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Die Klang-Wort-Installation der Tiroler Schriftstellerin Barbara Hundegger und des Münchner Komponisten Christoph Reiserer entführte das Publikum in die Tiefen der Baustelle des neuen Unterinntaltunnels. Foto: Klangspuren Schwaz
Die Klang-Wort-Installation der Tiroler Schriftstellerin Barbara Hundegger und des Münchner Komponisten Christoph Reiserer entführte das Publikum in die Tiefen der Baustelle des neuen Unterinntaltunnels. Foto: Klangspuren Schwaz
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Internationalität mit Bodenhaftung

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Die 17. Klangspuren Schwaz vom 9. bis 26. September 2010
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Unter den zahlreichen Neue-Musik-Festivals im deutschsprachigen Raum nehmen die Klangspuren Schwaz eine Sonderstellung ein: Abseits der großen Metropolen verstehen es die Veranstalter seit nunmehr 17 Jahren, ein breites Publikum anzusprechen, das weit über den Zirkel der Fachkreise hinausreicht und eine bemerkenswerte Offenheit mitbringt. Einer der Schlüssel des Erfolges ist es seit jeher, sowohl internationale Namen aufzubieten als auch regionale Künstlerinnen und Künstler einzubinden sowie durch originelle Formen von Kooperationen ein hohes Maß an Präsenz zu erreichen. So weiß denn auch fast jeder in der Region rund um die alte Silberstadt im Tiroler Unterinntal von der durch den Pianisten Thomas Larcher gegründeten, inzwischen von Peter Paul Kainrath geleiteten Veranstaltungsreihe, die sich auch bis ins 30 Kilometer entfernte Innsbruck sowie in kleinere umliegende Gemeinden erstreckt. Und dies nicht erst, seit das Festival „Pilgerwanderungen“ veranstaltet, die jeweils einen ganzen Sonntag lang von einer Konzertstation zur nächsten führen.

Mit großem Geschick werden immer wieder neue Orte erschlossen – spektakulär zum Beispiel das Hotel Grafenast auf mehr als 1.300 Metern Seehöhe, von wo aus sich kein Geringerer als Friedrich Cerha gemeinsam mit dem Publikum auf eine Pilzwanderung begab. Während die Fundstücke für das anschließende Mittagessen zubereitet wurden, gab es ein für die Klangspuren charakteristisches Konzert mit dem Zitherspieler Martin Mallaun auf mehreren Instrumenten.

Jenes, das er für die Uraufführung der „Kleinen Göttermusik“ von Franz Hautzinger einsetzte, erwies sich als ungewöhnlich voluminös im Klang, was sich daraus erklärte, dass es sich dabei um eine Sonderanfertigung durch einen Cembalobauer handelte, und gab den minimalen Akkordstrukturen des einfach gehaltenen Stücks eine besondere Note. Durch eine Rahmenkomposition erschien die meditative Miniaturenfolge als in sich gerundet – im Gegensatz zu jener Materialsammlung, die Manuela Kerer im ebenfalls uraufgeführten Stück „Impresa Omonéro“ ausbreitete: Hier handelte es sich um kaum mehr als eine Reihung von zugegebenermaßen – auch dank Instrument und Interpret – attraktiven Spezialeffekten, die jedoch im Prinzip sehr an jene Techniken erinnerten, welche schon Helmut Lachenmann in seinem „Salut für Caudwell“ für zwei Gitarren einsetzte. Wo die Möglichkeiten erweiterter Spieltechniken ausgereizt waren, entschied sich die Komponistin zudem für einen konventionellen melodiösen Abschnitt ohne erkennbaren Zusammenhalt mit dem Vorherigen.

