprofile geändert – für die Piefkes kam das „schöne Madel“ zum „Schulmädchen“ herab und wurde der Baron zum Banker neutralisiert – und den von Schnitzler bewusst anonym gelassenen Vornamen zugeordnet.

Georges Delnon, Auftraggeber und Regisseur in Schwetzingen, dreht nach einer seit Jahrzehnten probaten Praxis die klassische Anordnung von Bühne und Parkett um. Er beordert die Zuschauer also dorthin, wo sonst die Akteure tätig sind, die Mitglieder des RSO Stuttgart und der SWR Big Band hingegen in die Logen. Zwischen einem Dutzend Monitoren im Parkett, die mit erlesenen Bildfolgen ablenken (als wäre auf die Dialoge und Duette der Sänger/
-innen allein nicht zu vertrauen!), wird eine Matratze als Grundlage fürs Immergleiche herumgebalgt. Zehn Varianten bietet das Stück – die elfte wird vorab erschwitzt. Als wüsste man nicht, worum es hier geht, tut ein unbekleidetes Pärchen in der linken Parkettloge, als pflege es der Liebe.

Unter Handreichung des nach erstem Eindruck vollständig umsichtig agierenden Rolf Gupta eröffnen Almerija Delic als Streetworkerin und Cornel Frey als indolenter Jungpolizist den „rei:gen“ eines durchweg kompetenten Sänger-Teams, dem auch entschiedener Körpereinsatz zugemutet wird. Clara Meloni als durchaus brauchbares Haus- und Schulmädchen sowie Kai-Uwe Fahnert als moralisierender Ehemann und melancholischer Privatier nehmen je zweimal an der Lotterie teil.

Ob die lüstern, gelangweilt oder gewerbsmäßig zur Sache sprechenden und kommenden Akteure mit ihren Lebens- und Liebesformen glücklich werden, lässt Langs Musiktheater ebenso offen wie Schnitzlers Komödie.

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