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„Brückenschlag“ – ein Schulprojekt an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Foto: HMT
„Brückenschlag“ – ein Schulprojekt an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Foto: HMT
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Intensiver Blick auf die fremde Kultur

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Beim „Brücken“-Festival für Neue Musik Rostock stand der Komponist Dieter Mack im Mittelpunkt
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Zum zehnten Mal fand das jährliche „Festival für Neue Musik“ in Rostock statt, veranstaltet an der Hochschule für Musik und Theater unter der künstlerischen Leitung von Kompositionsprofessor Peter Manfred Wolf. Wiederum trug es den programmatischen Namen „Brücken“. Tragender Grundpfeiler des Konzepts ist die Anwesenheit eines Composers in residence, um dessen Werk sich die einwöchige Veranstaltung zentriert.

In den vergangenen Jahren waren dies die Spitzen der vornehmlich deutschen, avancierten Musik: Mauricio Kagel, Sven-David Sandström, Helmut Lachenmann, Nicolaus A. Huber, Adriana Hölszky, Friedhelm Döhl, Wolfgang Rihm, Peter Ruzicka und Jörg Widmann – unter der Mitwirkung so meisterhafter Musiker wie dem Freiburger ensemble recherche oder dem Minguet Quartett. „Es war“, so hatte Widmann vor zwei Jahren bekannt, „die bedeutsamste Woche meines Lebens“.

Dem diesjährigen Zentralgestirn, dem Lübecker Jazzmusiker, Komponist und Musikethnologen Dieter Mack (61), ist es ähnlich ergangen. In neun Konzerten erklangen aus seinem 86 Nummern umfassenden Werkverzeichnis 30 seiner Werke aus den letzten 25 Jahren, vorwiegend Kammermusik in unterschiedlichen Besetzungen, ausgeführt von solch kompetenten Künstlern wie dem Selisih Ensemble Freiburg, dem modern art ensemble Berlin oder dem Duo Bellini. In großen Orchesterkonzerten, einmal mit dem Hochschulorchester unter Christfried Göckeritz, zum anderen mit der Norddeutschen Philharmonie Rostock unter Manfred Hermann Lehner, erklangen drei bedeutsame Orchesterwerke Macks – kombiniert jeweils mit César Franck und Debussy, mit Strawinsky und Ravel, was der Mackschen Musik ein großes Publikum sicherte. Dazu noch ein publikumswirksames Konzert mit den Big Bands der Lübecker und der Rostocker Hochschule ausschließlich mit Big-Band-Kompositionen Macks.

Flankiert wurde diese musikalische Porträtserie durch ein Schulprojekt, durch einen Meisterkurs, durch öffentliche Proben, durch zwei Vorträge Macks, in denen er seine kulturellen Erfahrungen und kompositorischen Verfahren beleuchtete, sowie durch ein wissenschaftliches Symposium „Der Komponist Dieter Mack – Neue Musik und Transkulturalität“. Ergänzt wurde dies traditionell durch Neue Musik von Komponisten aus Mecklenburg-Vorpommern, aufgeführt vom darauf spezialisierten Ensemble mv-connect unter der Leitung der Pianistin Ulrike Mai. Dies ergab in seiner Gesamtheit die imponierende und erhellende Schau auf ein Musikkonzept, das in seiner Originalität ins Herz unserer Zeit zielt.

Macks Produktionen tragen häufig exotische Titel wie Terasi, Tiga Kata, Wantilan, Selisih, Angin oder Pamungkah. Dies ist zunächst ein Reflex seiner mehrfachen langzeitigen Aufenthalte in Indonesien und seiner intimen Vertrautheit mit javanischen Musikkulturen. Tatsächlich sind sie verfremdende Mimikry, denn die Macksche Musik geht nicht den bequemen und ausgefahrenen Weg, außereuropäische Musikkulturen – etwa die Idiome der Gamelan-Musik – als neuen belebenden Saft für die ermüdete europäische Musik zu nutzen, obwohl er auch für Gamelan-Gruppen komponiert hat. Es geht ihm nicht um musikalische Interkulturalität. Seine bi-kulturelle Erfahrung weist ihm einen anderen Weg. Er benutzt den intensiven Blick auf die fremde Kultur, um den fremden, distanzierten Blick auf die eigene zu gewinnen. „Neutralität“ nennt Mack dies, mit der die gängigen Topoi unseres Verhaltens, Denkens und Musizierens nicht prätentiös dekonstruiert oder kritisiert werden, sondern in der das Andere unserer eigenen Kultur aufscheint.

So entsteht eine Musik, die nicht „zielführend“ ist, die nicht ankommt, ja nicht einmal das Ankommen verweigert, sondern die kommt und geht und dennoch nicht orientierungslos im Kreise geht, streng konstruiert aber doch von sinnlicher Fasslichkeit, auch dann, wenn man ihre komplexe Struktur nicht sofort entziffert. So entsteht ein aufstörendes Hörerlebnis, in dem erfahrbar wird, dass unsere Kultur eine ihr selbst unsichtbare Rückseite hat, ein Hörerlebnis von einer eigensinnigen Suggestivkraft und – das altmodische Wort ist hier nicht fehl am Platze – auch fremder Schönheit.

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