Lachenmann wurde auch im Zusammenhang mit dem diesjährigen Russland-Schwerpunkt heraufbeschworen, der für viele dortige Komponisten einen wichtigen Bezugspunkt bildet, gar „eine Art neuen Beethoven“ verkörpert. So kolportiert es zumindest das Vorwort des Programmbuchs, welches in Nachfolge des verstorbenen nmz-Redakteurs Reinhard Schulz im Wesentlichen durch Wiebke Matyschok gestaltet wurde. Die Journalistin moderierte auch ein Gespräch im Rahmen eines Konzerts mit dem Ensemble Modern in der Aula der Sowi Innsbruck (Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität), in dem durch Edisson Denissow, Vladimir Tarnopolski sowie Olga Rayeva Musik von drei Generationen russischen Komponierens vertreten war. Die Musikwissenschaftlerin Svetlana Savenko, die danach auch als Sopranistin in Tarnopolskis „Chevengur“ auftrat, erzählte hier etwa darüber, wie sie einst den ersten Aufsatz über Karlheinz Stockhausen in der Sowjetunion veröffentlicht hatte und mit staatlichen Eingriffen konfrontiert war. Entscheidend sei aber gewesen, dass der Text überhaupt erscheinen konnte. Solches besondere Interesse russischer Musikerinnen und Musiker für westliche Musik scheint sich bis heute erhalten zu haben. So wurde in Schwaz deutlich, dass sich etliche Künstlerinnen und Künstler aus Russland – wie auch aus den anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion – in Deutschland niedergelassen haben. Ebenso klar trat aus den gespielten Werken der Umstand hervor, dass sie die Techniken der westlichen Avantgarde intensiv rezipieren.

Exemplarisch dafür erschien ein Ausschnitt aus der Oper „Minotaurus Träume“ von Olga Rayeva, der einen sensiblen Umgang mit Geräuschvaleurs verriet. Am selben Abend trat auch der diesjährige Composer in residence Heinz Holliger in Aktion, und dies sowohl in eigenen Kompositionen als auch in einer Uraufführung von Friedrich Cerha: Dessen „Quintett“ für Oboe und Streichquartett verbindet elegischen Melos mit musikantischer Vitalität, kontrapunktisch verzweigte Linien mit rhythmisch verzahnter Motorik – und brachte den Oboisten und die Streicher aus dem Ensemble Modern sogar ein wenig in Kommunikationsschwierigkeiten. Ganz im Zeichen Holligers stand auch ein weiteres der typischen, ausgedehnten Klangspuren-Programme im Franziskanerkloster Schwaz, dessen Kirche schon als Kulisse für das Eröffnungskonzert mit dem Ensemble Windkraft, dem Lettischen Radiochor und Dirigent Johannes Kalitzke gedient hatte. Nun ging es für ein Konzert der Internationalen Ensemble Modern Akademie (siehe dazu auch S. 35) ins historische Refektorium, in dem Anton Webern, Sándor Veress und Holliger selbst auf dem Programm standen, bevor der Composer in residence den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Akademie Rede und Antwort stand – neben dem Abschlusskonzert der zweite Anlass, das beachtliche Niveau des gemeinsam Erarbeiteten öffentlich zu machen. Wieder in der Kirche, leitete Holliger dann eine Teilaufführung seines ausgedehnten „Jahreszeiten“-Zyklus, ebenfalls mit Kräften aus der Akademie sowie dem Lettischen Radio-chor und dem Flötisten Felix Renggli.

Innerhalb des geschickt komponierten Programms umfasste der Russ-land-Schwerpunkt unter anderem beispielsweise auch einen Auftritt des Moscow Contemporary Music Ensemble unter der Leitung von Fedor Lednev sowie eine Lesung von Vladimir Sorokin aus seinem Roman „Der Zuckerkreml“, so dass dem Publikum die Möglichkeit gegeben wurde, insgesamt ein Bild der aktuellen Atmosphäre in Russland zu bekommen. Uraufführungen von Komponisten aus der Region ergänzten die Veranstaltungen ebenso zur typischen Klangspuren-Mischung, wie etwa ein Präsentationskonzert der Musizier- und Komponierwerkstatt für Kinder und Jugendliche „Lautstark“. Denn die Konzerte selbst sind in Schwaz nur die Spitze des Eisbergs. Daneben haben die Veranstalter vielfältige Vermittlungsangebote entwickelt, etwa ein Fortbildungswochenende für Musikpädagogen, ein Schulprogramm unter dem Motto „Alles anfassen, alles ausprobieren“, die „Klangspuren barfuss“, die für Kinder ab sechs Jahren unmittelbar bei der hörenden Erfahrung der Lebenswelt ansetzen, oder das „Café Klangspuren“ im Innsbrucker Café Central mit Einblicken in „die kleinen und großen Geheimnisse der zeitgenössischen Musik, die eigentlich keine Geheimnisse sind“. Um kommende Generationen interessierter Hörer für Neue Musik braucht man sich somit in Tirol keine Sorgen zu machen.

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